Extremismus-Studie: Zerrissene Mitte

Die Friedrich-Ebert-Stiftung hat die neue Mitte-Studie veröffentlicht. Forscher haben dafür rechtsextreme und rechtspopulistische Einstellungen gemessen. Das Ergebnis: Antiliberale Positionen und die Ablehnung von Minderheiten verfestigen sich zunehmend in unserer Gesellschaft. Erstmals untersuchten die Autoren zudem die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Die Erkenntnisse geben zu denken.

Donnerstag, 25. April 2019
Redaktion
Symbolbild: Thomas Witzgall
Symbolbild: Thomas Witzgall
Seit 2006 erscheint die Mitte-Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung. Auf Basis von repräsentativen Umfragen gehen die Autoren der Frage nach, wie stabil oder instabil die deutsche Demokratie ist, wie weit etwa rassistische oder antidemokratische Meinungen verbreitet sind. Für die aktuelle Auflage befragten Forscher von der Universität Bielefeld knapp 1.900 Deutsche. Das Bild, das sie dabei zeichneten, ist nicht immer klar, aber teils besorgniserregend. So lassen sich zwar nur 2-3 Prozent der Befragten dem harten Rechtsextremismus zuordnen, die einzelnen Merkmale der braunen Ideologie erreichen jedoch deutlich größere Zustimmung: Nahezu jeder zehnte Deutsche unterteilt etwa in "wertvolles und unwertes Leben". Auch sozialdarwinistische Aussagen, die etwa die natürliche Überlegenheit der Deutschen suggerieren oder ein harter Nationalismus, haben ähnlich viel Anklang.

Jeder Zweite ablehnend gegenüber Asylsuchenden

Gegenüber der Ablehnung von Minderheiten, sind derartige Positionen aber eher Randerscheinungen. Seit 2011 sind die Zustimmungswerte im Bereich der "gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit" deutlich gesunken, befinden sich aber weiterhin auf einem hohem Niveau. Knapp jeder Fünfte zeigt fremdenfeindliche oder muslimfeindliche Einstellungsmuster. Die Zustimmung zu abwertenden Aussagen über Asylbewerber stieg sogar weiter - weit über die Hälfte der Befragten äußerte sich ablehnend gegenüber Geflüchteten. Vor allem junge Menschen vertreten zunehmend solche Einstellungen, wie die Forscher notierten. Deutlich geringer ist der klassische Antisemitismus verbreitet: Nur 6 Prozent der Befragten stimmten klassischen judenfeinlichen Verschwörungstheorien zu. Weitaus stärker hingegen ist die Tendenz zu Einstellungen, die antisemitische Aussagen mit vermeintlich legitimer Israelkritik verknüpfen. Fast jeder Fünfte bejahte entsprechende Positionen.

Quelle: "Verlorene Mitte - Feindselige Zustände - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/2019"

Rechtspopulismus - ein Problem der Mitte

Während nur eine verschwindende Minderheit sich als eingefleischte Rechtsextremisten präsentiere, normalisieren sich rechtspopulistische Meinungsbilder in der Mitte der Gesellschaft, so die Autoren der Studie. Bei 42 Prozent der Befragten zeige sich eine entsprechende Tendenz. Gut die Hälfte der Probanden denkt demnach, in Deutschland gäbe es ein "Meinungsdiktat", ein Viertel sehe unsere Gesellschaft im Begriff einer "Unterwanderung durch den Islam" - Postulate, die immer von Seiten der Identitären, Pegida und Co. verbreitet werden. Laut den Machern der Studie stabilisieren sich solche Denkmuster, das heißt, sie verbreiten sich weniger stark, verfestigen sich dafür aber langfristig innerhalb der Gesellschaft. Der harte Rechtsextremismus werde durch die modernisierte, völkische Ideologie der Neuen Rechten anschlussfähiger. Dabei ergibt sich ein oft widersprüchliches Bild: Die überwiegende Mehrheit der Befragten begrüßt die Grundidee der Demokratie und des Pluralismus - ganze 93 Prozent finden, dass Gleichheit und Menschenwürde an erster Stelle stehen sollten. Gleichzeitig äußerten aber auch weit über die Hälfte der Teilnehmer Zweifel am demokratischen System, begrüßen eine autoritäre Law-and-Order-Politik oder äußerten sich abwertend gegenüber bestimmten Menschengruppen. "Ein Teil der Bevölkerung wird den eigenen Werten nicht gerecht", resümiert Wilhelm Berghan von der Uni Bielefeld. Wenig überraschend: Entsprechende Einstellungen sind unter Unterstützern der AfD massiv überrepräsentiert. Quelle: "Verlorene Mitte - Feindselige Zustände - Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/2019"

Hälfte der Befragten tendiert zu Verschwörungstheorien

Zum ersten Mal erfasst die Mitte-Studie zudem die Verbreitung von Verschwörungstheorien. Der Befund: Das Vertrauen in Medien, Wissenschaft und Politik schwindet. Über 46 Prozent der Befragten glauben etwa an "geheime Organisationen", die die Politik beeinflussen würden. Gut die Hälfte der Teilnehmer gibt an, den eigenen Gefühlen mehr zu vertrauen als den Aussagen von Fachpersonen. Anhänger solcher Verschwörungstheorien neigen der Studie nach zu Gewaltbereitschaft und zweifeln stark am politischen System. Für den gesellschaftlichen Zusammenhalt kann dies laut Dr. Jonas Rees, einem der Autoren, gefährlich werden. Nach wie vor zeigt sich ein deutlicher Graben zwischen Ost und West. Rechtspopulistische Einstellungen finden in Ostdeutschland deutlich größeren Widerhall als im Westen der Republik: So zeigen 51 Prozent der Westdeutschen eine abwertende Haltung gegenüber Asylsuchenden - in den neuen Bundesländern sind es 63 Prozent. Ähnliche Unterschiede lassen sich auch bei Aussagen zu Muslimen und autoritären Positionen feststellen. Das mangelnde Vertrauen in das demokratische System und die "kollektive Wut auf die Zuwanderung" erklären die Autoren der Studie mit einer Mischung aus individuellem Unrechtsempfinden, wirtschaftlicher Benachteiligung, mangelndem Kontakt zu Migranten und einer besonders ausgeprägten, "deutschen" Identität. "Das Leben in unterschiedlichen Systemen lässt sich nicht einfach wegwischen - Erfahrungen und Gefühle muss man ernst nehmen und zusammendenken. Doch entlässt dies bei allem Verständnis nicht aus der Verantwortung für die eigene politische Haltung.", so Beate Küpper, Ko-Autorin der Studie.

Mehrheit gegen rechte Hetze

Ein Lichtblick: Während die Zustimmungswerte zu menschenfeindlichen Aussagen erschreckend hoch ausfallen, zeigt sich gleichzeitig, dass die breite Mehrheit rechter Hetze nicht positiv gegenübersteht: Über 80 Prozent lehnen die Diffamierung von Minderheiten ab und 60 Prozent sehen im Rechtspopulismus eine Gefahr für die Demokratie. Rechtsextreme Einstellungsmerkmale wie Sexismus, Homphobie oder die Feindseligkeit gegenüber Obdachlosen verlieren an Zustimmung und nur jeder zehnte Proband findet, dass die deutsche Gesellschaft zu weit nach links gerückt ist - eine deutlich kleinere "Mehrheit" als neue und alte Rechte oft behaupten. Die Studie kann auf der Website der Friedrich-Ebert-Stiftung heruntergeladen werden.
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