Führungsanspruch im Österreichischen Kulturwerk?
Ex-NPDler Andreas Thierry gibt sich als angeblich geläuteter Aussteiger – in Kärnten will er nun möglicherweise das Erbe des ideologischen Ziehvaters Otto Scrinzi antreten.
Andreas Thierry ist nach seinem Austritt aus der NPD Ende 2010 wieder aufgetaucht. Allerdings auf unerwartete Art und Weise: Der umtriebige Rechtsextremist (Jg. 1970) kroch zunächst beim „Stadtmagazin“ im oberösterreichischen Wels unter. Dessen Herausgeber Helmut Moser ist bekannt für seinen Hang zu „gestrauchelten Kameraden“. Gleich mehrere Aktivisten haben in seinem Blatt Unterschlupf gefunden, nicht selten nach unangenehmen Episoden mit der Staatsmacht oder anderen Missgeschicken ohne Broterwerb. Für sie ist die Arbeit bei Moser ein szeneintern bekanntes Auffangbecken. Für Moser ist es dagegen nur ein Beitrag zur „Resozialisierung“.
Bisher tummelten sich da Ex-Führungskader des Bundes freier Jugend in dem Betrieb. Auch Aktivisten der Partei Die Bunten des amtsbekannten Ludwig Reinthaler, die mit Auftritt im KZ Mauthausen in Springerstiefeln und Shirts mit eindeutiger Aussage („Nationaler Sozialist“) für Aufregung sorgten, wurden gesichtet. Und in der Juni-Ausgabe 2011 tauchte schließlich Andreas Thierry im Impressum als „Chef vom Dienst“ auf.
„Er wollte in Österreich neu Fuß fassen“
Für viele Beobachter der Szene war das Auftauchen Thierrys in der Kleinstadt Wels eine Überraschung. War es doch um Thierry nach dessen Ausstieg aus der NPD, in deren Bundesvorstand er am Ende saß, ruhig geworden. Auch seine Immobilie in Rosenberg-Hohenberg in Baden-Württemberg hatte er aufgegeben. Der ehemalige Gasthof diente als Schulungszentrum sowie als Sitz seines Verlages. Doch neben der Parteimitgliedschaft trennte sich Thierry 2010 von seinen Beiträgen zu „deutschem Druckwerk“ (Thierry) und seinem persönlichen Sprachrohr, der Zeitschrift „Volk in Bewegung“. Hier zeichnete fortan Roland Wuttke verantwortlich, Landessprecher der bayerischen NPD.
Der gebürtige Österreicher Thierry scheint wieder den Weg nach Hause zu suchen. Angeblich will einen Gesinnungswechsel vollzogen haben. Laut Helmut Moser habe er zunächst über seine Vergangenheit geschwiegen, am Ende aber eine „Lebensbeichte“ abgelegt – mit dem Tenor, er habe der Szene sowie der Ideologie den Rücken gekehrt. „Er wollte in Österreich neu Fuß fassen", so Moser. Deswegen habe Thierry nicht nur unter dem Pseudonym geschrieben, sondern auch eine Namensänderung in Andreas Reichl auf den Familiennamen seines Vaters beantragt. „Und ich wollte ihm halt eine neue Chance geben“, so Moser.
Prominenter deutsch-nationaler Verschwörungstheoretiker
Plötzliche Läuterung eines der führenden Köpfe der rechten Szene? Für Szenekenner eher unwahrscheinlich. Immerhin verließ Thierry im Herbst 2010 die NPD, weil er mit dem Vorstoß für ein radikaleres Parteiprogramm scheiterte. Einem Publizisten und langjährigen Beobachter Thierrys zufolge soll der prominente deutsch-nationale Verschwörungstheoretiker dagegen noch einen weiteren fanatisch-paranoiden Schub gehabt haben. So habe beim Austritt aus der NPD auch die Überzeugung, alle legalen rechten (rechtsextremen) Parteien in Europa seien zionistisch unterwandert, eine Rolle gespielt.
In Wels hat Thierry/Reichl jedenfalls nicht die gewünschte Ruhe gefunden. Nach dem Bekanntwerden seiner Tätigkeit gab es scharfe Kritik von demokratischen Parteien und Organisationen sowie der Antifa. Der Ruf nach einem Inseratenstopp wurde laut. Moser zog die Notbremse, kündigte den Vertrag mit Thierry/Reichl.
Mitarbeiter des Welser-Verlages mit einschlägig rechtem Hintergrund
Zu spät. Überraschend schnell reagierte ausgerechnet das österreichische Militär, bisher ein guter Kunde von Mosers Bundesheer-Magazin „Einsatz“. Das Verteidigungsministerium stoppte die Werbeeinschaltungen. „Es wird keine Inserate mehr von uns geben", so ein Sprecher des Ministeriums. Begründung: Einige Mitarbeiter des Welser-Verlages hätten einschlägig rechten Hintergrund, solche Personen wolle man nicht fördern. Auch die Stadt Wels fror die Gelder ein.
