Frühere HDJ-Kader weiter aktiv

Die „Heimattreue Deutsche Jugend“ ist seit neun Jahren verboten, doch immer wieder taucht der Name der ehemaligen neonazistischen Jugendorganisation in Medienberichten auf. Für viele ihrer Mitglieder öffnete der Drill in der verfassungsfeindlichen Kaderschmiede die Tore für eine weitere politische Laufbahn im rechten Spektrum.  Wo fanden einige der auffälligsten HDJler nach dem Verbot eine neue politische Heimat?

Mittwoch, 23. Mai 2018
Andrea Röpke

Kaum einer zog in Zweifel, dass viele von ihnen aktiv bleiben würden. „Wer frühzeitig den Drill der HDJ erlebte, gilt als politisch gefestigt und ist für nationalistischen Aktionismus besonders geeignet“, warnte Gideon Botsch, Privatdozent des Moses Mendelsohn Zentrum in Potsdam. In den Schlagzeilen tauchte der Verein „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ), der 2009 vom Bundesinnenministerium verboten wurde, 2018 wieder auf. Einige Neonazis von damals arbeiten heute als Mitarbeiter für die „Alternative für Deutschland“ (AfD) in den Länderparlamenten und einer sogar kurzzeitig für Alexander Gauland im Bundestag. Es stellte sich auch heraus, dass der brandenburgische AfD-Vorsitzende und Hardliner Andreas Kalbitz 2007 an dem Pfingstlager der verschworenen „Heimattreuen“ in Eschede teilgenommen hatte. Was aber machen frühere HDJler wie Sebastian Räbiger, Alf Börm, Denis Schauer, Nils Altmieks oder Christian Fischer und Lutz Giesen heute?

Die Neonazis Christian Fischer und Lutz Giesen besuchten als Zuschauer kürzlich mehrmals den allmählich dem Ende entgegengehenden NSU-Prozess in München. Gemeinsam mit weiteren Kameraden hörten sie sich Teile der Plädoyers der Verteidigung von André Eminger und Ralf Wohlleben an. Giesen ist lange mit Emingers Zwillingsbruder befreundet. Auf dem Computer des NSU-Trios Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt in Zwickau  befanden sich Videodateien, so unter anderem eine Datei mit dem Redebeitrag des Neonazis Lutz Giesen bei einem  schwedischen Neonazi-Aufmarsch im Jahr 2005. Die im Brandschutt aufgefundene Datei heißt „salem2005-lutz“.

Von der HDJ zum JN-Landeschef

Fischer, der aus dem niedersächsischen Vechta stammt, zählte bei der HDJ zur „Leitstelle Mitte“. Er organisierte Lager und eine „Rasse“-Schulung.  Giesen und er galten bei der HDJ als wehrsportbegeistert.  2007 führte Fischer mit 24 anderen Neonazis ein paramilitärisches Camp an der deutsch-holländischen Grenze durch. Nach dem Aus der HDJ wurde Christian Fischer Landesvorsitzender der Jungen Nationaldemokraten (JN). 2014 nahm er am Aufmarsch der gewaltbereiten „Hooligans gegen Salafisten“ in Hannover teil, wo er sich freundlich mit einem AfD-Politiker unterhielt. Am 1. Mai dieses Jahres beteiligte sich Fischer am Aufmarsch in Chemnitz in einer Jacke des „III. Wegs“.

Sebastian Räbiger leitete von 2002 bis zum Verbot 2009 die „Heimattreue Deutsche Jugend“ als „Bundesführer“. Der Hardliner ist bisher nicht durch Kontakte zur AfD oder den „Identitären“ aufgefallen. Aber er wurde im November 2017 von der neonazistischen Kleinstpartei „Der III. Weg“ als Festredner für den „Tag der Gemeinschaft“ eingeladen, um über „Nationale Jugendarbeit und Jugendpflege“ zu referieren. Räbigers Rede wurde online gestellt. Die HDJ wollte eine sich selbst befehlende Jugendbewegung sein, „die auch politisches Wollen entwickelte“, machte Räbiger in seinem Vortrag vor rund 200 Parteimitgliedern des „III. Wegs“ deutlich. Der Brandenburger Neonazi lobte im Vergleich das angeblich heldenhafte Verhalten junger deutscher Soldaten im Ersten Weltkrieg, bei Langemarck, seien die, „mit dem Deutschlandlied auf den Lippen ins Trommelfeuer ihrer Feinde“ gelaufen.

