„Ideenklau“ von links
Gramsci in "neuer Neuentdeckung" bei der Neuen Rechten
„Ideenklau“ von links ist bei der Neuen Rechten weit verbreitet. Benedikt Kaiser will sich stärker mit Antonio Gramsci, einer Lichtgestalt des westlichen Marxismus, beschäftigen. Damit sollen die Intellektuellen und die Masse für den Rechtsextremismus stärker zusammen gebracht werden.
Alain de Benoist veröffentlichte 1985 mit „Kulturrevolution von rechts. Gramsci und die Nouvelle Droite“ seinen ersten Sammelband in deutscher Sprache. Der Chefideologe der französischen Neuen Rechten machte damit erstmals breiter im deutschen konservativ-rechten Spektrum auf sich aufmerksam. Außergewöhnlich an diesem Buch war bereits das Titelbild, zeigte es doch Che Guevara und darüber eine antike Maske. Ähnliches Erstaunen löste der gewählte Untertitel aus. Denn bei dem genannten Gramsci handelte es sich um Mitbegründer der italienischen Kommunistischen Partei.
Benoist sah im Denken dieses westlichen Marxisten wichtige strategische Optionen, welchen sich auch in ihrem Agieren die Neue Rechte bedienen sollte. Dazu hieß es: „Alle großen Revolutionen der Geschichte haben nichts anderes getan, als eine Entwicklung in die Tat umzusetzen, die sich zuvor schon unterschwellig in den Geistern vollzogen hatte. Man kann keinen Lenin haben, bevor man einen Marx hatte.“ Und weiter hieß es, „um die politische Mehrheit auf Dauer zu erringen, muß man zunächst die ideologische Mehrheit erringen …“
Instrumentalisierende Deutung des italienischen Marxisten
Diese Auffassungen leitete Benoist aus Gramsics Schriften ab. Dieser war seinerzeit von den italienischen Faschisten verhaftet und ins Gefängnis gesteckt worden. Dort schrieb er seine Gedanken in einzelne Hefte auf, welche später als „Gefängnishefte“ auch in deutscher Sprache erschienen. Gramsci äußerte sich darin zu den unterschiedlichsten Themen, sei es der Kriminalroman oder Machiavelli, sei es die Philosophie oder die Presse. Gleichzeitig stellte er darüber Gedanken an, warum es in Europa nicht zu einer Revolution wie in Russland gekommen sei.
Die Antwort auf diese Frage lautete: In Europa sei der bürgerliche Staat noch durch eine Zivilgesellschaft geschützt gewesen, er wäre nicht nur ein reines Repressionsinstrument wie eben in Russland gewesen. Demgemäß plädierte Gramsci dafür, zunächst eine kulturelle Hegemonie zu erlangen und erst danach einen politischen Umsturz anzustreben. Genau diese Auffassung übertrug dann Benoist auch auf die Neue Rechte. Fortan berief man sich ebendort gern auf Gramsci, ohne sich aber (so der Chefredakteur der „Jungen Freiheit“ Dieter Stein) mit ihm tiefschürfender beschäftigt zu haben.
„Ideenklau“ für „Theorie und Praxis in Bewegung“
Eine Änderung deutet sich dazu bei Benedikt Kaiser an, innerhalb der Neuen Rechten gehört er zu den jüngeren Vertretern. Seine Besonderheit als Publizist besteht darin, dass Kaiser gern für die Neue Rechte linke Strategien übernehmen will. Selbst aus der Auffassung von Rosa Luxemburg über eine „revolutionären Realpolitik“ bediente er sich für eine „rechte“ Strategie. In einer jüngeren Buchveröffentlichung ist auch Gramsci für Kaiser ein Thema. Er arbeitet zuletzt für einen AfD-Bundestagsabgeordneten und dürfte weiter in der vom „Institut für Staatspolitik“ herausgegebenen „Sezession“ publizieren.
Sein an Gramsci vorgenommener „Ideenklau“ findet sich in „Theorie und Praxis in Bewegung“, einem Beitrag in dem Sammelband „Die Konvergenz der Krisen“. Bei seinen Ausführungen zu einem nötigen Einklang von Ideologie und Praxis folgt ein Zitat auf das andere Zitat. Damit wird Gramsci von Kaiser wortwörtlich auf rechtsextremistische Strategien übertragen: „Begreift man Theoriearbeit nicht als intellektuelle Selbstrettung, Weltflucht oder Theorie-um-ihrer-selbst willen … kommt man einem integralen Politikverständnis näher …“.
Intellektuelle und die Masse in innerer Verbindung
Diese Betrachtungen hängen mit der beabsichtigen Etablierung einer „Mosaik-Rechten“ zusammen, die auf einen Einklang von Partei (AfD und Umfeld) und Vorfeld (Bewegungsformen, Neue Rechte etc.) zielt. Dabei müsse die Intellektuellen-Feindschaft im eigenen Lager zugunsten eines Theorie-Praxis-Zusammenhangs überwunden werden. Die Intellektuellen sollten sich in das praktische Leben einmischen, als Ideenvermittler und Inspiratoren, Konstrukteure und Organisatoren. Es müsse zwischen den Intellektuellen und der Masse eine innere Verbindung geben.
Während Benoist auf der philosophischen Ebene verblieb und primär an eine geistige „Kulturrevolution von rechts“ dachte, geht es bei der Gramsci-Rezeption von Kaiser auch um den gesellschaftspolitischen Kontext. Dabei blickt er sowohl auf die Ebene des „Kulturkampfes“ wie der Parteipolitik. Es gelte hier, vom Gegner zu lernen. Für Gramsci-Kenner ist absehbar, was Kaiser längerfristig bezweckt. Ein frühzeitiges Erkennen der gemeinten Strategie würde dazu dienen, einen Gradmesser für die Perspektiventwicklung eines allgemeinen „Rechtsrucks“ zu haben.