Landtag Bayern

Grüne veröffentlichen Analyse demokratiefeindlicher AfD-Aussagen

Eine neue Dokumentation der Grünen im bayerischen Landtag untersucht Reden der 2018 erstmals eingezogenen AfD-Fraktion. Das „Braunbuch“ sieht sich als Beitrag zur Bewertung der Partei – zwischen politischer Analyse und juristischer Vorbereitung eines möglichen Verbotsverfahrens. 

Freitag, 31. Oktober 2025
Thomas Witzgall
Die Fraktion der Grünen hat die Reden der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag zusammengefasst, analysiert y die entsprechende Dokumentation veröffentlicht.
Die Fraktion der Grünen hat die Reden der AfD-Fraktion im bayerischen Landtag zusammengefasst, analysiert y die entsprechende Dokumentation veröffentlicht.

Der Grünen-Landtagsabgeordnete Toni Schuberl hat zusammen mit seiner Fraktion ein „Braunbuch“ über die AfD-Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode vorgelegt und dazu die Plenarprotokolle analysieren lassen – eine ungeheure Fleißaufgabe. Ziel ist es, die Debatte um ein Verbot der AfD zu unterstützen; danach wurden auch die Zitate zusammengestellt. 390 Seiten umfasst das downloadbare PDF. Am meisten Raum nehmen dabei Aussagen zum „ethnisch-homogenen Volksbegriff“ und zur „Lüge vom totalitären Staat“ ein. Über durchgehenden Applaus und fehlende Distanzierung sollen die Äußerungen gemäß den Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts der Fraktion als Ganzes zugerechnet werden.

Um sich von vornherein dem Vorwurf zu entziehen, die Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen, wurde der Kontext teils über Gebühr mit abgedruckt, und einzelne Belege gehen so gerne mal über mehrere Seiten. Schuberl und Co. wollen damit auch eine Leerstelle füllen. Das Landesamt für Verfassungsschutz wertet mit Blick auf die hohe Stellung von Abgeordneten die Parlamentsarbeit nicht aus. Gerade unter dem Eindruck, dass die AfD mit jeder Wahl – gerade besonders im Fokus stehende – Funktionäre in die Parlamente entsendet (Meußgeier, Dierkes, Nolte, Mixl, Brucker), entsteht so eine gewisse Lücke in der Bewertung der extrem rechten Partei. Aus parlamentarischen Äußerungen könne im besonderen Maße auf die von einer Partei verfolgten Ziele und Konzepte geschlossen werden, entschied das Bundesverfassungsgericht im Urteil zur NPD aus dem Jahr 2017.

Umfangreiche Belegsammlung

Auf 250 Redeauszüge kommt die Belegsammlung laut Eigenangabe. Die Urheberschaft Schuberls zeigt sich auch dadurch, dass sich neben Plenarprotokollen auch Diskussionen aus dem Rechtsausschuss wiederfinden, dem Schuberl angehört. Aus anderen Ausschüssen wurde – bis auf die Abwahl des damaligen Vorsitzenden des Bildungsausschusses – nichts Einschlägiges beigetragen. Außerparlamentarisch liegt der Fokus zudem auf Äußerungen des AfD-Abgeordneten Ralf Stadler aus Schuberls Heimatregion Passau. Beide gerieten auch im Plenum schon oft aneinander.

Obwohl sich die Zusammensetzung der Fraktion durchaus gewandelt hat, stehen mit der Fraktionsvorsitzenden Katrin Ebner-Steiner und Christoph Maier als Parlamentarischem Geschäftsführer zwei Protagonisten der aktuellen AfD-Fraktionsführung im bayerischen Landtag im Fokus. Beide galten auch als Antreiber beim Begehren nach Neuwahlen gegen den aktuellen Landesvorstand, das den letzten Parteitag in Greding zu einer Selbstbeschäftigung verkommen ließ.

Fehlende Verknüpfung mit Gerichtsentscheidungen

Von Christoph Maier stammt auch insgesamt das eindeutigste Zitat in der Sammlung. Am 29. September 2021 sprach er im Plenum davon, es gäbe heute „7–8 Millionen Deutsche weniger“ als zum Ende des Zweiten Weltkriegs, womit er alle Staatsbürger mit Migrationshintergrund ausgeschlossen hatte. Ein entsprechendes ethnisches Verständnis des Volkes stelle laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts einen Angriff auf die Menschenwürde dar und stehe auch im Kern der Diskussion um ein AfD-Verbot.

Was der umfangreichen Dokumentation allerdings fehlt, ist eine Rückbindung der Aussagen an bereits ergangene Urteile zur AfD-Einstufung. Eine solche Verknüpfung mit gerichtlichen Bewertungen hätte der Sammlung zusätzliche Unabhängigkeit und Autorität verliehen – vor allem in Bereichen, die demokratiefeindliche Äußerungen oder die pauschale Kriminalisierung von Geflüchteten betreffen. Dort haben Verwaltungsgerichte in einer Reihe von Fällen eindeutige von gerade noch zulässigen Äußerungen abgegrenzt. Gerade in solchen Grenzfällen hätte eine stärkere Orientierung an der Rechtsprechung geholfen, um dem möglichen Vorwurf zu begegnen, das „Braunbuch“ prangere lediglich Aussagen an, die vor allem Grünen, Linken und Progressiven missfallen, ohne notwendigerweise von allen Demokraten gleichermaßen abgelehnt zu werden.

