„Gegenrechtsschutz“: Neues Projekt hilft bei juristischer Einschüchterung

Vor wenigen Tagen ist ein neues Projekt offiziell gestartet: Der „Gegenrechtsschutz“ will Menschen helfen, die sich zivilrechtlichen Schritten aus dem rechten Spektrum ausgesetzt sehen. Angesiedelt ist das Projekt bei der gemeinnützigen Initiative fragdenstaat.de und unter dem Dach des Fördervereins Open Knowledge Foundation Deutschland. Wir sprachen mit Projektleiter Arne Semsrott.

Freitag, 23. Juni 2023
Kurz nach Start hätten sich laut Projektleiter Arne Semsrott bereits die ersten Personen gemeldet, Foto: privat
Kurz nach Start hätten sich laut Projektleiter Arne Semsrott bereits die ersten Personen gemeldet, Foto: privat

Warum einen „Gegenrechtsschutz“?

Arne Semsrott: Weil wir wissen, dass Abmahnungen, also juristische Interventionen der Rechten und vor allem der extremen Rechten, in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Wir können beobachten, dass es Strukturen und eine Strategie gibt, Leute in Aktivismus, Journalismus, Wissenschaft und Kunst einzuschüchtern, die sich mit der Rechten beschäftigen. Wir glauben, dass es dieser Struktur gegenüber eine Gegenstruktur braucht. Wir haben eine Struktur gebaut, die die Erstanlaufstelle sein soll für Leute, die abgemahnt und verklagt werden, um schnell beraten und um Hilfe leisten zu können. Und zwar dann, wenn Leute möglicherweise eingeschüchtert werden durch die Post von Rechts.

Wem genau helfen Sie und bei welchen Anlässen?

Arne Semsrott: Wir unterstützen grundsätzlich Personen und Organisationen die vor allem von der extremen Rechten abgemahnt werden und die sich mit der extremen Rechten beschäftigen. Das kann zum Beispiel ein Tweet sein, wie aus unserem ersten Fall, den wir unterstützten. Da kam eine Abmahnung von Hans-Georg Maaßen an einen Flüchtlingsaktivisten aus Nordrhein-Westfalen. Es konnte durch unsere Unterstützung erreicht werden, dass das Unterlassungsbegehren weitestgehend nicht weiter verfolgt wurde. Es kann aber auch ein Theaterstück sein, wo etwa Personen aus dem Umfeld der AfD versuchen, einen Auftritt einzuschränken. Es gibt also mannigfaltige Möglichkeiten, wie versucht wird, auf Äußerungen Einfluss zu nehmen. Und für alle diese Fälle sind wir da.

Helfen Sie vorrangig Leuten ohne Rechtsschutz oder etwa auch einem renommierten TV-Magazin?

Arne Semsrott: TV-Magazine sollen sich gerne auch an uns wenden, weil wir das Ziel haben zu dokumentieren und zu vernetzen. Es ist viel zu häufig passiert, dass große Medien das dann alleine machen. Wir wollen da den Austausch fördern.  Die sollen sich gerne auch an uns wenden. Aber die finanzielle Unterstützung mit Anwält*innen aus unserem Netzwerk ist dann vorrangig für diejenigen gedacht, die das auch brauchen. Wir müssen natürlich TV-Magazinen keine Anwält*innen stellen und zahlen. Aber die, die möglicherweise ohne unsere Unterstützung eine Abmahnung unterzeichnen müssten, weil sie das Risiko nicht eingehen können, die können wir auch finanziell unterstützen.

Rechtsberatung unterliegt in Deutschland Regeln. Wer berät bei Ihnen?

Arne Semsrott: Was der Gegenrechtsschutz macht, ist eine Ersteinschätzung. Dann haben wir ein Netzwerk von Rechtsanwält*innen, die sich in dem Feld besonders gut auskennen, an die wird dann gegebenenfalls weiter vermittelt. Wir haben nicht nur eine Kanzlei, sondern wir haben sehr viele, mit denen wir zusammenarbeiten. Weil uns auch daran gelegen ist, dass es in diesem Feld sehr viele Anwält*innen gibt, die sich gut auskennen. Und wir wollen auch da den Austausch fördern.

Ihre Initiative ging an die Öffentlichkeit, als Mitwirkende und Unterstützer auch schon in der Causa Rammstein jungen Frauen rechtliche Hilfe anboten. Zudem werden auch dafür Spenden gesammelt. Wer hat wen inspiriert?

Arne Semsrott: Das ist erstmal nicht miteinander verbunden. Dieses Konzept, Rechtshilfefonds zu machen, das gibt es ja auch in anderen Bereichen schon, auch international. Das hat sich wirklich bewährt, so eine Infrastruktur zu schaffen, um vor allem Leuten die Angst zu nehmen, dass sie alleine da stehen. Es geht speziell darum, dass eine Schere im Kopf nicht entstehen soll. Wir haben jetzt schon durch Rückmeldungen davon erfahren, dass Leute es sich dreimal überlegen, ob sie etwas zur extremen Rechten schreiben, eben aus Angst vor Unterlassungserklärungen. Da können wir als Infrastruktur sagen: Falls etwas passiert, dann kannst du dich an uns wenden.

Ihre Initiative ist noch recht jung. Gab es schon Hilfeersuchen?

Arne Semsrott: Es gab schon ein halbes Dutzend Personen, die sich an uns gewendet haben. Der Bedarf ist da.

Rechtlich gesehen halten Sie also Menschen den Rücken frei. Haben Sie keine Angst, dass Rechte oder deren Anwälte nun ein paar Klagen mehr vom Stapel lassen, um Sie zu testen?

Arne Semsrott: Das können sie gerne machen. Das führt dann dazu, dass sie die Kosten tragen müssen – weil wir davon ausgehen, dass wir die Fälle, die wir dann unterstützen, auch gewinnen.
 

Das Interview führte Michael Klarmann.

Der „Gegenrechtsschutz“ kooperiert u.a. mit dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena. In einer „Dunkelfeldstudie zum strategischen Einsatz von juristischen Mitteln durch rechtsextreme Akteur*innen gegen die Zivilgesellschaft“ hat das IDZ dargestellt, dass die extreme Rechte zunehmend auch mit juristischen Mitteln gegen politische Gegner vorgeht.

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