Schließlich: Nicht nur in Redaktion und Anzeigenabteilung des Verlags sind Personen mit einschlägigem Background aktiv. Für das Layout der Magazine ist die Firma „Green Lemon“ verantwortlich. Mehrheitseigentümer ist dort Sebastian Ortner, Fraktionsvorsitzender der FPÖ Linz und für viele eine Integrationsfigur auf der rechten Seite.
Ortner hat im Gegensatz zu Thierry bereits mehrere Namensänderungen hinter sich. Als Sebastian Müllegger, davor Traxler, war er aktiv im innersten Zirkel der rechten Chefideologen aus In- und Ausland unterwegs, wie bei Sondierungstreffen des Vereins Dichterstein Offenhausen. Auch in der Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition (VAPO) – einer verbotenen Wehrsportgruppe mit staatsgefährdendem, terroristischem Touch in den 1990ern – engagierte sich Müllegger laut Mitgliederliste. In Linz war er selbst einer der führenden Köpfe der Heimatverbundenen Jugend, Kameradschaft Linz. Zudem tauchte er in den Mitgliedslisten des Witikobundes sowie der Nationalistischen Front (NF) ebenso wie im Telefonbüchlein von Franz Radl jun. auf.
Gemeinsamer enger Weggefährte Franz Radl
Damit scheinen mit Müllegger/Ortner und Andreas Thierry zwei gute, alte Bekannte zusammenzukommen. Denn Thierry war ebenfalls in der NF aktiv, nahm im Juli 1990 an einem Ausbildungslager teil. Und in Radl hatten beide einen gemeinsamen, engen Weggefährten. Thierry war unter anderem Führungskader der neonazistischen Volkstreuen Jugend Offensive (VJO) von Franz Radl. Schließlich sammelte sich alles in der VAPO von Neonazi-Szenegröße Gottfried Küssel.
Thierry pflegte seine Kontakte nach Oberösterreich über Jahrzehnte hin weiter. Er führte schon früher Schulungen von NPD-Kadern im ganzen Bundesgebiet durch, half auch tatkräftig beim Aufbau neuer junger österreichischer Kader mit, einer neuen Generation für seinen „Ziehvater“, den im Juli 2011 verstorbenen „Szenepapst“ Herbert Schweiger.
So tauchte Thierry nicht nur wiederholt bei Feiern des Bundes freier Jugend auf – er war sogar explizit „Weltanschauungsbeauftragter“ der Truppe in Oberösterreich, die 2007 zerschlagen wurde. Örtliches Zentrum war übrigens Wels.
„Frischer Wind in dem überalterten Verein“
Seit 1. Dezember ist Thierry nun Wien beheimatet. Eine Spur führt jetzt aber auch nach Kärnten – dem Heimatland des 41-Jährigen. Hinweise dazu gibt die ideologische Plattform für Revisionisten über Rechtsextreme bis hin zur „Neuen Rechten“: In der Oktober-Ausgabe der „Aula“ erschienen zwei Artikel eines „Ehrenfried Schemm“ – bislang unbekannt und offensichtlich ein Pseudonym. Und beide Machwerke haben beredten Inhalt: Der eine prangert langatmig die „moderne Hexenjagd“ auf jenen „nationalen Dissidenten und Publizisten“ im Falle der Welser Affäre an, stilisiert Thierry zum Märtyrer und Opfer der „Tugendterroristen“, die die Vernichtung aller Andersdenkenden“ wollen. Dabei habe Thierry nur einen Job gemacht, der „seiner Qualifikation entsprach“. Der Eindruck, dass sich hinter der Erzählinstanz ein Pluralis Majestatis in Singular versteckt, drängt sich auf.
Und der zweite Artikel? Er ist für Szenekenner sowie die Experten des DÖW (Dokumentationszentrum des Österreichischen Widerstands) ein Fingerzeig auf Thierrys künftige Heimstatt: Das Österreichische Kulturwerk, Teil des ideologisch-kulturellen Netzwerkes, mit besonderer integrativer Funktion im internationalen rechtsextremen und neonazistischen Lager. Der Gründer und Szene-Promi Otto Scrinzi, Thierrys langjähriger Bekannter, ist altersbedingt am Ende.
Stellvertreter Walter Marinovic führt nun das Österreichische Kulturwerk – aber nur interimsmäßig. Das wird in dem Bericht zur Tagung 2011 frenetisch bejubelt. Der „frische Wind in de(m) überalterten Verein“ ist nur ein Anfang. Eine „Verjüngung“, „schrittweise und konsequent durchgeführt“ – aber „harmonisch, ohne Generationenkonflikt“. Was auf den ersten Blick eine Hymne an die Jugend ist, Aufbruchsstimmung signalisiert, kommuniziert zugleich einen Machtanspruch. Der Autor greift tief in die stilistische und rhetorische Propaganda-Trickkiste. Auch die Appelle an die „volks- und heimatverbundene deutsche Jugend“, das Plädoyer für kameradschaftlich-parteiferne Strukturen, Kaderschulungen und Heimatschutz entsprechen ganz Thierrys substanziellen Anliegen, die er schon als „Weltanschauungsbeauftragter“ des BFJ vollzogen hat.