Gut vernetzte NS-Truppe
Die Staatsanwaltschaft wirft den Akteuren des „Aktionsbüros Mittelrhein“ offen gewalttätiges Vorgehen vor – nach der Razzia vom Dienstag sitzen noch 23 Neonazis in Untersuchungshaft. Das militante „Aktionsbüro“, bei dem auch NPDler mitwirkten, arbeitete mit Kameradschaften in Köln, Leverkusen, Aachen oder Wuppertal zusammen.
„Braunes Haus“ nannte die NSDAP ihre Münchener Zentrale. „Braunes Haus“, so nannten die Neonazis vom „Aktionsbüro Mittelrhein“ auch ein unscheinbares Haus an der Bad Neuenahrer Weinbergstraße. Einige von ihnen lebten dort seit Anfang 2010 in einer Wohngemeinschaft. Ein Rückzugsraum, aber auch der Ausgangspunkt für verschiedenste Aktionen. Am Dienstag wurden die Bewohner abgeführt. Sie gehörten zu den 24 Neonazis, gegen die das Amtsgericht Koblenz Haftbefehle erlassen hat und von denen aktuell noch 23 einsitzen. In Bad Neuenahr hofft man nun, dass der braune Spuk rund ums „Braune Haus“ ein Ende hat, jetzt, da die Mieter erst einmal verhindert sind.
Die Bedeutung des Hauses ging über den beschaulichen Ort hinaus. Ebenso wie die Arbeit des „Aktionsbüros Mittelrhein“, bei dem der Koblenzer NPD-Kreisvorsitzende Sven Lobeck eine führende Rolle spielte, sich nicht nur auf die Region im Norden von Rheinland-Pfalz und im südlichen Zipfel von Nordrhein-Westfalen erstreckte. Über Bonn und die Eifel hinaus arbeiteten die ABMler auch mit Kameradschaften in Köln, Leverkusen, Aachen oder Wuppertal zusammen. Viel spricht dafür, dass Neonazis vom ABM führend auch an einer Aktion im vorigen November in Düsseldorf beteiligt waren.
„Die letzten Fackelträger der Nation“
In einem Manifest, veröffentlicht auf der ABM-Internetseite, übten sich die Neonazis an einer ideologischen Standortbestimmung. „Deutschland erfährt seit seiner Niederlage am 8. Mai 1945 bitterste Not“, heißt es dort. Das „Deutsche Reich“ leide seit mehr als 60 Jahren unter einer „Besatzung“ und unter einer „geschickten Geistesvergewaltigung“. Die „alliierten Siegermächte“ leite dabei ein „perverser Vernichtungsgedanke“. Demgegenüber seien nun „die letzten Fackelträger der Nation gefragt, jene, die bereit sind, das Feuer einer Jahrtausende alten germanischen Geschichte nicht erlöschen zu lassen“.
Die „verbliebenen Freiheitskämpfer“ und „unerschrockenen Kämpfer“, als die sich die ABM-Neonazis verstanden, sahen sich offenbar auch berechtigt, Gewalt anzuwenden. Die Staatsanwaltschaft nannte eine Reihe von Gewalttaten im Jahr 2011, für die sie Mitglieder oder Unterstützer des „Aktionsbüros“ verantwortlich macht. Ein Angriff auf ein linkes Wohnprojekt in Dresden, an dem sich 15 ABMler beteiligt haben sollen, gehört dazu, Attacken gegen Busse, mit denen Neonazi-Gegner zu einer Demo unterwegs waren, Überfälle auf tatsächliche oder vermeintliche Gegner im Rheinland.
„Planungsraum für Straftaten“
Ein „offen gewalttätiges Vorgehen gegen Angehörige der linken Szene sowohl im örtlichen als auch überregionalen Bereich“ praktiziert zu haben, hält die Staatsanwaltschaft den ABM-Akteuren vor, von denen einige den NPD-Parteiausweis in der Tasche hatten. „Anti-Antifa-Arbeit“ sei ein Schwerpunkt des ABM gewesen. Man habe den politischen Gegner ausgespäht, um die erhobenen Informationen im Internet zu veröffentlichen und ein „Klima des Hasses“ zu schaffen, attestierten Ermittler der Gruppe. Einer der Polizeibeamten hatte bei einer Pressekonferenz am Tag der Razzia auf die enge Verzahnung der NPD mit „parteifreien“ Neonazis hingewiesen: „Es ist im rechtsextremen Bereich schwierig, Ermittlungen zu führen, ohne über die NPD zu stolpern.“
Als „Planungsraum für Straftaten“ bewertete die Staatsanwaltschaft das „Braune Haus“ in Bad Neuenahr-Ahrweiler, dem Ort, wo am Dienstag allein fünf der 24 Neonazis festgenommen wurden. Das Haus diente freilich nicht nur diesem Zweck. Dort feierte man auch. Zum Beispiel Silvester 2011 eine Party unter dem Motto „2 JAHRE BRAUNES HAUS – JETZT KNALLTS RICHTIG“. Auf den Einladungsflyer waren die Buchstaben „N“, „S“ und „U“ optisch hervorgehoben. Bezüge zu der terroristischen Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) hat die Staatsanwaltschaft nicht gefunden. Es war mehr ein Spiel mit Chiffren. Eine Distanzierung von Neonazi-Terror sieht aber anders aus, sie war von den Beteiligten womöglich auch gar nicht zu erwarten.
