Waffen für die Entführung von Karl Lauterbach

Gericht hält Neonazi nicht für einen Überzeugungstäter

Der bayerische Neonazi und Ex-Soldat Julian V. hatte angeboten, die Umsturzpläne der Reichsbürger-Gruppierung „Vereinte Patrioten“ durch Waffenlieferungen in großem Stil zu unterstützen. Jetzt wurde er deshalb vom Münchner Oberlandesgericht verurteilt – zu einer Bewährungsstrafe. Es ist bereits das dritte Urteil gegen Mitverschwörer der Vereinigung, die unter anderem Gesundheitsminister Lauterbach entführen wollte.

Montag, 14. Oktober 2024
Joachim F. Tornau
Der am Montag verurteilte Julian V. ist ehemaliger Bundeswehrsoldat, Foto: Screenshot Facebook
Der am Montag verurteilte Julian V. ist ehemaliger Bundeswehrsoldat, Foto: Screenshot Facebook

Es ist nicht ganz leicht, die Übersicht zu bewahren angesichts all der Reichsbürger, die den gewaltsamen Umsturz in Deutschland angestrebt haben sollen. Da ist nicht nur die „Patriotische Union“ um den Immobilienunternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß, deren mutmaßlichen Mitgliedern derzeit in drei Großverfahren in Frankfurt, München und Stuttgart der Prozess gemacht wird. Es gibt, nicht nur namentlich zum Verwechseln ähnlich, auch noch die „Vereinten Patrioten“.

Deren, nun ja, patriotischer Plan soll es gewesen sein, Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen und mit Sprengstoffanschlägen für einen wochenlangen Stromausfall im ganzen Land zu sorgen. Alles mit dem Ziel, die Verfassung des deutschen Kaiserreichs von 1871 wieder in Kraft zu setzen. Am Montag wurde ein Neonazi, der der „Kaiserreichsgruppe“, wie die umstürzlerische Truppe von den Behörden auch genannt wird, tonnenweise Waffen in Aussicht gestellt hatte, vom Oberlandesgericht München zu einer 20-monatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Kostenlose Waffenlieferung?

Der Staatsschutzsenat befand, dass sich Julian V. der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gemacht habe. Der 42-Jährige, ein ehemaliger Bundeswehrsoldat aus Wolfratshausen, hatte den Verschwörer*innen angeboten, zehn Tonnen Waffen und Munition aus einem angeblich vergessenen NATO-Depot im einstigen Jugoslawien zu besorgen. Kostenlos, wie er versprach. Dazu kam es allerdings nie. Genauso wenig wie zu der „konstituierenden Versammlung“ in Berlin, bei der 277 Männer von Gnaden der Umstürzler*innen das Ende der Bundesrepublik sozusagen offiziell beschließen sollten und für die auch Julian V. zugesagt hatte.

Auf Facebook veröffentlichte Julian V. einen Post über den Gesundheitsminister Karl Lauterbach, den die Gruppe mutmaßlich entführen wollte, Foto: Screenshot
Auf Facebook veröffentlichte Julian V. einen Post über den Gesundheitsminister Karl Lauterbach, den die Gruppe mutmaßlich entführen wollte, Foto: Screenshot

„Es spielt für den Schuldspruch keine Rolle, ob der Angeklagte das ernst gemeint hat“, sagte Senatsvorsitzender Philipp Stoll. Entscheidend sei, dass er den Putschplänen, so irrwitzig und aussichtslos sie auch gewesen seien, mit seinen Zusagen weiteres Futter gegeben habe. „Wenn man auf diese Weise zündelt, muss man damit rechnen, dass ein Großbrand ausbricht.“

Vernichtungsfantasien gegen die Grünen

Das Gericht sah in Julian V. zwar mehr als einen Mitläufer. Ideologische Überzeugung aber sprach es ihm ab: Der weitgehend geständige Angeklagte sei weder Reichsbürger noch Anhänger von Verschwörungserzählungen. „Er hat eine besondere militaristische Vorliebe und ein Geltungsbedürfnis“, sagte Stoll. Er fabuliere gerne, vor allem unter Alkoholeinfluss, und habe „eine gewisse Distanz“ zur Corona-Politik. Das war’s. Auf die tiefbraune Gesinnung, die Julian V. im Internet offen an den Tag legt, ging der Richter bei der Urteilsbegründung mit keinem Wort ein.

Dabei nennt der Angeklagte auf seinem Facebook-Profil, das er noch bis kurz vor seiner Verhaftung im Oktober 2023 pflegte, als „Lieblingszitat“ den SS-Wahlspruch „Unsere Ehre heißt Treue“. Er postete Vernichtungsfantasien gegen die Grünen und ein Video, das, unterlegt mit dem Propagandasong einer rechtsextremen Liedermacherin, die nationalsozialistische Wehrmacht verherrlicht. Bei Seiten, die SS-Einheiten oder der NSU-Terroristin Beate Zschäpe gewidmet sind, klickte er auf „Gefällt mir“. Und auch für die faschistische kroatische Ustascha zeigt er Sympathien.

