Godensholt: „Bürgerliche“ Scharfmacher

Ziel ist es, die Dynamik der antidemokratischen rechten Protestbewegung auch im Hintergrund in Gang zu halten, Menschen aus bürgerlichen oder alternativen Kreisen mit verschwörungsideologischen und antisemitischen Inputs weiter zu schulen und neue bürgerliche Zielgruppen zu erreichen. Ort der Treffen: eine Gastwirtschaft nahe Oldenburg.

Montag, 24. März 2025
Johann Frerichs / Aljoscha Höpfner / Andrea Röpke
Kayvan Soufi-Siavash, bekannt als Ken Jebsen, trat am Wochenende nahe Oldenburg auf, Foto: Archiv
Kayvan Soufi-Siavash, bekannt als Ken Jebsen, trat am Wochenende nahe Oldenburg auf, Foto: Archiv

„Ich bin ein Wiederholungstäter und heute schon zum sechsten Mal hier“, berichtet ein mittelalter Mann mit Halbglatze aufgekratzt. Er ist bereits eine Stunde vor Einlass zur Veranstaltung mit Kayvan Soufi-Siavash (bekannt als Ken Jebsen) in der Gaststätte „Zum alten Erbkrug“ in Godensholt im Landkreis Ammerland angereist und auf der Suche nach Gleichgesinnten zum Unterhalten. „Montag war ich bei Dr. Wodarg und davor bei Dirk Pohlmann, und bei Gabriele Krone-Schmalz und dann noch ..“

Er muss überlegen, zu viel war los in Godensholt. Eine ganze Liste von VerschwörungsideologInnen gibt sich in dem kleinen Ort seit 2024 die Klinke in die Hand. Über 200 Autos aus dem gesamten Nordwesten der Republik parkten am 17. März zum Vortrag des Politikers der Querdenken-Partei Die Basis, Wolfgang Wodarg. Für das rechtsextreme Compact-Magazin ist der ehemalige Leiter des Gesundheitsamtes Flensburg laut ihrer Sonderausgabe „Die Querdenker – Liebe und Revolution“ einer der wichtigsten „Köpfe“ neben Verschwörungsideologen wie Sucharit Bhakdi, Heiko Schöning und Bodo Schiffmann. Wodarg referierte in Godensholt über „WHO und Politik: Macht Korruption und Manipulation“, für 30 Euro das Ticket. Das Ammerland ist Teil seiner Vortragstournee, letzten Samstag trat Wodarg vor großem Publikum im „Gildehaus“ in Lüchow-Dannenberg auf.

Der Rechtscoach

Am Freitagabend wird dann ein Star der rechten Querdenken-Szene in der 900 EinwohnerInnen starken Gemeinde auf dem platten Land erwartet: Kayvan Soufi-Siavash bekannt als Ken Jebsen. Zentrale Figur hinter den Veranstaltungen scheint Claas Krüger aus Bad Zwischenahn. Ihm ist es zum zweiten Mal gelungen, den antisemitischen Pop-Star einzuladen, die beiden kennen sich. Als selbsternannter Heilungsexperte talkte Claas mit „dem Journalisten und ehemaligen Waldorfschüler“ Soufi-Siavash über die Ernennung des Coronaleugners Robert F. Kennedy Jr. zum US-amerikanischen Gesundheitsminister. Von dessen Berufung erhofften sie sich im Gespräch einen Impuls auch für den deutschen Widerstand. 

Regelmäßig wird die Gaststätte "Zum alten Erbkrug" für Veranstaltungen aus dem Querdenken- und verschwörungsideologischem Milieu genutzt, Foto: Johann Frerichs
Regelmäßig wird die Gaststätte "Zum alten Erbkrug" für Veranstaltungen aus dem Querdenken- und verschwörungsideologischem Milieu genutzt, Foto: Johann Frerichs

Erst zwei Wochen vorher habe Soufi-Siavash zugesagt, seine Vorpremiere von „Der Wortschaft der Menschheitsfamilie – Vom Denken zum Sein – eine philosophische Interaktion“ hier abzuhalten, sagt Krüger. Dafür bedankt sich der schlaksige Mann im Jeanshemd auch beim Betreiber des „Alten Erbkrugs“. Der will zunächst auf Medien-Nachfrage nichts vom politischen Hintergrund wissen, zeigt dann im Gespräch, dass es ihn aber auch nicht zu stören scheint.