Auftritt im geschlossenen Block unter dem gemeinsamen Label „Rheinland“
Dieses Spiel mit Chiffren bediente das „Aktionsbüro“ nicht nur bei der Benennung des „Braunen Hauses“ oder beim verklausulierten NSU-Bezug. Zufällig ist es nicht, so glauben antifaschistische Gruppen aus der Region, dass der Bulli, mit dem ABM-Mitglieder oder -Anhänger bei Demonstrationen unterwegs waren, auf dem Kennzeichen die Ziffernfolge 3107 zeigt: In der Nacht vom 31.07.1992 auf den 1.08.1992 brachten Neonazis in Bad Breisig (Landkreis Ahrweiler) den Obdachlosen Dieter Klaus Klein um. Überdeutlich wird der NS-Bezug der Truppe, wenn ihre Vertreter bei Veranstaltungen mit Kapuzen-Shirts auftauchten, die der Schriftzug „Rhein Ahrische Jugend“ „zierte“.
In der rechten Szene hat sich das „Aktionsbüro“ im legalen Teil seiner Arbeit insbesondere als Veranstalter der seit 2009 jährlich stattfindenden „Trauermärsche“ in Remagen und der vorherigen Kampagne zu den alliierten „Rheinwiesenlagern“ für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs einen Namen gemacht.
Seit Frühjahr 2011 treten Neonazis aus den Regionen Köln/Leverkusen, Wuppertal, Düsseldorf, Aachen, Bonn und Ahrweiler unter dem gemeinsamen Label „Rheinland“ auf. Bei Demonstrationen wie im vergangenen August in Bad Nenndorf oder zwei Monate später in Hamm marschierten sie in einem geschlossenen Block, vorneweg ein Transparent mit dem alten Wappen des NS-Gaus Rheinland. Viele Neonazis im Block trugen ein weißes T-Shirt mit dem Aufdruck „Rheinland“ – quasi ein regionsspezifisches, neonazistisches „Corporate Design“. Oder wie es in jenem „Manifest“ des „Aktionsbüros“ in etwas anderem Zusammenhang heißt: „Wer Deutschlands Freiheit erstreiten möchte, muss sich als Teil einer Gemeinschaft verstehen. Folglich haben sich die verbliebenen Freiheitskämpfer auch zu einer solchen zu formieren!“
Werbetour für den „Nationalen Antikriegstag“ in Dortmund
Auch jenseits der Symbolik arbeiten die Kameradschaften seit Anfang 2011 eng zusammen. Im August 2011 veranstalteten sie eine „Kundgebungstour“ durch das Rheinland mit Stationen in Pulheim, Bonn, Bad Neuenahr und Leverkusen, mit der für den „Nationalen Antikriegstag“ Anfang September in Dortmund geworben werden sollte. Mit einem Reisebus und einem vom ABM gestellten Lautsprecherwagen fuhren ungefähr 70 Teilnehmer der Aktion von Stadt zu Stadt, um dort kurze Kundgebungen durchzuführen, die sie zwar bei den Ordnungsbehörden angemeldet, aber nicht öffentlich beworben hatten.
Ähnlich viele Teilnehmer kamen am 8. November zu einer nicht angemeldeten Demo im Düsseldorfer Stadtteil Kaiserswerth, bei der vermummte Neonazis abends mit Fackeln und Pyrotechnik nach dem Muster der „Unsterblichen“ durch die Straßen zogen. Wer letztlich für die Aktion verantwortlich war, steht bis heute nicht fest. Viel spricht dafür, dass Akteure des ABM zumindest führend mitmischten. Auf dessen Internetseite hieß es am folgenden Tag in Anspielung auf den „Hitlerputsch“ vom 8./9. November 1923: „Mit dieser Aktion wollte man wahrscheinlich an die erste Erhebung der jungen nationalsozialistischen Bewegung und deren Blutzeugen erinnern. Dasselbe Streben von damals nach einem freien, geeinten und gerechten Reich der Deutschen führt auch heute noch junge, treue Deutsche raus auf die Straße – so wie gestern. Auch wenn die Form und Mittel nicht mehr dieselben sind, der Geist bleibt es.“