Gewalttätigkeiten auf der Buchmesse

Die Frankfurter Buchmesse bot dieses Jahr dem neurechten Verlag Antaios von Götz Kubitschek eine Plattform. Im Schlepptau reisten rechtsextreme Szene-Größen an. Auch bei Veranstaltungen anderer rechter Verlage kam es zu Gewalt.

Montag, 16. Oktober 2017
Fabian Jellonnek*

Die Plakate, auf denen unter anderem Zitate von Kurt Tucholsky stehen, liegen bereits zerrissen am Boden. Einem jungen Mann reicht das noch nicht. Mitten in der aufgeheizten Menge sammelt er die Einzelteile auf und zerfetzt sie in kleinste Bestandteile. Ein Mann, ein Mob, und die Möglichkeit, seine Vernichtungsphantasien auszuleben.

Bereits am Tag bevor auf der Frankfurter Buchmesse Zitate des vom NS-Regime verfolgten Schriftstellers Tucholsky zerrissen werden, wird deutlich, welches Klientel die dort ausstellenden rechten Verlage anziehen. Der 74-jährige linke Verleger Musik-Verleger, Achim Bergmann, passiert den Stand der rechten Zeitung „Junge Freiheit“. Auf dem Podium spricht dort Karlheinz Weißmann. Ihm hören einige Dutzend Menschen zu. Viele tragen Anzüge, geben sich bürgerlich. Weißmanns Thesen, die die Wurzel allen Übels in der 68er-Generation sehen, werden hier offenbar geteilt.

74-Jährigen zu Boden geschlagen

Achim Bergmann vom Trikont-Verlag teilt sie nicht und das lässt er das Publikum wissen. „Nicht nur feine Worte“, habe er gerufen, sagt Bergmann am Samstag, die Spuren der Reaktion vom Standpublikum sieht man ihm da noch an. Bergmann schildert, dass es auf seine deutliche Kritik an den „rechten Parolen vom Podium“ zunächst Widerworte gab. Dann sei ein Mann mittleren Alters auf ihn zu und habe ihn vollkommen unerwartet mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Der 74-jährige geht zu Boden, blutet aus dem Mund. Später attestiert ein Arzt ein Schädel-Hirn-Trauma.

Samstags, am Tag nach der Attacke, ist Achim Bergmann gefasst, aber immer noch wütend. Ihn empört vor allem die Reaktion vom Stand der „Jungen Freiheit“. Der Täter kehrte nach der Attacke zum Stand zurück. Vom Podium und aus dem Publikum habe es keinerlei Distanzierung vom Angreifer und auch keine Unterstützung für ihn gegeben, sagt Bergmann: „Die Leute von der ‚Jungen Freiheit' geben sich hoch-bürgerlich, reden ständig von Anstand und gucken dann tatenlos zu, wie ein 74-jähriger verprügelt wird“. Auch als Bergmann und seine Lebensgefährtin kurz nach der Attacke an den Tatort zurückkehren, um den Schläger zu stellen, wird er vom Stand der „Jungen Freiheit" nicht unterstützt. Den flüchtenden Täter stellen schließlich Mitarbeiter von einem Comic-Verlag, der gegenüber der „Jungen Freiheit“ seinen Stand hat.

„Verlage gegen Rechts"-Aufkleber

Die Debatte über rechte Verlage ist bereits vor dem Vorfall auf der Buchmesse omnipräsent. Die Bildungsstätte Anne Frank führt die ganze Woche über die Aktion „Mund aufmachen“ gegen Rassismus durch. Ein junger Zusammenschluss verschiedener Verlage verteilt unter dem Motto „Verlage gegen Rechts“ Aufkleber und Lesezeichen. Wohl selten hat man auf der Buchmesse so viele Titel gegen Rechts und Rassismus so weit vorne in den Regalen der Aussteller gesehen. Die Kulturschaffenden sind wach.

Aufgeweckt vom allgemeinen Rechtsruck in der Gesellschaft, ein Stück weit aber auch zur klaren Positionierung gezwungen. Denn der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Veranstalter der Messe, hat nicht nur den Messe-Dauergästen der „Jungen Freiheit“ abermals ein Forum geboten, sondern dieses Jahr auch für den neurechten Verleger Götz Kubitschek mit seinem Antaios-Verlag Platz geschaffen. Für den Börsenverein ist dies ein Ausdruck von Meinungspluralismus.

Antaios-Veranstaltung mit Björn Höcke und "Identitären"

Kubitschek und seine Gefolgsleute demonstrieren die ganze Woche über, dass sie keine gewöhnlichen Aussteller sind. Wichtiger als die Vermarktung von Büchern scheint diesem Verlag die ständige Provokation. Kubitschek und seine Frau Ellen Kositza stellen sich vor Ständen linker Verlage oder Bundeszentrale für politische Bildung in kämpferischer Pose auf und lassen sich dabei filmen. Eine Szenarie, die man entweder bedrohlich oder peinlich finden kann. Danijel Majic, Reporter der „Frankfurter Rundschau“ und Mitautor des Buchs „Die Mythen der Rechten“ berichtet auf einer Veranstaltung, dass Kubitscheks Leute auf all seinen Lesungen vor Ort waren und mitunter versuchten, Veranstaltungen zu stören.