Mit Wohnmobil angereist

Das große schwarze Wohnmobil von Soufi-Siavash parkt auf dem Hinterhof neben dem Eingang. Schwarz ist auch der Schlabberlook, als er über den Hof eilt. Er ist nicht ansprechbar, scheint gereizt. Als einer der frühen Gäste ihm begeistert die Hand schütteln will, wirkt der ehemalige Radiomoderatior kurz angewidert. Emsig schiebt Claas Krüger dessen Bücher mit einem Rollwagen über den Hof. Dass sein Stargast vom Berliner Verfassungsschutz beobachtet wird, stört weder den umtriebigen Esoterik-Unternehmer noch die zahlenden Gäste.

Krügers Verein „Nova Sana Gesellschaft für Gesundheit“ organisiert Veranstaltungen wie diese in Godensholt. Bei mindestens drei Vorträgen kooperiert er mit dem lokalen Ableger „Sektion Oldenburg“ der von Markus Krall gegründeten, rechts-libertären „Atlas Initiative“. Der „Crash-Prophet“ ist von der Werte-Union zur rechtsliberalen und latent rassistischen Partei Bündnis Deutschland gewechselt. Krall war bereits drei Mal vor großem Publikum in Oldenburg zu Gast. Beim Jebsen-Vortrag präsentiert sich Kralls „Atlas Initiative“ mit Blöcken, Stiften und Schnickschnack. Die „Sektion Oldenburg“ wird von einem AfD-Mitglied angeführt. Das Ticket kostet auch bei Jebsen 30 Euro, im Saal werden Frikadellen, Käsebrötchen und Getränke zum Verkauf angeboten. Hefte des „Free 21 Magazins“ liegen im Saal aus. Titel: „Informationskrieg gegen die Redefreiheit“ darunter: „Ende der westlichen Demokratie?“

Umstürzlerische Muntermacher

Die meisten TeilnehmerInnen kennen jemanden hier, unterhalten sich schon aufgeregt in der Warteschlange. Neue Gemeinschaften sind entstanden, radikale Ideologie schweißt zusammen. Eine junge Frau nimmt einen jungen Terrier mit hinein. „Komm Hündchen! Such den Verfassungsschutz!“, scherzt ein älterer Mann. Sie lachen viel, gemeinsam und laut. Der Saal füllt sich. Soufi-Siavash hat sich umgezogen, trägt jetzt Hemd und Weste, er stimmt sich mit einem regionalen Tontechniker ab. Alles muss stimmen. Circa drei Stunden soll die Einschwörungsshow dauern.

Ken Jebsen im Gespräch mit Journalisten vor Beginn der Veranstaltung, Foto: isso.media
Ken Jebsen im Gespräch mit Journalisten vor Beginn der Veranstaltung, Foto: isso.media

Claas Krüger begrüßt die Gäste per Du: „Es wird heute nicht so sein, dass ihr euch zurücklehnen und berieseln lassen könnt, im Gegenteil.“ Krüger deutet das Credo des mit Codes und Verklausulierungen gespickten Abends an, demnach sei das „Wunder der Rettung“ nicht von „denen da oben an der Spitze“ zu erwarten. Dann betritt Jebsen salopp die Bühne, hat vom Arroganz- auf Sympathie-Modus umgeswitcht. Er wird zwischen Stammtischzoten und philosophischen Zitaten, strammrechten Parolen und Witzchen fließend hin und her springen. Wird Menschen mit persönlichen Problemen auf die Bühne holen, den mal lauten und mal leiseren verständnisvollen Einflüsterer geben.

