Geschichtsmythen, Legenden über den Nationalsozialismus

Der „Fall“ des hessischen CDU-Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann belegt, wie ungebrochen die Neigung mancher Menschen ist, die historischen Fakten des Nationalsozialismus zu leugnen.

Donnerstag, 06. Mai 2004
Gudrun Giese
Hohmanns Vergleich des Holocausts mit Verbrechen jüdischer Bolschewiken ist nur ein Beispiel für ein ganzes Arsenal an Lügen und Legenden über die Nationalsozialisten. Mit eben diesem Thema „Rechtsextreme Geschichtsmythen: Legenden über den Nationalsozialismus“ beschäftigten sich die Teilnehmer einer Fachtagung im April 2002, veranstaltet von der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen und dem Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Die Beiträge der Tagung sind jetzt in einem Sammelband erschienen. Damit liegt eine detaillierte und kenntnisreiche Auseinandersetzung mit gängigen Legendenbildungen im rechten politischen Spektrum vor. In acht Beiträgen wenden sich die Autoren unter anderem Mythen um den Antisemitismus, der „Auschwitzlüge“, den Ursachen des Zweiten Weltkrieges oder den „Nazi-Idolen“ Rudolf Heß, Gregor und Otto Straßer sowie Albert Speer zu. Wolfgang Benz, Leiter des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, zeigt in seinem einleitenden Beitrag einen geradezu idealtypischen Fall von Legendenbildung. Um die Behauptung zu unterfüttern, Juden hätten Deutschland den Krieg erklärt und Antisemitismus und Vernichtung der Juden seien quasi „Notwehrreaktionen“ gewesen, beziehen sich Angehörige des rechten Spektrums bis heute auf das Buch „Germany Must Perish!“ des amerikanischen Werbemanns Theodore N. Kaufman. Buch und Person existierten tatsächlich, nicht aber die bereits von den Nazis behaupteten Verbindungen Kaufmans in die amerikanische Politik. Von einer engen Beziehung zu US-Präsident Theodore Roosevelt konnte überhaupt keine Rede sein. Obwohl feststeht, dass Kaufman ein unbedeutender Zeitgenosse war und sein Buch – ein wirrer Plan zur Zwangssterilisation der Deutschen – in den USA so gut wie unbeachtet blieb, wird bis in die Gegenwart der „Kaufman-Plan“ aus der Mottenkiste geholt, um antisemitische Vorurteile zu schüren; etwa in dem Aufsatz „Verbotene Trauer“, verfasst von Klaus Rainer Röhl, erschienen 2002. Ein besonders perfides Beispiel für Mythen und Legenden der rechten Szene ist die „Auschwitzlüge“. Juliane Wetzel beschäftigt sich in ihrem Beitrag insbesondere mit den so genannten Revisionisten, die mit Penetranz darauf beharren, dass eine revidierte Geschichtsbetrachtung zu dem Ergebnis kommen müsse, „dass der Holocaust nicht stattgefunden habe, sondern von jüdischer Seite als der Betrug des 20. Jahrhunderts lanciert worden sei“. Dabei unterliegt das Leugnen historischer Fakten offensichtlich einer Konjunktur: Sei der Revisionismus in den siebziger und achtziger Jahren bei Alt- wie Neonazis hochpopulär gewesen, so Wetzel, verschwand das Thema in den neunziger Jahren scheinbar in der Versenkung, um mit der Ausbreitung des Internets „wieder entdeckt“ zu werden. Unter dem Deckmäntelchen der (Pseudo-)Wissenschaftlichkeit werde nicht allein der Holocaust geleugnet, sondern das gesamte Wirken der Nationalsozialisten verharmlost und gerechtfertigt. Dabei zitierten Revisionisten wie Robert Faurisson, Thies Christophersen oder David Irving zum Beleg ihrer „Wissenschaftlichkeit“ mit Vorliebe gegenseitig aus ihren Werken und bezögen sich nie auf die tatsächlichen Quellen, so Wetzel. Auch die Idealisierung einstiger Nazigrößen wie Albert Speer, die Gebrüder Straßer und Rudolf Heß funktioniert im Wesentlichen über die Ausblendung wichtiger Fakten aus den Biographien. Michael Kohlstruck zeichnet nach, wie sich etwa Hitlers Lieblingsarchitekt Albert Speer vor dem Internationalen Gerichtshof in Nürnberg „zum Technokraten ohne ideologischen Willen“ stilisieren konnte. Speer leugnete nicht seine Schuld, doch verstand er es, sie klein zu reden. „Anders als im Fall Straßer und Heß suchte nicht die extreme Rechte bei Speer Antworten, sondern die gute Gesellschaft.“ Doch tatsächlich, so Kohlstruck, habe sich der Architekt an der systematischen Unterdrückung belastender Dokumente beteiligt; Dokumente, die etwa Speers Verantwortung für die Zwangsevakuierung Berliner Juden nachweisen – um Raum für seine geplante Mammutstadt „Germania“ zu schaffen. Mit seinen zahlreichen gut belegten Beispielen und Hintergrundinformationen ist der Band ausgezeichnet für den Schulunterricht und die politische Bildungsarbeit geeignet.
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