Gefährliche „Volkswächter“
Immer mehr „Bürgerwehren“ machen nicht nur Stimmung im Netz, sondern sorgen auch für Angst auf der Straße.
„Ein Hoch auf die Bürgerwehr“, jubelt ein Mitglied der Facebook-Gruppe „Schwanewede & Umzu – Wir reden Klartext“. „Der Molkereiweg ist ruhig“, vermeldete dann auch die selbst ernannte Bürgerpatrouille in dem niedersächsischen Ort nahe der Landesgrenze zu Bremen. Einer der Anführer ist ausgerechnet der Sänger der Rechtsrock-Band „Strafmass“, die seit ihrer Gründung als verfassungsfeindlich gilt und für militante „Combat 18“-Strukturen wirbt. „Es ist unser Schwanewede“, schwadroniert der Neonazi-Sänger, der allerdings überhaupt nicht mehr in dem Ort wohnt.
Im Oktober berichtete die „taz“ über die Bürgerwehr, die sich vor allem aus rechten Mitgliedern der Facebook-Gruppe „Schwanewede & Umzu“ rekrutiert. Radio Bremen, NDR und weitere Medien zogen nach. Doch der Selbstjustiz-Truppe, die rund um die große Flüchtlingsunterkunft in der Lützow-Kaserne angeblich für Sicherheit sorgen will, konnte die Berichterstattung nichts anhaben. Obwohl ebenfalls bekannt wurde, dass mit Hysterie und Unwahrheiten agiert wird, laufen die zweifelhaften Wächter weiter und posten: „Die Patrouille hat besonders den Molkereiweg heute ins Visier genommen und mehrfach im Stundentakt abgelaufen.“ Aufgebrachte Facebook-User, die täglich über vermeintliche Übergriffe und Störungen durch Flüchtlinge berichten, zeigen sich erfreut: „Vielen lieben Dank an die Bürgerwehr von Schwanewede, die gerade an meinem Haus vorbei ging und mir sofort Bescheid gab, dass die Tür meines Autos weit offen stand! Wer weiß, was über Nacht noch hätte passieren können mit dem Wagen!“
Auch Frauen gehen mit „auf Streife“
Bürgerwehren boomen – nicht nur im Osten des Landes. Sie beziehen ihre Existenz auf das so genannte Jedermannsrecht, den Paragraf 127 der Strafprozessordnung. Demnach darf jeder Bürger im Fall einer Straftat einen Täter ohne richterliche Anordnung bis zum Eintreffen der Polizei vorläufig festhalten. Häufig setzen diese Gruppen sich aus eher zwielichten Typen zusammen, die sich ansonsten scheinbar wenig um das Gesetz scheren. Bevor „Bürgerwehren“ entstehen, wird in Internetgruppen und Bürgerinitiativen Stimmung gemacht – zumeist gegen Flüchtlinge. Ängste werden geschürt, vor allem Frauen scheinen für diese Art der Hetze empfänglich. Sie unterstützen den Aufbau der Gruppen und gehen auch mit „auf Streife“.
In Magdeburg bildete sich eine rund 30-köpfige Bürgerwehr, bestehend vor allem aus Hooligans und Mitgliedern der Kampfsportszene. Einige der selbst ernannten Hilfspolizisten griffen Anfang November drei Flüchtlinge an, die daraufhin im Krankenhaus behandelt werden mussten. „Bürgerwehren sind ein großes Risiko“, erklärt Kriminologe Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum gegenüber dem „Deutschlandfunk“. Bei „Bürgerwehren“, wie sie sich jetzt in Barleben oder Magdeburg organisieren, gehe es nicht nur um das Sicherheitsgefühl im Ort, sondern auch um eine Art Einschüchterung, sagen Experten und Politikberater. Anhänger rechter Mischszenen, darunter zahlreiche Straftäter, lassen die Muskeln spielen und finden damit Akzeptanz in Teilen deutschen Bürgertums.
Gefährliche Koalition aus rechten Mischszenen und Sicherheitsbranche
Schwierig kann es werden, diese unkontrollierbaren Kräfte wieder loszuwerden. Der Schritt von der Bürgerwehr zum Rechtsterrorismus ist nicht groß wie sich am Beispiel der sächsischen „Bürgerwehr Freital – FTL/360“ zeigt. Deren Neonazi-Anführer wurden verhaftet, weil sie an Sprengstoffanschlägen auf eine Flüchtlingsunterkunft und ein alternatives Wohnprojekt beteiligt gewesen sein sollen. Bei Razzien gegen sieben Beschuldigte fanden die Beamten Sprengstoff, eine Hakenkreuz-Fahne und Nazi-Devotionalien. (bnr.de berichtete) Der 26-jährige Busfahrer Timo S. soll zudem im Sommer mit anderen Personen Jagd auf Flüchtlingshelfer gemacht haben. Seine Truppe kontrollierte als „Bürgerwehr“ vor allem an den Wochenende die Gäste in Bussen.
Der Chef der Nachbarschaftsgruppe „Blaulicht Barleben“, Marcel R., mimt für ein Foto in der „Volksstimme“ den starken Mann. Mit einem Handy am Ohr, schwarzer Bomberjacke und Glatze strotzt der 45-jährige ehemalige Fallschirmjäger, der jetzt im Sicherheitsgewerbe tätig ist. Er lobt die vielen zivilen „Melder“, über 70 Einwohner der Kleinstadt bei Magdeburg hätten sich per „Whatsapp“ gemeldet.
