Evangelikale
Gegen Satan - für ein neues Reich
Die neue Regierung bringt christliche Lebensschützer gegen sich auf. Evangelikale schüren Corona-Proteste wie in Niedersachsen mit.
Sie lehnen Abtreibungen und Homosexualität ab, glauben nicht an die Evolutionstheorie, sind gegen Impfungen und beteiligten sich am „Marsch für das Leben“. Inzwischen bringen sich Anhänger*innen der zahlreichen Baptistengemeinden in Deutschland bei „Spaziergängen“ von Pandemieleugnern ein. Einer von ihnen, Prediger Johann Hesse sprach am Valentinstag vor mehreren Hundert Querdenkenden in Verden.
Die Evangelikalen sind dort an der Aller stark aufgestellt, die Gründung einer eigenen privaten Christlichen Bekenntnisschule ist für nächstes Jahr geplant. Viele aus den ansässigen Gemeinden sind sogenannte Russlanddeutsche. Die Familie Hesse gehört zum Landadel, die Älteren engagieren sich für Glauben und AfD, sind bekannt mit den Familien von Storch und von Preußen. Johann Hesse setzt sich nicht nur für seinen umstrittenen Glaubensbruder Olaf Latzel aus Bremen mit öffentlichen Statements und Petitionen ein, er predigt auch an der St. Martini-Gemeinde in Bremen.
„KZ-fähige Christen“
Hesse zitierte Anfang Februar den Chemnitzer Pfarrer Theo Lehmann, der schon bei Pegida und der Jungen Alternative Sachsen auftrat: „Was wir brauchen, sind KZ-fähige Christen!“ Hesses Rede wird vom „Gemeindehilfsbund TV“ bei YouTube veröffentlicht. Dort heißt es weiter: „Wir brauchen keinen christlichen Kuschelclub, sondern wir brauchen Christen, die bereit sind, auch in die Konzentrationslager zu gehen und zu leiden für Christus“. Denn ein „Wohlfühlchristentum“ komme „nicht weit“.
Der Verdener selbst gehe auf die Straße, berichtete er am Valentinstag, weil er nicht in einem Land leben wolle, in dem „fachliche Kritik mundtot“ gemacht werde. „Wir werden aufstehen und Widerstand leisten“, rief der schmächtige Mann mit kräftiger Stimme und: „Wir lieben unsere Grundrechte, sie sind Abwehrrechte!“ Nebenbei moderiert der umtriebige christliche Aktivist bei BibelTV, betont seine Freundschaft zu Freiheitsbewegten in Israel und engagiert sich gegen vieles wie „der Lüge von der Gleichwertigkeit der Religionen“.
Gegen Mund-Nasen-Schutz und Abstandsregeln
Seiner Meinung nach wolle „der Teufel uns glauben lassen, dass es nur dieses eine Leben gibt.“ Doch „es gibt ein anderes Reich, aber das „will der Satan Dir verschließen!“ Der bibeltreue Hesse predigt in Gleichnissen, plädiert dabei nicht nur gegen Impfungen, da diese mit Zelllinien von abgetriebenen Föten entwickelt worden seien, sondern auch gegen jegliche G-Regeln und allgemeine Schutzmaßnahmen wie Maskentragen oder Abstand halten im Gottesdienst.
Die „Lichtermärsche“ in Verden sind für die Region überdurchschnittlich gut besucht. Beim Montagsspaziergang am 28. Februar ging es auch um den Krieg in der Ukraine. Die Stimmung in der Menge ließ keinen Zweifel offen, dass unter den Anwesenden viele Putin-Fans waren. Als der Redner, Unternehmer Heiko R. aus Langwedel, das von Karl Lauterbach per Twitter geäußerte Mitleid für die Kinder in der Ukraine ansprach, tönte ein Chor höhnisch: „Ooochh!“
Werbung für den „Silberjungen“
Als er sodann sagte, das sei weit schlimmer, „als das, was unsere Kinder erleben“, aber es freue ihn, dass „er empathisch für die Kinder dort ist, ich hätt´s nur auch gerne für unsere Kinder“, folgte freudiges Gejohle. Der ortsansässige Unternehmer R. sprach die „gebückte Haltung“ der Deutschen und ihrer Regierung an.
