Rezension
Folter und Mord: Das Gestapo-Gefängnis im badischen Ettlingen
In der lokalhistorischen Forschungsarbeit „Es kam `zu den vielleicht brutalsten Folterungen in Baden überhaupt!´ Gestapo-Gefängnis Ettlingen 1943 bis 1945“ werden sowohl Opfer als auch Täter des badischen Gestapo-Gefängnisses bei Karlsruhe ihrer Anonymität entrissen. Dokumentiert wird, dass Folter und Mord durch NS-Schergen nicht nur in den Vernichtungs- und Konzentrationslagern gang und gäbe war, sondern sich unter den Augen und Ohren der Zivilbevölkerung auch am helllichten Tag in der badischen Provinz ereignete.
Die Berichte von zwei damals 13 und 14 Jahren alten Mädchen 1947 vor der Spruchkammer Ettlingen lassen das Leiden des mit bis zu 180 Gefangenen belegten Gestapo-Gefängnisses Ettlingen sprichwörtlich erahnen. So hörten die in der Nachbarschaft des seit dem 15. März 1943 als Gefängnis der Gestapo-Leitstelle Karlsruhe genutzten Gebäudes wohnhaften Mädchen „furchtbare Schreie und sahen durch das offene Fenster des oberen Stockwerkes, wie ein uniformierter Mann auf einen Häftling einschlug. Er schlug ihn dauernd zu Boden und forderte ihn immer wieder auf aufzustehen.“
Herausgeber der 46-seitigen Dokumentation des Grauens ist das 2005 gegründete Ettlinger Bündnis gegen Rassismus und Neonazis. Dieter Behringer, Autor der Dokumentation, hat in seiner lokalhistorischen Forschungsarbeit systematisch verfügbare Spruchkammerakten ausgewertet und Gestapo-Personal bis hin zu den weiblichen Schreibkräften identifiziert. In Kurzbiographien beschreibt Behringer die lokalen verantwortlichen Gestapo-Beamte und untersucht, ob die Akteure nach 1945 für ihr Tun zur Rechenschaft gezogen wurden und was aus ihnen wurde. Allein aus dem Personenkreis der Gefängniswärter und Aufseher skizziert Behringer den Lebenslauf von 21 Personen. Dieser Täterkreis ist verantwortlich für Folter und Mord an Menschen wie dem 28-jährigen russischen Kriegsgefangenen Boris Tropkin oder dem 52-jährigen sowjetischen Zwangsarbeiter Alexej Gawrilow.
Beim BND gelandet
Zum engeren Kreis der Verantwortlichen des Gestapo-Gefängnisses Ettlingen gehörte SS-Obersturmbannführer Heinrich Reiser. Er war Leiter des Sonderkommissariats Reiser zunächst in Karlsruhe, dann in Ettlingen. Sein Sonderkommissariat ging gegen aufständische sowjetische Zwangsarbeiter und Ostarbeiter vor, nachdem die Gestapo in Baden im Frühjahr 1944 ein Netzwerk illegaler Strukturen von sowjetischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern aufgedeckt hatte. Der Name des Netzwerkes lautete „Brüderliche Zusammenarbeit“ (Bratskoje Sodrunitschestwo).
Bis zum Sommer 1944 wurden ihr von der Gestapo 300 Angehörige zugerechnet und verhaftet. Da die Gestapozentrale in Karlsruhe räumlich beengt war, wurde das ehemalige Bezirksamtsgefängnis in Ettlingen im Frühjahr 1943 übernommen. Der NS-Verbrecher Reiser, bis 1942 im besetzten Paris Leiter des Referats „Abwehr-Kommunismus-Marxismus“, wurde nach 1945 strafrechtlich nie belangt. Bis zu seiner Pensionierung 1964 war er für den Auslandsgeheimdienst BND und zuvor für dessen Vorläuferorganisation Organisation Gehlen (OG Gehlen) tätig.
„Ein Beitrag gegen das Vergessen“
In seinem Vorwort gibt sich Behringer der Hoffnung hin, dass seine Dokumentation „ein Beitrag gegen das Vergessen“ sein soll. Denn, so der Autor: „Auch unter dem Eindruck des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine darf das dem russischen Volke vom deutschen Faschismus zugefügte Leid nicht herabgesetzt und die Erinnerung an die Befreiung durch die Rote Armee nicht vergessen werden.“
Bis heute sind im damaligen Gestapo-Gefängnis Ettlingen Polizei und Amtsgericht untergebracht.
Behringer, Dieter: Es kam „zu den vielleicht brutalsten Folterungen in Baden überhaupt! Gestapo-Gefängnis Ettlingen 1943 bis 1945. Mit einem Geleitwort von Jürgen Schuhladen-Krämer. Selbstverlag. Ettlingen 2022 / Herausgeber: Ettlinger Bündnis gegen Rassismus und Neonazis. 2022 Kontakt und Bezug: ettlinger-buendnis@gmx.de 46 Seiten, 6 Euro (plus Porto)