Verfassungsschutzbericht
Gewaltbereitschaft so hoch wie nie zuvor
Das Bundesamt für Verfassungsschutz zeigt sich alarmiert: In den Bereichen Rechtsextremismus und Reichsbürger waren die Zahlen des gewaltbereiten Personenspektrums noch nie so hoch. Insbesondere vor der Gefahr radikalisierter Täter ohne Anbindung an bekannte Strukturen wird gewarnt.
Laut heute vorgestelltem Verfassungsschutzbericht ist die Personenzahl im Berichtsjahr 2021 bei den Rechtsextremisten unter Abzug von Mehrfachmitgliedschaften von 33.300 auf 33.900 angestiegen. Darunter befinden sich 13.510 gewaltorientierte Angehörige, ein Höchststand seit Einführung dieser Kategorisierung. Und auch bei den Reichsbürgern/Selbstverwaltern kletterten die Zahlen: Von 20.000 auf 21.000 bei 2.100 gewaltorientierten Akteuren (ein Plus von 100). Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hob insbesondere die hohe Waffenaffinität im Personenkreis des rechtsextremen und Reichsideologen-Bereichs hervor.
Mit Blick auf das zweite Corona-Jahr sprach er in der zu beobachtenden Entwicklung von einer Internationalisierung und Virtualisierung der Szene. Besorgniserregend ist laut Jahresbericht eine Hinwendung auch hierzulande zur von James Nolan Mason in den USA verbreiteten „Siege“-Theorie, eine Ideologie, die auch zu Terrorakten gegen Staat, Infrastruktur, Minderheiten und Politikprominenz animiert, um ein Bürgerkriegsszenario anzufachen.
Verdachtsfall „Junge Alternative“
In diesem Zusammenhang werden Gruppenbeispiele wie Atomwaffendivision oder Feuerkriegsdivision und Nachahmungsversuche benannt. Mit Blick auf einzelne Chatgruppen und dort ausgetauschten Inhalten heißt es vom Verfassungsschutz, dort würden Gewaltphantasien wie Folter und Mordaufrufe auf der Tagesordnung stehen.
Innerhalb des rechten Parteienspektrums haben NPD (von 3.500 auf 3.150) und Die Rechte (von 550 auf 500) personell eingebüßt, der Dritte Weg (von 600 auf 650) legte leicht zu. Bei den verschiedenen Wahlen auf Bundes- und Landesebene schaffte keine der drei Parteien die Ein-Prozent-Marke. Die Junge Alternative (JA) als Jugendorganisation der AfD ist für den Verfassungsschutz Beobachtungsobjekt in Form eines Verdachtsfalls. Die JA zählt aktuell 1.600 Mitglieder, in der Mehrzahl der eigenen Funktionärsspitze völkisch-nationalistisch ausgerichtet, im eigenen Sprachgebrauch wird von „solidarisch-patriotisch“ gesprochen. Das Personenpotenzial bei parteiungebundenen Strukturen wird auf 8.500 (zuvor 7.800) taxiert. Das unstrukturierte Spektrum bringt es nach 13.700 auf nunmehr 15.000 Anhänger.
12,2 Prozent mehr antisemitische Straftaten
Bei den Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) im Bereich „rechts“ fällt vor allem auf, dass die registrierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund um 12,2 Prozent auf 2.439 Delikte kletterten. Unter den Reichsbürgern/Selbstverwaltern wuchs die Deliktzahl von 772 auf 1.330, auch bei diesem Personenkreis wuchsen die antisemitischen Straftaten (von 42 auf 48).
Der Anschluss an die Proteste gegen Corona-Maßnahmen nahm in der rechten Szene breiten Raum ein. Dabei agierten besonders die „Freien Sachsen“ als ein über regionale Dimensionen hinaus aktiver Mobilisierungsmotor. Eine Themen-Instrumentalisierung war auch bei der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz zu beobachten.
Identitäre Bewegung verliert Manpower
Die rechte Musikszene tauchte auch Pandemie-begingt weniger durch Live-Konzerte auf, dafür jedoch durch eine gestiegene Anzahl von Tonträgern. Ausführlich besprochen wird im Jahresbericht das Treiben der Neuen Rechten. Die dazu gerechnete Identitäre Bewegung unter dem Vorsitzenden Philip Thaler hat von 575 auf 500 Anhänger eingebüßt.
Im Kapitel zu den Reichsbürgern wird auf die Bemühungen eigener Schul- und Lernprojekte durch den „Vaterländischen Hilfsdienst“ (VHD), einer Untergruppierung von „Bismarcks Erben“, hingewiesen. Der VHD fiel auch durch die Ausstrahlung eigener Podcasts auf. Die 2020 eigentlich unter anderem auch wegen ihrer antisemitischen Ausrichtung verbotene Organisation „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ setzte ihre Aktivitäten fort. Laut einem Beitrag unter dem Titel „Kein Eigenthum für Juden“ werden Juden Grundrechte und das Recht auf Eigentum abgesprochen. Auffällig im Berichtsjahr waren auch die nicht rechtmäßigen Geld (Bank)- und Versicherungsgeschäfte unter dem Titel „Gemeinwohlkasse“ der selbst ernannten Gruppierung „Königreich Deutschland“.