Studie
Gefährlicher „Bodensatz“ mit Ukraine-Ressentiments
Eine neue Studie hat ergeben, dass fast jede zehnte Person Verschwörungserzählungen rund um den Krieg in der Ukraine Glauben schenkt. Dazu unterstützen 17 Prozent abwertende Äußerungen zu Geflüchteten aus der Ukraine.
Die Erkenntnisse der Untersuchung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung basieren auf einer im April und Mai durchgeführten Online-Befragung bei 6.234 Erwerbstätigen und Arbeitssuchenden. Bereits zu Beginn der Pandemie wurde das annähernd identische Erwerbspersonenpanel über Verschwörungsmythen befragt. Für die neue Expertise wurde der Personenkreis bereits zum achten Mal seit April 2020 kontaktiert.
„Dies verdeutlicht die Offenheit und Nähe des Verschwörungsdenkens gegenüber Abwertungen von als `fremd´ markierten Gruppen, die eindeutig als rechtspopulistisch eingestuft werden können.“
Auszug aus der neuen Studie
Studienautor Andreas Hövermann hat die Erhebungsdaten miteinander verglichen und stellt fest: „Ein erheblicher Anteil derjenigen, die jetzt Verschwörungsdenken zum Ukraine-Krieg teilen, waren bereits zu Beginn der Pandemie bereit, konspirativen Deutungen über das Virus zu glauben.“ Dies verdeutliche nach Ansicht des Soziologen, wie austauschbar und anpassungsfähig der Inhalt von Verschwörungsnarrativen in Krisenzeiten sei.
Verschwörungsinhalte austauschbar und anpassungsfähig
Bei Betrachtung der Antworten des zum Ukraine-Komplex befragten Personenkreises stellt sich heraus, dass Personen, die Verschwörungserzählungen zustimmen, auch eher dazu neigen, Ukraine-Geflüchtete abzuwerten. Während 17 Prozent der Befragten Ressentiments gegenüber Ukraine-Geflüchteten ausdrücken, liegt dieser Wert unter denjenigen, die dem Verschwörungsdenken zustimmen, bei 52 Prozent. Ein detaillierterer Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass weder für besondere Altersgruppen, noch beim Geschlecht besondere Auffälligkeiten herausragten.
Bezüglich Einkommens- und Bildungshintergrund der Befragten war dies anders. Deutlich mehr Zustimmung für Desinformation und Vorurteile gab es bei geringerem Bildungsgrad und kleinem Einkommen. Signifikante Unterschiede im Vergleich von West- und Ost-Bundesländern lassen sich nur bei den Abwertungen von Ukraine-Geflüchteten ausmachen, bei denen Ressentiments im Osten überwiegen. Ein weiterer Befund: Wer die eigene finanzielle Situation aktuell als stark oder äußerst belastend empfindet, neigt deutlich häufiger zu Zustimmungen für Verschwörungen und zu abwertenden Aussagen bezogen auf Ukraine-Geflüchtete.
Jeder zweite AfD-Wähler mit ablehnender Haltung gegenüber Ukraine-Geflüchteten
Aufschlussreich auch der Blick auf folgenden Corona-Vergleich: Demnach befürworteten Befragte, die sich im Januar 2022 noch nicht gegen das Coronavirus geimpft hatten, dreimal so häufig Abwertungen von Ukraine-Geflüchteten im Gegensatz zu zum Jahresbeginn bereits Geboosterten (41 vs. 13 Prozent). Ins Gesamtbild passt dann auch, dass die Befragten, die sich Anfang 2022 vorstellen konnten, dass „hinter der Pandemie eine Elite steht, die eine neue Weltordnung schaffen will“, nun fast viermal so häufig dem Verschwörungsdenken rund um den Ukraine-Krieg zustimmten wie der Durchschnitt der Befragten (34 vs. 8,7 Prozent).
Auch die Parteienpräferenz im Sinne der Sonntagsfrage wurde abgefragt. Daraus hat sich ergeben, dass 27 Prozent der AfD-Wähler (Anhänger) Verschwörungsnarrativen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg zustimmen. Noch größer ist im AfD-Lager mit 49 Prozent die Befürwortung von ablehnenden Haltungen gegenüber Ukraine-Geflüchteten.
Besorgniserregender Vertrauenskredit
In der Befragung wurden auch nach Vertrauen in System, Institutionen und Gremien gefragt und besorgniserregende Antworten eingesammelt. Wenig oder überhaupt kein Vertrauen werden demnach Parteien (56 Prozent), Bundesregierung (43 Prozent) und öffentlich-rechtlichen Medien entgegengebracht. 70 Prozent der Befragten zeigten sich zudem unzufrieden mit dem Ukraine-Krisenmanagement der Bundesregierung.
Andreas Hövermann weiß um die emotionale Bedeutung von Krisenbegegnung und -bewältigung fürs politische Klima. Daher hebt er in seinem Fazit hervor: „Umso wichtiger ist es nun, dass die umfänglichen Hilfsversprechungen (Kanzler Olaf Scholz: „You’ll never walk alone.“), auch tatsächlich eingehalten werden und nicht zu weiteren Enttäuschungen führen.“ Darauf würden Verschwörungsideologen, Rechtspopulisten und -extremisten nur warten, um daraus ihren Honig zu saugen.
Eine anfängliche Willkommenskultur gegenüber Geflüchteten aus der Ukraine scheint hierzulande inzwischen spürbar ihre Euphorie verloren zu haben. Daher bleibt der empirische Blick auf die Thematik im Kontext zunehmender Energieversorgungsprobleme und einer weiter rasanten Inflation ein wichtiger Seismograph eines gesellschaftlichen Stimmungsbildes. Umso bedeutsamer sind wissenschaftliche Betrachtungen wie diese.