Gemeinsamkeiten von Frauenhass und Rechtsextremismus: Incels

Die Publizistin Veronika Kracher beschreibt in ihrem Buch „Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“ eine frauenfeindliche Subkultur. Darin werden immer wieder Gemeinsamkeiten mit dem Rechtsextremismus deutlich.

Montag, 16. November 2020
Armin Pfahl-Traughber

Analysiert man die Hintergründe von einigen Lone Actor-Terroristen von rechts, insbesondere ihre „Manifeste“ zu den Taten, so fällt nicht selten eine ausgeprägte Frauenfeindlichkeit auf. Dabei lassen sich viele Gemeinsamkeiten mit den „Incels“ konstatieren. Mit dieser Abkürzung kann man meist in Deutschland noch nichts anfangen. Sie steht für „Involuntary Celibates“, was so viel heißt wie „Unfreiwillige Zölibatere“. Dies sind Männer, die keine Beziehung zu einer Frau haben und eine solche Erfahrung mit Frauenhass verarbeiten.

Dabei handelt es sich nicht nur, aber primär um ein Online-Phänomen. Denn es gibt viele einschlägige Foren, worin sich die „Incels“ kommunikativ austauschen. Ihnen kommt nicht nur die Funktion einer Selbsthilfegruppe zu, hat der Frauenhass doch mitunter auch tödliche Konsequenzen. Dafür sprechen einschlägige Gewalthandlungen. Dies und noch mehr beschreibt die Publizistin Veronika Kracher in ihrem Buch zum Thema mit dem Titel „Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults“.

Die soziale Basis: junge, narzisstisch gekränkte Männer

Darin will sie einen Einblick in diese Subkultur geben, wobei immer wieder Erkenntnisse aus einer intensiven Internet-Recherche präsentiert werden. Es handele sich um junge narzisstisch gekränkte Männer, die erstens der Auffassung seien, dass es eine feministische Dominanz gebe und dadurch männliche Werte verschwinden würden, und zweitens daher keine Frau als Partnerin gefunden hätten und diese Erfahrung durch Frauenhass verarbeiteten.

Nach Ausführungen zur Rolle von Memes innerhalb der „Incel“-Community zeichnet Kracher deren bislang noch kurze Entwicklung nach, welche von der Kommunikation als Selbsthilfegruppe bis zum misogynen Terrorismus reiche. Anhand von vielen Beispielen aus der Internet-Kommunikation wird danach ein Einblick in deren Vorstellungswelt gegeben. Daraus versucht die Autorin eine eigene Ideologie abzuleiten, wobei sie viele Gemeinsamkeiten mit rechtsextremistischem und rechtspopulistischem Gedankengut entdeckt. Mittlerweile würde es auch eine Fülle von einschlägigen Internet-Foren geben.

Gemeinsamkeiten mit rechtsextremistischem Gedankengut

Als dortige Leitfigur gilt immer wieder Elliot Rodger, der 2014 sechs Menschen ermordete, weil er selbst keine sexuellen Kontakte fand. Rodgers hatte ein 130-seitiges „Manifest“ hinterlassen und Kracher nimmt eine ausführliche Analyse von diesem Text vor. Danach geht sie gesondert auf die „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bei den „Incels“ ein, wobei sie Antisemitismus, LGBTQ-Feindlichkeit und Rassismus konstatiert.

Indessen merkt die Autorin auch an, dass mehr als ein Drittel der „Incels“ wohl keine Weißen seien. Ausführlich geht sie immer wieder um einer psychologischen Analyse willen auf deren Selbstbilder ein. Dabei beschränkt sie ihren Blick nicht auf die „Incels“ selbst, denn es bestünden zwischen deren Frauenhass und dem in der männlichen Mehrheitsgesellschaft kursierenden Mentalitäten durchaus Schnittmengen. Am Ende des Buches berichtet Kracher noch von Erfahrungen mit Aussteigern aus der Szene, die einmal mehr ein plastisches Bild von den dortigen Mentalitäten vermitteln. Wichtige Begriffe erklärt dann noch ein Glossar.

Erste deutschsprachige Gesamtdarstellung zum Phänomen

Mit dem Buch liegt die erste deutschsprachige Gesamtdarstellung zu dem Phänomen vor. Die Autorin hat auch intensiv zum Thema recherchiert und trägt einschlägige Informationen in anschaulicher Weise zusammen. Dabei bemüht sie sich um eine distanzierte Darstellung, was ihr aber nicht immer gelingt, aber wiederum mehr als nur verständlich ist. Allein die Fallbespiele von Gewalthandlungen machen deutlich, dass es sich hier nicht nur um ein Forum für den Meinungsaustausch von Männern ohne Sex handelt.

Auch wenn die damit einhergehenden psychischen Dispositionen bei ihnen dominieren, gehen sie eben auch mit Frauenfeindlichkeit einher, welche wiederum bei Rechtsterroristen eine wichtige Rolle spielte. Die Ausführungen dazu, dass deren Einstellungen auch bestehenden patriarchalen Verhältnissen entsprechen, wirken etwas überzogen. Gleichwohl kann die Autorin berechtigterweise auf einschlägige Potentiale verweisen. Sie legt damit ein erstes Grundlagenwerk zu einem noch unterschätzten Phänomen vor.

Veronika Kracher, Incels. Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults, Mainz 2020 (Ventil-Verlag), 275 S., 16 Euro

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