Seit Jahren arbeiten rechte Mischszenen, Rotlichtmilieu und die Sicherheitsbranche an vielen Orten Hand in Hand. Doch nie war diese Koalition so gefährlich. Tausende von Firmen überwachen die Flüchtlingseinrichtungen. Wie es scheint, versorgen deren Mitarbeiter nicht selten regionale rechte Bürgerinitiativen „gegen Asylmissbrauch“ mit einschlägigen Informationen aus den Aufnahmeeinrichtungen. Die Kontrollen zum Einsatz des Sicherheitspersonal sollen bei der großen Nachfrage gelockert worden sein, berichten Insider immer wieder.
Neonazis werben für die „Bürgerwehr Braunschweig“
Vor ein paar Tagen warnte das antifaschistische Portal „Recherche 38“ vor der Gründung einer Bürgerwehr im nördlichen Braunschweiger Stadtteil Kralenriede. Anfang Oktober 2015 hatte es in der dortigen Flüchtlingsunterkunft eine Massenschlägerei mit 150 Beteiligten gegeben. Nicht zuletzt dieser Vorfall wurde zum Anlass genommen, die Sicherheit der Bürger durch die Polizei in Frage zu stellen. Panikmache und Hetze verbreiten sich am schnellsten über organisierte Bahnen. So stehen die Organisatoren dieser „Bürgerwehr“ in Kontakt mit einem Anführer der NPD-Jugendorganisation und „Recherche 28“ zufolge wirbt auch die von Neonazis gegründete „Bürgerinitiative für Sicherheit in Braunschweig“ für die neue „Bürgerwehr Braunschweig“. Deren Mitglieder, die der Sicherheitsbranche zugerechnet werden, wollen in einheitlicher schwarzer Kleidung mit grünem Barett auch in der Braunschweiger Innenstadt auf Patrouille gehen.
Dabei könnte vor allem die „Bürgerwehr Güstrow“ Warnung genug sein, dass nicht selten der Bock zum Gärtner gemacht wird. Unter den Augen der Polizei zogen zehn Mitglieder dieser Truppe im April 2015 durch die mecklenburgische Stadt. Eilig warnte der Polizeisprecher davor, dass viele von denen selbst Straftäter seien. Wenn sie in irgendeine Konfrontationssituation geraten, könnte es eine Eskalation geben, fürchtete Gert Frahm gegenüber der „Ostsee-Zeitung“. Kurze Zeit später stellte sich nach einer Hausdurchsuchung heraus, dass der Anführer der „Bürgerwehr Güstrow“, Nils Matischent, wohl selbst gegen das Waffenrecht verstoßen hatte. Der NPD-Stadtvertreter hortete demnach illegal „eine größere Anzahl umgebauter Elektroschocker und Teleskopschläger“. Zuvor war der selbst ernannte 25-jährige Ordnungswächter bereits wegen Diebstahls zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden.
Die Gründer einer „Bürgerwehr“ in Rostock pflegten nicht nur in die rechte Szene enge Kontakte, sondern auch zu kriminellen Rockergangs. Der „MC Hells Angels“ beansprucht Rostock als „City of Angels“. Bei Razzien im Herbst wurden einige Mitglieder der Rockergang wegen Drogenhandels verhaftet, unter ihnen war auch ein Neonazi, der sich bereits in Haft befand. Vor wem also sollen „Bürgerwehren“ und deren Kontakte wirklich schützen?
„Die Rechte“-Mitglieder bei nächtlichem „Spaziergang“
Im brandenburgischen Kremmen hatten bereits 2013 fünf Männer, die sich zur „Bürgerwehr“ erklärt hatten, zwei polnische Erntehelfer, die sie für Einbrecher hielten, gefangen gehalten und misshandelt. Nur wer jemanden auf frischer Tat ertappt, darf ihn festhalten, bis die Polizei eintrifft. Aufgrund verdächtigen Verhaltens Personalien aufnehmen, dürfen nur Polizisten.
Im thüringischen Gerstungen mit seinen 6000 Einwohnern gab es von März bis August dieses Jahres sieben Einbrüche. Keine besonders hohe Zahl, hieß es aus dem Innenministerium. Doch die Gründung einer regionalen „Bürgerwehr“ lockte 2700 Interessierte bei Facebook an. Einer der Anführer gehörte in der Vergangenheit zur NPD , nun fuhr er Streife mit dem Auto.
In Hildesheim postete die radikale Neonazi-Partei „Die Rechte“ ein Foto von drei Mitgliedern ihres Kreisverbandes, die angeblich bei einem nächtlichen „Spaziergang“ in Hoheneggelsen für Ordnung und Sicherheit sorgen würden. In Bremen bemüht sich eine Facebook-Gruppe gerade um den Aufbau einer eigenen Truppe nach dem Schwaneweder Vorbild.
Das Online-Portal „Netz gegen Nazis“ zählte bis Sommer 2015 etwa 100 solcher Gruppen alleine bei Facebook. In den wenigsten Fällen werden die Gruppen wirklich außerhalb des Netzes aktiv, hieß es. „Es geht vor allem darum, ausländerfeindliche Propaganda zu verbreiten“, warnt Simone Rafael von „Netz gegen Nazis“. Inzwischen könnte sich die Situation verschärfen.