CeMAS-Report
Extreme Rechte: Reichsbürger und ihr „verschwörungsideologischer Souveränismus“
Die Protestbewegungen seit Beginn der Pandemie waren für Reichsbürger und Selbstverwalter Resonanzboden, Transmissionsriemen und Verstärker zugleich. Eine neue CeMAS-Publikation warnt vor der wachsenden Gewalt- und Terrorgefahr dieser „verschwörungsideologischen Souveränisten“.
Das „Center für Monitoring, Analyse und Strategie“ (CeMAS) beobachtet und analysiert seit geraumer Zeit rechten Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Sporadisch erscheinen dazu Broschüren, Kurzanalysen und Handreichungen. Am Dienstag wurde die Publikation „Durch die Krise ins Reich. Postpandemische Entwicklungen von ‚Reichsbürgern‘ und Souveränist:innen in Deutschland“ veröffentlicht. Autor ist der Politikwissenschaftler Jan Rathje.
Auch wenn sich die Broschüre vor allem der Entwicklung seit Beginn der Corona-Pandemie widmet. Zur besseren Einordnung werden zudem die verschiedenen Spektren der historischen, extrem rechten und völkischen Traditionslinien sowie die neohistorische, revisionistische Reichsbürger-Ideologie beleuchtet. Überdies wird festgestellt, dass Reichsbürger und Selbstverwalter seit Beginn der „Friedensmahnwachen“- und „Mahnwachen“-Bewegung 2014 immer wieder an Protestmilieus andocken bzw. als ideologische Anknüpfungspunkte nutzen.
Die Internationale des Souveränismus
Da es ähnliche Gruppen und Bewegungen auch in anderen Staaten gibt, die sich zwar auf Selbstverwaltung und Souveränität berufen, nicht aber auf das Deutsche Reich, regt CeMAS an, künftig die Umschreibung „verschwörungsideologischer Souveränismus“ zu verwenden. In der Einleitung der Broschüre heißt es dazu, unter diesem Begriff „wird das Bestreben verstanden, individuelle oder Volkssouveränität und eine damit verbundene, als natürlich begriffene Ordnung gegen die herrschende gesellschaftliche und politische Ordnung (wieder-)herzustellen, die als Mittel einer globalen Verschwörung mit dem Ziel der Vernichtung der Eigengruppe identifiziert wird.“
Derzeit läuft in Deutschland ein Prozess gegen einen Zusammenschluss von Reichsbürgern und Selbstverwaltern, die als „Vereinte Patrioten“ einen Umsturz geplant haben sollen. Weiterhin laufen umfangreiche Ermittlungen gegen die Gruppe „Patriotische Union“ um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Auch hier geht es um Reichsbürger und Selbstverwalter oder, wie CeMAS es nun nennt, „verschwörungsideologische Souveränisten“. Die neue Publikation beschreibt dabei, was solche Gruppen antreibt.
Gewalt als letztes moralisches Mittel
„Gewalt ist bereits in der Ideologie angelegt, da diese manichäische Strukturelemente enthält. Das bedeutet, dass Souveränist:innen glauben, es fände eine letzte Entscheidungsschlacht zwischen den Mächten des Guten und des Bösen statt, an deren Ende die Erlösung oder Vernichtung der Eigengruppe steht. Dies wird innerhalb des Milieus durch überzeichnete Opfererzählungen von einem Vernichtungskrieg gegen das deutsche Volk und eine Dämonisierung des mutmaßlichen Feindes begleitet, wodurch Gewalt als letztes moralisches Mittel in der Auseinandersetzung mit dem Bösen legitimiert werden kann.“
Deutlich wird, dass die Erzählungen um angebliche Strippenzieher bei Pandemie, Corona-Schutzmaßnahmen und Impfungen als genau das „Böse“ verstanden werden, das bekämpft werden soll. Diese Mythen und Ideologiefragmente harmonieren dabei nahtlos mit rechtsextremen und antisemitischen Ideologien oder Wahnvorstellungen. So ist es nicht verwunderlich, dass im Zuge der Proteste seit Beginn der Pandemie besonders Reichsbürger die rechtsextreme und antisemitische Verschwörungsideologie von QAnon aufgegriffen, diese nach Deutschland transferiert und in die Protestmilieus hineingepumpt haben.
Längst Teil der extremen Rechten
So stellt die neue Handreichung auch fest, dass es problematisch sei, „dass ein Großteil aller registrierten Straftaten (86 Prozent) des Themenfelds ‚Reichsbürger/Selbstverwalter‘ [von den Behörden ] nicht dem Phänomenbereich rechts, sondern als ‚nicht zuzuordnen’ zugerechnet werden […]. Dadurch werden die ideologische Zugehörigkeit verdeckt und die Straftaten entpolitisiert.“ Dabei sei in Deutschland jenes Protestmilieu längst Teil der extremen Rechten. Die Szene respektive ihre Reichweite, auch über soziale Medien und Telegram-Kanäle, sei zudem viel größer, als die Behörden derzeit registrierten.
Verschwörungsideologische Souveränisten haben laut der Broschüre ihre teils krude Ideologie oder zumindest Teile davon während der Pandemie normalisiert. Schon zu Beginn der Proteste seien umgehend Kontakte geknüpft worden – auch zu Vertretern und Köpfen der zentralen Organisation der Querdenken-Proteste, nämlich zu „Querdenken 711“ in Stuttgart und zum Kopf Michael Ballweg. Querdenken und Ballweg verbreiteten zeitweise selbst „souveränistische Inhalte“ sowie die Erzählung, eine „Verfassungsgebende Versammlung“ könne die Souveränität Deutschlands wiederherstellen.
Neue Protestbewegungen okkupieren
Bereits einige Jahre vor der Pandemie war eine zunehmende Zahl von Gewalttaten aus diesem Spektrum wahrnehmbar, die sich vor allem gegen Vertreter des deutschen Rechtsstaates richteten. Angesichts der rasanten Radikalisierung und Umsturzpläne einzelner Aktivisten aus den „souveränistischen Milieus“ mahnt CeMAS in der Einleitung der Publikation an, dass „souveränistische Netzwerke“ stärker in den Fokus der Behörden genommen werden sollten.
Denn auch „weiterhin werden Mitglieder des Milieus […] bei zukünftigen Protestbewegungen versuchen [anzudocken]. Verschwörungsideologische Proteste mit ähnlichen Feindbildern und fehlender Abgrenzung gegen extrem Rechte und verschwörungsideologische Souveränist:innen eignen sich besonders für die Rekrutierung. Nach der Pandemie lässt sich außerdem ein hoher Vernetzungsgrad zwischen zentralen souveränistischen Akteuren und anderen Protestmilieus feststellen […], was sich positiv auf den Zugang zu Ressourcen für Aktivitäten auswirken kann.“