„Graben für Germanien“ – rechtsextremistische Germanen-Verklärung zwischen Archäologie und Ideologie
Obwohl bereits der Begriff „Germanen“ eine Fremdbezeichnung der Römer für eine unübersichtliche Zahl verschiedener Stämme war, die aufgrund des Fehlens einer Schriftkultur keine mit den Zivilisationen des Mittelmeers vergleichbaren Zeugnisse hinterließen, erfolgte bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts deren Überhöhung. Dadurch stellte die Gesellschaft des jungen, erst 1871 vereinten deutschen Kaiserreichs einen Bezug zur Vergangenheit her. Der völkischen Bewegung diente dies zudem zur rassistisch motivierten Abgrenzung gegenüber dem Ausland und zur antisemitischen Agitation. Eine übergreifende Bedeutung hatte der Philologe und Archäologieprofessor Gustaf Kossinna (1858-1931), da er nicht nur die sich entwickelnde Altertumsforschung prägte, sondern auch die völkische Bewegung beeinflusste und sich an den Deutungsbemühungen der Nationalsozialisten beteiligte.
Der unter der Redaktion von Uta Halle und Dirk Mahsarski entstandene Begleitband zur Ausstellung thematisiert sowohl das Wirken der Altertumswissenschaftler als auch die Theorien völkischer Laienforscher und schließlich das diese Personenkreise zusammenführende Engagement einflussreicher NS-Funktionäre. So beteiligte sich Kossinna an dem 1928 vom NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg gegründeten „Kampfbund für deutsche Kultur“ (KfdK). Rosenberg wiederum nutzte nach der „Machtergreifung“ sein „Amt Rosenberg“ für die ideologische Deutung der deutschen Vorgeschichte. Zu seinem Konkurrenten entwickelte sich jedoch der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler mit der zur SS gehörenden Vereinigung „Ahnenerbe“, wobei sich dieser letztendlich im Ringen um innerparteilichen Einfluss durchsetzte. Die Apparate der beiden führenden Nationalsozialisten förderten einerseits ihnen genehme Wissenschaftler, um vermeintliche Belege für eine von ihnen gesehene Kulturhöhe der Germanen zu erhalten. Andererseits entwickelte sich vor allem das „Ahnenerbe“ zu einer Heimstätte für „Schwarmgeister und Phantasten“. Zu diesen gehörten sein erster Präsident Herman Wirth (1885-1981), nach dessen Auffassung die Germanen Nachfahren der Bewohner der einst im Atlantik gelegenen Insel Atlantis waren, und der mit den in Ostwestfalen gelegenen Externsteinen beschäftigte Wilhelm Teudt (1860-1942). Vor diesem Hintergrund erfolgten unter anderem Grabungen an den Externsteinen, die trotz erfolgloser Verläufe dazu genutzt wurden, die Felsformation zu einer germanischen Kultstätte zu erklären.
Der Begleitband stellt in Einzelbeiträgen sowohl die im NS-Staat ausgebauten Forschungsstrukturen als auch bedeutende Ausgrabungen vor und beschäftigt sich mit der Germanenverklärung im alltäglichen Leben des „Dritten Reichs“. Darüber hinaus thematisiert er Ausgrabungen in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Ländern sowie die „Germanische Leitstelle“, mit der die SS sich um die Beeinflussung des kulturellen Lebens in Skandinavien bemühte und über die sie dort Freiwillige für die Waffen-SS anwarb. In der Gesamtschau zeigt sich eine Verflechtung der Archäologie mit dem Nationalsozialismus. Bei ihr handelte es sich sowohl um die Einflussnahme der NS-Ideologie auf die Wissenschaft als auch um die Bewegung der Wissenschaft hin zur NS-Ideologie.
Wer die heutige rechtsextremistische Szene längerfristig betrachtet, kann feststellen, dass sowohl die Vorstellungen der völkischen Archäologen als auch die skurrilen Behauptungen der „Schwarmgeister und Phantasten“ weiterhin in ihr verbreitet sind. Das Gedankengut findet sich sowohl bei der NPD und bei neonazistischen Gruppierungen als auch bei den verschiedenen Verlagshäusern und insbesondere den subkulturellen Bereichen. Dadurch besteht beim Thema „Germanien“ eine ideologische Verbindung zwischen dem „Dritten Reich“ und dem zeitgenössischen Rechtsextremismus. Dieser Aspekt hätte deshalb eine stärkere Aufmerksamkeit im Begleitband verdient gehabt. Zwar beschäftigen sich Jan Raabe und Dana Schlegelmilch mit ihm, konzentrieren sich aber in ihrem knappen Beitrag auf die Produkte der subkulturellen Musik- und Bekleidungshersteller. Dem Projekt „Graben für Germanien“ kommt dennoch der Verdienst zu, dass es die historischen Hintergründe der rechtsextremistischen Germanenrezeption verdeutlicht.