Dann betrat ein weiterer Redner die Bühne, um „ aus gegebenen Anlass in der Ukraine“ zwei Bücher vorzustellen: „Fremdbestimmt“ von Thorsten Schulte („Silberjunge“) und „Schwarzbuch EU und NATO – Warum die Welt keinen Frieden findet“. Verschwörungsideologe Thorsten Schulte spricht mit Vorliebe über „Geopolitik“, „Weltregierung“ und „Great Reset“ u.a. mit Ken Jebsen. Er gehörte zu den Störern im November 2020, die im Bundestag Abgeordnete bedrängten und sich dafür verantworten mussten.
AfD müsse handeln
Der zweite in Verden empfohlene Autor ist der ehemalige Offizier Wolfgang Effenberger, der bereits für das Compact-Magazin und Druschba FM auftrat, für den Kopp-Verlag schreibt und dessen Bücher auch vom rechtsextremen Antaios-Verlag vertrieben werden. Eine Frau der Evangelischen Freikirchlichen Gemeinde trat bei der Veranstaltung als Ordnerin in leuchtend gelber Weste auf, ein Nachwuchsprediger ist Dauergast der „Lichtermärsche“, an denen im Übrigen auch einige Lokalpolitiker*innen der AfD teilnehmen.
Auf der Straße und in zahlreichen Predigten bemüht Johann Hesse Vergleiche zur von den Nationalsozialisten verfolgten „Bekennenden Kirche“, predigt davon, dass „Christen gejagt und verfolgt“ werden und fordert sie auf, für ihre „Freiheitsrechte“ „raus auf die Straße“ zu gehen. Hesse postet bei Facebook Statements von Erika Steinbach oder Beatrix von Storch. Zu Zeiten der sogenannten Flüchtlingskrise verteidigte er Aussagen von Alice Weidel, denn für ihn sei die Grenzöffnung für Geflüchtete verantwortungslos. Der Evangelikale schreibt in seinem Statement bei Facebook über „islamistisch motivierte Straftaten mit Todesopfern“, er verstehe, dass die AfD jetzt handeln müsse, „um weitere grauenhafte Straftaten zu verhindern“. Er ist Herausgeber des Buches „Unter Gottes Führung“ mit Beiträgen u.a. der „Lebensschützerin“ Christa Mewes und von Rolf Sauerzapf, einem Pastor, der der „Neuen Rechten“ nahesteht. Hesse hat mehrfach Fahrten zum „Marsch für das Leben“ in Berlin, dem Jahresereignis der radikalen Lebensschützer, aus der niedersächsischen Provinz mitorganisiert.
„Gemeindehilfsbund“
Zudem ist Hesse Geschäftsführer einer religiösen Einrichtung in Walsrode, der „Gemeindehilfsbund“. Die gemeinnützige Organisation will „Christen in Not“ helfen, bietet Seelsorge und vor allem Veranstaltungen an. Neuer geistlicher Leiter wird im Sommer der Theologe und Dozent einer privaten evangelischen Schweizer Hochschule Stefan Felber. Auf einer vom Gemeindehilfsbund betriebenen Internetseite werden auch homophobe, antifeministische und islamophobe Texte verbreitet.
In aktuellen Schriften des „Gemeindehilfsbund“ wird gewarnt, Christen müssten wachsam sein, wenn der Staat beginne, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und die Freiheitsrechte anzugehen. Gottesdienste würden erschwert, am Widerstand in der Sowjetunion oder den verfolgten Hugenotten „kann sich die Gemeinde heute in Coronazeiten ein Vorbild nehmen“, heißt es in einer Broschüre. Im Februar wurde ein Gottesdienst des wegen Volksverhetzung erstinstanzlich verurteilten Bremer Pastors Olaf Latzel beworben.