Gewaltphantasien und Drohgebärden

Am Mittwoch begann in Leipzig der achte Prozess gegen die mutmaßlichen Täter des Angriffs auf Connewitz vom Januar 2016. Während der Verhandlung kam es zu Bedrohungen durch anwesende Neonazis – und auch ein Anwalt machte keinen Hehl aus seiner rechten Einstellung.

Donnerstag, 24. Januar 2019
Alex Berg
Zerstörter Eingangsbereich nach dem Angriff auf Connewitz, Foto: Tim Wagner
Zerstörter Eingangsbereich nach dem Angriff auf Connewitz, Foto: Tim Wagner
Die bisherigen Prozesse gegen die mutmaßlichen Angreifer auf den Leipziger Stadtteil Connewitz liefen am Amtsgericht Leipzig fast alle nach dem gleichen Schema ab: Jeweils zwei der 217 Personen wurden zusammen angeklagt. Das Gericht bot den Angeklagten im Vorfeld Absprachen an, wenn jene sich geständig zeigten und versprach im Gegenzug dazu eine gewisse Strafhöhe nicht zu überschreiten. Dies wurde von den bisherigen Angeklagten angenommen, auch wenn ihre Geständnisse über ein Zugeständnis, vor Ort gewesen zu sein, selten hinaus ging. So konnten Zeugen ausgeladen und die meisten Hauptverhandlungen innerhalb weniger Stunden abgeschlossen werden. Am Mittwoch war vieles anders. Zum ersten Mal saßen vier statt nur zwei Personen auf der Anklagebank. Die Angeklagten werden sich in diesem Prozess nicht äußern, das stand gut eine Stunde nach Verhandlungsbeginn fest. Verständigungsgespräche waren sowohl im Vorfeld, als auch vor Ort gescheitert. Was folgte, war die Vorladung diverser Zeugen. Die Strategie der Angeklagten unterschied sich von den vergangenen Prozessen. Jene stellten sich als einzelne unwissende Einzelgänger dar, die zwar zugaben, an den Ausschreitungen am 11. Januar 2016 beteiligt gewesen zu sein, jedoch nicht gewusst haben wollen, worauf sie sich einließen und auch überhaupt niemanden der anderen kannten. Zu dieser Strategie schien auch zu gehören, öffentlich – zumindest im Gerichtssaal – keinen Kontakt miteinander zu haben. Dies änderte sich am gestrigen Verhandlungstag. Nicht nur verweigerten die vier Angeklagten Nick W., Andreas L., Sven H. und Kevin K. ein Geständnis, auch schien es ihnen egal zu sein, ob ihre Bekanntheit miteinander offensichtlich wurden. Sie plauderten auf der Anklagebank miteinander und mit ihren Neonazi-Freunden im Publikum. Von jenen waren fünf erschienen, mit denen sie auch während der Verhandlung Kontakt hielten. Unter ihnen befand sich Thomas K., der wahrscheinlich selbst noch für den Angriff auf Connewitz auf der Anklagebank sitzen wird und gegen den aktuell ein Verfahren wegen des Angriffs auf die Wohnung des sächsischen Justizministers Gemkow im November 2015 läuft.

Weitergabe von Zeugendaten und Bedrohung der Öffentlichkeit

Der rechte Austausch erhielt seinen vorläufigen Höhepunkt, als – während Anwälte, Richterin und Staatsanwaltschaft am Richterpult standen und sich von einem Zeugen etwas auf einer Stadtkarte zeigen ließen – Thomas K. dem Angeklagten Kevin K. einen Zettel zusteckte. Der schaute kurz in die Prozessakte, schrieb etwas auf den Zettel und reichte ihn Thomas K. zurück. Zu dem Zeitpunkt sagte gerade ein Zeuge aus, über dessen Behinderung sich die beiden Rechtsextremen mokierten, als er die von ihm beobachteten Zerstörungen beschrieb. Als Zuschauer*innen das Gericht auf den Zetteltausch aufmerksam machten, wurden sie von den anwesenden Neonazis bedroht und beschimpft. Das Gericht zeigte sich zwar nicht einverstanden, forderte jedoch auch nicht, den Zettel zu zeigen. Auch vorher schien es dem Gericht entgangen zu sein, dass die Neonazis im Publikum andere Personen beschimpft hatten.

Neun Millimeter vergessen?

Als er mitbekommen habe, wo er hier hinkommt, habe er bereut, keine 9 mm mitgenommen zu haben. Dies äußert der Anwalt Dirk Waldschmidt in einer Zeugenbefragung vor den Augen der Staatsanwaltschaft und Richterin bei der Verhandlung gegen seinen Mandanten Kevin K. Immer wieder konstruierte Waldschmidt, der früher stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Hessen war, eine Bedrohungslage für „normale Bürger”, die durch die Bewohner_innen Connewitz’ bestünde. Wolle man sein Auto loswerden, so müsse man es doch nur mit einem „nationalen Sticker” im Süden abstellen. Die Ironie dabei? Bei dem Neonazi-Angriff auf Connewitz, anlässlich dessen sein Mandant sich derzeit vor Gericht verantworten muss, entstand ein Gesamtschaden von circa 113.000 Euro, von denen ein gewisser Teil auf demolierte und zerstörte Autos entfällt. Selbstverständlich blieb dies seinerseits unerwähnt. Auch die Strategie der Verteidigung hat sich gewandelt. Offenbar versucht die Verteidigung seit der misslungenen Einigung zwischen ihren Mandanten und dem Gericht, den Prozess soweit wie möglich in die Länge zu ziehen. So wird jeder Zeuge aufgefordert, die Aussagen auf einer Karte zu zeigen; es werden spekulative, suggestive und verfahrensirrelevante Fragen gestellt; die Staatsanwaltschaft wird in ihrer Befragung unterbrochen und bei jeder Gelegenheit werden gerichtliche Entscheidungen in Frage gestellt. Ob die vier Angeklagten, wie die bisherigen Prozesse zeigen, zu einer Bewährungsstrafe verurteilt werden, bleibt daher unklar. Die bisherige juristische Bearbeitung der Prozesse zeichnet zumindest ein eindeutiges Bild: Die Verfahren sollen ohne allzu große öffentliche Aufmerksamkeit abgehandelt werden, von Aufarbeitung kann kaum noch die Rede sein. Die beschuldigten Neonazis zumindest sind sich selbst vor Gericht so sicher, dass Andersdenkende eingeschüchtert und bedroht werden.
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