Focke-Museum
Graben für Germanien
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 2013
216 Seiten, 29,95 Euro
Der unter der Redaktion von Uta Halle und Dirk Mahsarski entstandene Begleitband zur Ausstellung thematisiert sowohl das Wirken der Altertumswissenschaftler als auch die Theorien völkischer Laienforscher und schließlich das diese Personenkreise zusammenführende Engagement einflussreicher NS-Funktionäre. So beteiligte sich Kossinna an dem 1928 vom NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg gegründeten „Kampfbund für deutsche Kultur“ (KfdK). Rosenberg wiederum nutzte nach der „Machtergreifung“ sein „Amt Rosenberg“ für die ideologische Deutung der deutschen Vorgeschichte. Zu seinem Konkurrenten entwickelte sich jedoch der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler mit der zur SS gehörenden Vereinigung „Ahnenerbe“, wobei sich dieser letztendlich im Ringen um innerparteilichen Einfluss durchsetzte. Die Apparate der beiden führenden Nationalsozialisten förderten einerseits ihnen genehme Wissenschaftler, um vermeintliche Belege für eine von ihnen gesehene Kulturhöhe der Germanen zu erhalten. Andererseits entwickelte sich vor allem das „Ahnenerbe“ zu einer Heimstätte für „Schwarmgeister und Phantasten“. Zu diesen gehörten sein erster Präsident Herman Wirth (1885-1981), nach dessen Auffassung die Germanen Nachfahren der Bewohner der einst im Atlantik gelegenen Insel Atlantis waren, und der mit den in Ostwestfalen gelegenen Externsteinen beschäftigte Wilhelm Teudt (1860-1942). Vor diesem Hintergrund erfolgten unter anderem Grabungen an den Externsteinen, die trotz erfolgloser Verläufe dazu genutzt wurden, die Felsformation zu einer germanischen Kultstätte zu erklären.
Der Begleitband stellt in Einzelbeiträgen sowohl die im NS-Staat ausgebauten Forschungsstrukturen als auch bedeutende Ausgrabungen vor und beschäftigt sich mit der Germanenverklärung im alltäglichen Leben des „Dritten Reichs“. Darüber hinaus thematisiert er Ausgrabungen in den während des Zweiten Weltkriegs besetzten Ländern sowie die „Germanische Leitstelle“, mit der die SS sich um die Beeinflussung des kulturellen Lebens in Skandinavien bemühte und über die sie dort Freiwillige für die Waffen-SS anwarb. In der Gesamtschau zeigt sich eine Verflechtung der Archäologie mit dem Nationalsozialismus. Bei ihr handelte es sich sowohl um die Einflussnahme der NS-Ideologie auf die Wissenschaft als auch um die Bewegung der Wissenschaft hin zur NS-Ideologie.
Wer die heutige rechtsextremistische Szene längerfristig betrachtet, kann feststellen, dass sowohl die Vorstellungen der völkischen Archäologen als auch die skurrilen Behauptungen der „Schwarmgeister und Phantasten“ weiterhin in ihr verbreitet sind. Das Gedankengut findet sich sowohl bei der NPD und bei neonazistischen Gruppierungen als auch bei den verschiedenen Verlagshäusern und insbesondere den subkulturellen Bereichen. Dadurch besteht beim Thema „Germanien“ eine ideologische Verbindung zwischen dem „Dritten Reich“ und dem zeitgenössischen Rechtsextremismus. Dieser Aspekt hätte deshalb eine stärkere Aufmerksamkeit im Begleitband verdient gehabt. Zwar beschäftigen sich Jan Raabe und Dana Schlegelmilch mit ihm, konzentrieren sich aber in ihrem knappen Beitrag auf die Produkte der subkulturellen Musik- und Bekleidungshersteller. Dem Projekt „Graben für Germanien“ kommt dennoch der Verdienst zu, dass es die historischen Hintergründe der rechtsextremistischen Germanenrezeption verdeutlicht.
Focke-Museum
Graben für Germanien
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart, 2013
216 Seiten, 29,95 Euro