„Auslese“ wichtig für die Jugendarbeit

Die HDJ war als Nachfolgeorganisation der 1994 verbotenen, militanten „Wiking-Jugend“ angetreten um eigenen Angaben zufolge, „wieder eine saubere Jugend zu formen“. Im der HDJ-Zeitung „Funkenflug“ aus dem Jahr 2005 hieß es: „Wir treten an, um die in den Schmutz getretenen Begriffe von Ehre, Treue und Kameradschaft wieder hochzureißen.“ 

Räbiger erklärt in seiner Rede seine Auffassung von den Aufgaben einer nationalen Jugenderziehungsorganisation und zitiert „den alten Nahrath“, einen der verstorbenen Anführer der „Wiking-Jugend“. Der habe immer gesagt: „Gemeinschaft entsteht durch gemeinsamen Marsch, gemeinsames Lied und gemeinsames Erlebnis.“ Räbiger betont zudem, wie wichtig für die Jugendarbeit „Auslese“ sei: „Es grenzt ein und diejenigen aus, die nicht dazu gehören.“ „Die lebenswidrige Utopie der Gleichheit Aller muss von uns in einer Weltanschauung ihre Antwort finden, deren Grundlage die Wirklichkeit der gesetzmäßigen Ordnung des gesamten Lebens ist“, hieß es bereits in der Ausgabe Nr. 2 des „Funkenflugs“ 2005.

„Biologische Verweigerung“ des deutschen Volkes

Zu viele Eltern hätten, so Räbiger, das „Umerziehungsgift“ der „Brd-isten“ aufgenommen. Die 1968er Generation sei schuld daran, dass es „eine biologische Verweigerung“ des deutschen Volkes gegeben habe. Der HDJ sei klar gewesen, dass ihr nur eine kurze Zeit bis zu einem Verbot verbleiben würde. Daher habe man „den Karren auch mit so einer Gewalt vorangetrieben“ um in kurzer Zeit „Feuer“ zu entzünden.  Auch bei der HDJ sei „nicht alles Gold gewesen was glänzt“ räumt er ein, einige hätten nicht verstanden, „was sie nach unserem Verbot zu tun haben“. Räbigers abschließender Sinnspruch erntet Applaus: „Bejahe das Leben und bejahe den Kampf. Werde unsterblich, werde Vater.“

Ähnlich pathetisch agiert auch Alf Börm, ehemaliger „Unterführer“ der HDJ. Als Zeremonien-meister tritt der Neonazi, der zeitweilig auch Landeschef der Jungen Nationaldemokraten in Mecklenburg-Vorpommern war, seit Jahren bei den Sonnenwendfeiern in Jamel auf. 2015 wurde unter seiner Leitung das Lied der Hitlerjugend „Nur der Freiheit gehört unser Leben“ angestimmt. Börm gehörte bereits als Jugendlicher zu den wichtigsten Organisatoren der HDJ im Norden. 2007 lud er mit zu einer „Sonnenwendfeier“ in die Nähe von Osnabrück ein. In der internen Einladung hieß es damals: „Heil Euch Kameraden, liebe Familien!“, man wolle das Feuer entzünden, „als Zeichen unsere schlummernde Kultur wieder zum Leben zu erwecken und dieses kranke System zu beseitigen“. Im Juni 2017 beteiligte sich der junge Familienvater an der Demonstration der „Identitären Bewegung“ in Berlin.