Weitere Mitverschwörer

Julian V. ist bereits der dritte verurteilte Mitverschwörer der „Vereinten Patrioten“. Wie er war im Juli in Hamburg auch der Rentner Frank M. mit einer Bewährungsstrafe davongekommen. Der 67-Jährige aus Schleswig-Holstein hatte sich unter anderem bereit erklärt, in einem Segelboot über die Ostsee zu schippern, um bei Russlands Präsident Wladimir Putin um Unterstützung für den Staatsstreich nachzusuchen. Zudem war er nach Überzeugung des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Gespräche über die Beschaffung von Waffen eingebunden.

Wie sich Frank M. vor Gericht präsentierte, entsprach einem Muster, das sich in den Reichsbürger-Prozessen immer wieder erleben lässt: reuig und geständig an der Oberfläche, doch nach Kräften bagatellisierend, wenn es konkret wird – und nicht eben arm an Widersprüchen. Er sei da nur „hereingerutscht“, weil ihm während der Corona-Pandemie so langweilig gewesen sei und er sich schon seit Jugendtagen für Geschichte begeistert habe, sagte der Mann. „Es war für mich ein normaler Austausch von geschichtlich Interessierten. Man steigerte sich dann immer mehr hinein.“

Ehemaliger „Die Basis“-Bundestagskandidat

Frank M. hatte sich nacheinander in mehreren Reichsbürger-Vereinigungen engagiert, wusste nach eigenem Bekunden auch Bescheid über das Treiben von Prinz Reuß und hätte, wenn alles scheitern würde, nichts gegen einen russischen Einmarsch in Deutschland gehabt. Aber, sagte er: Ein Rechter sei er keinesfalls, die Bundesrepublik habe er „akzeptiert“, die Verfassung des Kaiserreichs sei für ihn lediglich der Weg zu mehr „Basisdemokratie“ gewesen. Und mit Gewalt habe er, der freimütig über Waffenkäufe chattete und illegal einen Revolver besaß, selbstverständlich nie etwas zu tun haben wollen.

Strenger fiel dagegen im August ein Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf aus: Es schickte Marc G., einen ehemaligen Bundestagskandidaten der Pandemie-Leugner*innen-Partei „Die Basis“ aus dem Kreis Mettmann, für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Der 50-Jährige hatte gestanden, dass er sich an den geplanten Anschlägen auf Stromleitungen beteiligen wollte. „Ich möchte mich von meinem damaligen radikalen Gedankengut distanzieren“, sagte er vor Gericht. „Ich habe mich da so reingequatscht in den Blödsinn.“

Verhandlungen bis Frühjahr 2025

Weitere Prozesse gegen mutmaßlich Beteiligte laufen noch. In Frankfurt muss sich Wilhelm P. aus dem Odenwald verantworten, der den „Vereinten Patrioten“ seine Garage als Waffendepot zur Verfügung stellen wollte. Dem 62-Jährigen, der die Vorwürfe gestanden hat, drohen maximal dreieinhalb Jahre Haft – das hat der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts schon beim Prozessauftakt Ende August signalisiert. Von „einer großen Dummheit“ sprach der Angeklagte und machte nicht zuletzt exzessives Kiffen für sein reichsbürgerliches Tun verantwortlich. An die eine oder andere Verschwörungserzählung aber glaubt er, wie vor Gericht deutlich wurde, auch heute noch.

Und dass er die Welt schon weit vor Corona durch die rechte Brille gesehen hat, zeigt ein Blick auf sein Facebook-Profil: Da gefielen ihm die AfD und andere rechtsextreme Hetzseiten. Er teilte Beiträge gegen Geflüchtete und solidarisierte sich mit dem reichsbürgernahen Sänger Xavier Naidoo, als der 2017 seine antisemitische Verschwörungshymne „Marionetten“ veröffentlicht hatte.

Vor dem Koblenzer Oberlandesgericht schließlich wird nicht nur gegen zwei weitere mutmaßliche Unterstützer*innen der Umsturzplanungen verhandelt, sondern vor allem gegen das Quintett, das die Bundesanwaltschaft für den harten Kern der „Vereinten Patrioten“ hält. Die Verhandlung gegen die vier Männer und eine Frau zieht sich seit bald anderthalb Jahren hin und gestaltet sich äußerst zäh, erst kürzlich wurden weitere Termine bis zum März 2025 angesetzt. Was die Gerichte andernorts ohne allzu viel Federlesens als bewiesen erachteten, ist hier noch hart umkämpft: dass die Angeklagten tatsächlich eine Vereinigung gebildet haben. Und dass die Ziele, die sie verfolgten, eindeutig terroristisch waren.

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