Seid „wilde Tiere“

Jebsen will „Anstifter“ sein. Das Ziel: Den Widerstand seiner Zuhörerschaft zu schüren. Wogegen sie genau kämpfen sollen, bleibt im Trüben. „Seid keine Zootiere, sondern wilde Tiere“, ist so ein Spruch. Die geopolitische Lage sei günstig, sodass „wir als patriotische Deutsche“ endlich das machen könnten, „was wir immer schon wollten.“ Dazu diene dieses „Vernetzungstreffen“. „Wenn in zwei Jahren möglicherweise wirklich ein Ruck durch Deutschland geht“, seien die Leute, „die jetzt dabei sind“, die „Bodengruppe“, die „es machen“. Wie genau der „Ruck“ aussehen soll, auch das lässt Jebsen offen.

Ganz ähnlich aber argumentiert auch der Kopf der „Identitären Bewegung“ Martin Sellner in seinem Buch „Regime Change von rechts“: „Nach zwei bis drei Jahren erfolgreicher Kampagnenarbeit“ könne das „Altparteiensystem“ blockiert werden. „Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung sollten Teil der Widerstandsbewegung sein und ein starkes Mobilisierungspotential bilden“, so der rechtsextreme Stratege aus Wien.

Demokratiemüder Landadel und rechte Hippies

Ebenso heterogen wie die antidemokratischen Einheizer ist auch deren Publikum in Godensholt. Einige Jüngere mit Tattoos sind ebenso dabei wie Männer im Anzug und Frauen in edlen Kostümen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Lokal kaum erreichbar. Teure Autos und Wohnmobile auf dem Parkplatz fallen ins Auge. Einige BesucherInnen heben den Arm auf die Frage, ob sie schon öfter im „Alten Erbkrug“ dabei waren. Andere bestätigen Jebsen, dass sie unzufrieden mit ihrem persönlichen Umfeld sind oder ihre Arbeit nicht mögen. Jebsen interagiert geschickt.

Es wird viel gelacht, geklatscht und die Stimmung heizt sich allmählich auf. Ein wütendes „Volksverräter“ ist zu hören. Beim Stichwort „Selensky“ wird wie auf Abruf gebuht. Seit Jahren verortet sich Jebsen an der Seite von Putins Russland. Laut NDR-Podcast „Cui bono: WTF happened to Ken Jebsen“ kooperierte er mit dem russischen Propagandaorgan RT Deutsch.

Von Ulrike Guérot über Thilo Sarrazin bis hin zu Markus Krall

Schließlich möchte Soufi-Siavash den „Brandmauer-Wahnsinn“ gegen die rechtsextreme AfD beenden. Auch habe er sich vor einigen Tagen mit Jürgen Elsässer getroffen, dem Macher des „Compact“-Medienimperiums.

Mit dem Auftritt von Soufi-Siavash wird die mehrere Hunderte Personen starke Fangemeinde im Nordwesten in ihrem Selbstverständnis als expandierende demokratiekritische Protestbewegung gestärkt. Einen Tag später sollen schon die „Anwälte für Aufklärung“ in Godensholt auftreten. Im April wird Ulrike Guérot angekündigt, für den 9. Mai Thilo Sarrazin. Im August wird dann „Atlas“-Gründer Markus Krall erwartet. Claas Krüger aus Bad Zwischenahn scheint die verschwörungsideologische Szene im Ammerland, Ostfriesland, Emsland und Oldenburg beisammen zu halten. Radikalisierende politische Indoktrination im Treffpunkt Godensholt. Krügers Nova Sana-Telegramkanal folgen über 1.000 Abonnenten. Unter anderem wird dort Rolf Kron beworben, ein Arzt und schwäbischer Verschwörungsideologe, der den Nationalsozialismus relativiert und auf der Bühne einer Querdenken-Veranstaltung den Hitlergruß gezeigt haben soll.

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