Erzählung der „Passdeutschen“

Diese fehlende Rückbindung schlägt sich auf einer Seite auch mal zugunsten der AfD-Fraktion nieder, als das bereits zweimal via Gesetzentwurf eingebrachte Minarettverbot nur als Eingriff in die Religionsfreiheit gewertet wurde. Das Bundesverfassungsgericht und das Oberverwaltungsgericht für Nordrhein-Westfalen in Münster sahen hier hingegen direkt eine Verletzung der Menschenwürde.

Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, 13 K 326/21, März 2022 AfD gegen Bundesamt für Verfassungsschutz
Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln, 13 K 326/21, März 2022 AfD gegen Bundesamt für Verfassungsschutz

Was ebenfalls nicht mit einbezogen wurde, ist die parlamentarische Arbeit der Fraktion mit Anträgen, Gesetzesentwürfen oder Anfragen als Ganzes. Zwar stellt jeder Abgeordnete seine Fragenkataloge an die Staatsregierung für sich – eine Zurechnung zur Fraktion erfolgt nicht. Dennoch dürfte sich aus der Gesamtschau der Anfragen zur Kriminalität ergeben, dass hier weite Teile der Fraktion auf die Unterfütterung der Erzählung des „Passdeutschen“ hinauslaufen. Diese Unterteilung wird von den Gerichten durchgehend als einschlägig gewertet und fand sich auch in der Zitatesammlung wieder. Der Oberpfälzer Abgeordnete Stefan Löw taucht so etwa mit dem gleichen Beispiel auf, mit dem sich auch seine Parteichefin Alice Weidel in den Urteilen zur Beobachtung der AfD wiederfindet.

Immer wieder Migration aufs Tableau

Bei der AfD war man hier durchaus kreativ, wenn etwa der als „gemäßigt“ beschriebene Franz Bergmüller sich neben dem „Klassiker“ des Vornamens für die Religion auch für die „Volksgruppe innerhalb des Geburtslandes“ und die Essgewohnheiten eines 15-Jährigen interessierte, der für die Eskalation einer Abi-Party verantwortlich gemacht wurde, oder die Staatsregierung fragte, ob „fremdländische Täter“ nicht pauschal härter bestraft werden könnten.

Anfrage Franz Bergmüller (AfD) DRS 18/3920 vom 26.07.2019
Anfrage Franz Bergmüller (AfD) DRS 18/3920 vom 26.07.2019

In der aktuellen AfD-Fraktion wird diese Arbeit konsequent fortgeführt. Erst kürzlich wurde in einem Antragspaket zur inneren Sicherheit gefordert, in der Kriminalstatistik Mehrfachstaatsangehörigkeiten aufzunehmen und bei Gewalt gegen Polizeibeamte das Geburtsland auszuweisen. Nicht nur bayerische AfD-Politiker fordern als Endziel, jedweden Migrationshintergrund zu erfassen und in die Statistik aufzunehmen.

Leerstelle geschlossen

Und während die Aufnahme einiger Beispiele fragwürdig erscheint – etwa des Abgeordneten Oskar Atzingers als mögliche Anspielung auf die vor allem mit dem NSU in Verbindung gebrachte Anmerkung „Ich komme wieder, keine Frage“ –, schaffen es andere Formulierungen nicht in die Zusammenstellung, etwa Andreas Winharts verstörende Aussage vom „italienisch verwalteten Südtirol“, als es um den Brenner-Tunnel gehen sollte – ein Thema, das fast ausschließlich von völkischen Nationalisten bespielt wird. Der mittlerweile im Bundestag sitzende frühere Fraktionsvorsitzende Ingo Hahn forderte im Mai 2019 im Rahmen einer Haushaltsdebatte von Innenminister Joachim Herrmann eine gedankliche „Transferleistung“ ein: Der Zaun des Münchner Flughafens schütze den Großen Brachvogel vor dem Aussterben, weil die gezogene Grenze Prädatoren abhielte. „Grenzen setzen – das schützt Leben.“ Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass Hahn das „Prinzip“ auch auf Migranten übertragen haben wollte.

Insgesamt schließt das „Braunbuch“ eine Leerstelle – wenn auch nur für einen Teilaspekt der Bewertung der AfD-Fraktion. Es erleichtert die Suche nach Belegen, die für einen möglichen AfD-Verbotsantrag relevant sein könnten, neben dem Zitat Christoph Maiers etwa durch die Dokumentation von Begriffen wie „Großer Austausch“ oder „Bevölkerungsaustausch“, die laut Gerichtsurteilen auf ein ethnisch homogenes Volksverständnis hinweisen. Bei vielen weiteren Beispielen bleibt hingegen die bereits bemängelte Rückbindung an die Rechtsprechung offen – gerade in den juristischen Grenzbereichen, ob sie eins zu eins in einen Antrag übertragbar wären. Zugleich macht die Analyse deutlich, dass die aktuelle Diskussion über ein AfD-Verbot nicht erst auf jüngste Entwicklungen zurückgeht, sondern entsprechende Belege zumindest für die bayerische AfD-Fraktion – und damit der parlamentarischen Vertretung einer der größten Landesverbände der Partei – schon seit Jahren vorliegen.

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