Am Besucher-offenen Samstagnachmittag hat der Antaios-Verlag seine größte Veranstaltung anberaumt. Aufgefahren werden der AfD-Rechtsaußen Björn Höcke, der wegen Volksverhetzung verurteilte Autor Akif Pirincci sowie Martin Sellner und Mario Müller von der „Identitären Bewegung“.

Neonazis Schröder und Reich im Publikum

Bereits eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn ist das „Forum Bildung & Wissenschaft“, auf dem die Veranstaltung stattfindet, gut gefüllt. Angezogen hat das Format nicht nur etliche bekannte Gesichter der „Identitären Bewegung“, sondern auch den bayerischen Neonazi Patrick Schröder und Maximilian Reich von den Jungen Nationalisten Baden-Württemberg. Ob das Ausdruck einer verstärkten Zusammenarbeit sei? Patrick Schröder setzt ein schiefes Grinsen auf und sagt, er sei lediglich „interessierter Besucher“.

Ein paar Meter weiter berichtet ein „Identitärer" seinen Mitstreitern aufgeregt von einem Gespräch mit einem Mitarbeiter der Messe-Security. Dieser habe ihm versichert, dass man „alle Deppen abräumen“ werde, die gegen die Veranstaltung protestieren. Auch Kubitschek ist im Vorlauf der Veranstaltung immer wieder im engen Austausch mit dem Security-Dienst der Messe. Auf spätere Nachfrage versichert ein höher gestellter Mitarbeiter der Security-Firma, dass er sich solche Aussagen seiner Kollegen nicht vorstellen könne, „wir haben schließlich viele Mitarbeiter mit Migrationshintergrund“.

Demonstranten geschubst und geschlagen

Zu Beginn der Veranstaltung gibt es einzelne Zwischenrufe von Gegnern der Rechten. Nach etwa zehn Minuten hält eine kleine Personengruppe bunte Plakate hoch. Auf den Plakaten steht das Tucholsky Zitat: „Der Leser hat es gut, er kann sich seine Autoren aussuchen". Auf anderen steht „Still loving books - Still not lovin hate“ oder „Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen“. Für das anwesende Publikum ist das der Provokation zu viel.

Junge Männer springen den Demonstranten in den Rücken und zerren an den Plakaten. Einer beginnt zu skandieren „Jeder hasst die Antifa". Sofort stimmt die Masse mit ein, auch ältere Besucher der Veranstaltung rufen mit. Innerhalb kürzester Zeit bringt dies die Stimmung zum Kippen. Die Demonstranten werden nun aus allen Richtungen geschubst und geschlagen. Später berichten die Aktivisten, sie seien am Hals gepackt und angespuckt worden. Die Plakate sind nach wenigen Minuten zerrissen. Die Stimmung ist aufgeheizt. Auch dem Verleger scheint plötzlich egal zu sein, was sein Stargast Björn Höcke zu erzählen hat: Kubitschek mischt im Pulk mit. Flankiert wird er von der Messe-Security. Inbrünstig brüllt auch der wegen Volksverhetzung verurteilte Akif Pirincci seinen Hass auf die Antifa in den Raum.

Pressevertreter durch Security behindert

Als die Demonstranten versuchen, aus der Menge zu entkommen, wird der Stadtverordnete Nico Wehnemann, der sich an der Protestaktion beteiligte, von einem Security-Mitarbeiter festgehalten und von hinten zu Boden gerungen. Die Polizei nimmt Wehnemann danach mit auf die Wache. Der Stadtverordnete, auf dessen Eintrittskarte zur Buchmesse „Ehrengast“ steht, erhält einen Platzverweis für die Messe. Der Mitarbeiter der Security-Firma bleibt zunächst unbehelligt, erst am Sonntag kann Wehnemann Anzeige erstatten. Pressevertreter werden während des Vorgangs von den Security bei der Arbeit behindert. Dem Autor dieser Zeilen sagt ein Security-Mitarbeiter: „Für dich gilt die Pressefreiheit sowieso nicht.“

Später gibt es noch eine große Protestaktion gegen den Verlag. Den Demonstranten gelingt es, die Veranstaltung so zu stören, dass sie nicht länger durchgeführt werden kann. Schließlich bricht Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, die Veranstaltung ab. Götz Kubitschek und seine Anhänger, die mit Gewalt gegen bunte Plakate vorgehen, sehen darin einmal mehr ihre Meinungsfreiheit beschnitten. Während Boos das Ende der Veranstaltung verkündet, skandiert die Menge „Heuchler“. Auch der Verleger Götz Kubitschek stimmt mit ein, während er neben Boos steht.

*Fabian Jellonnek gründete im März gemeinsam mit einem Kollegen achtsegel.org - Büro für demokratische Kommunikation & politische Bildung im Netz

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