Dubioses „patriotisches Hilfsprojekt“ im Nahen Osten

Zu den „Identitären“ gehört Nils Altmieks längst.  Altmieks stammt aus Altenbeken in Westfalen und war als junger Mann bei der „Einheit Hermannsland“ der HDJ. Fotos aus dem Jahr 2006 zeigen ihn in der Uniform der“ Heimattreuen Deutschen Jugend“ beim Einüben einer militärischen Marschformation. Als Zeitsoldat bei der Bundeswehr wurde er auf die IB aufmerksam und baute die Organisation unter anderem als zeitweiliger „Bundesleiter“ mit auf.  Das neueste Projekt des in Bayern lebenden Bauingenieurs ist ein dubioses „patriotisches Hilfsprojekt“ im Nahen Osten namens „Alternative Help Association“ (AHA). Altmieks bewirbt bei Facebook, dass seine Organisation Flüchtlingen direkt in den Lagern in Syrien und dem Libanon helfe. Simone Rafael, Expertin der Amadeu Antonio-Stiftung, hat Zweifel daran. Sie glaubt, dass es eher darum gehen könnte, Flüchtlinge dort zu belassen, „wo sie herkommen“.  Sie warnt davor, dass AHA  eine Kampagne sein könnte, um unter einem Deckmantel zum Beispiel Geld für die in Österreich in Bedrängnis geratene „Identitäre Bewegung“ zu sammeln. Deren Konten wurden dort gesperrt.

Die HDJ-Kameraden Martin Götze und Frank Klawitter aus der HDJ-Einheit „Mecklenburg“ gehörten zu denjenigen, die sich später im Ordnungsdienst „Waterkant“ der NPD wiederfanden. Der Großteil der Mitglieder des HDJ-Ablegers in Mecklenburg-Vorpommern war ohnehin auch in der NPD aktiv. Götze, der mit einer damals sehr aktiven HDJ-Anführerin verheiratet ist, beteiligte sich 2015 nicht nur an einem MVgida-Aufmarsch, sondern besuchte mit Familie eine Brauchtumsfeier in der Lüneburger Heide. Zum „Maitanz“ in Edendorf fanden sich ehemalige HDJler wie Stefan Köster, Landesvorsitzender der NPD in Mecklenburg-Vorpommern neben Rechten aus zahlreichen völkisch-nationalistischen Gruppen ein.

HDJ-ähnliche Kindertreffen über Jahre

In Ostwestfalen scheint die HDJ gar im Kleinen weiterzubestehen. Gerd Ulrich, ehemaliger „Einheitsführer Hermannsland“ der HDJ, führt auf seinem Anwesen in der Nähe von Detmold immer wieder Treffen durch, auch mit uniformierten Kindern. Etwa 60 junge und ältere Personen versammelten sich Anfang April 2017 in Berlebeck. Das Treffen sei eines der größten in einer langen Reihe von Aktivitäten gewesen, berichten Beobachter des antifaschistischen Portals „hiergeblieben.de“ aus Bielefeld. Unter den Besuchern bei Gerd Ulrich seien mindestens 15 polizeibekannte Neonazis aus den Kreisen Osnabrück und Schaumburg, Minden-Lübbecke, Höxter, Paderborn, Soest, Lippe und aus Bielefeld gewesen. Zeugen sahen Kinder in schwarzen Hosen und blauen Hemden. „Das ähnelt stark der Uniform der HDJ“, sagte Frederic Clasmeier von der „Beratungsstelle gegen Rechts“ gegenüber der „Lippischen Landes-Zeitung“. Obwohl Ulrich  einen Sichtschutz um das Grundstück errichtet hatte, wurden von Zeugen Bogenschießübungen und eine Auseinandersetzung im militärischen Tonfall beobachtet. „Steh endlich auf“, sei befohlen worden, danach soll ein Junge den Hang hinauf geschleift worden sein. Das war kein Spaß, keine Spielerei, zitieren Verantwortliche von „hiergeblieben.de“ Zeugen. Das Portal listet – ebenso wie bnr.de – eine ganze Reihe von HDJ-ähnlichen Kindertreffen über die Jahre bei den Ulrichs auf.

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