Explosives filmisches Erbe

Giftschrank oder Kinosaal? Der Dokumentarfilm „Verbotene Filme“ fordert zum Nachdenken darüber auf, wie ein zeitgemäßer und selbstbewusster Umgang mit NS-Propagandastreifen aussehen könnte.

Donnerstag, 13. März 2014
Nils Michaelis

Die Überreste der NS-Propaganda bergen noch immer reichlich Zündstoff. Das zeigte zuletzt die Debatte um eine historisch-kritisch Neuausgabe von Adolf Hitlers „Mein Kampf“, die die bayerische Staatsregierung wieder abgeblasen hat. Nicht weniger explosiv ist das filmische Erbe der NS-Zeit. Reichsminister Joseph Goebbels bezeichnete den Film als „das wichtigste Propagandamittel“. Das waren keine leeren Worte: Zwischen 1933 und 1945 wurden in Deutschland 1200 Filme hergestellt. 300 davon verboten die Alliierten nach Kriegsende.

Seitdem ruhen sie als „Vorbehaltsfilme“ in verschiedenen Archiven – zum Beispiel in klimatisierten Betonbunkern in der Außenstelle des Bundesarchivs Film in Hoppegarten bei Berlin: Die Nitrozelluloseerzeugnisse sind nach all den Jahrzehnten hochexplosiv – eine stärkere Metapher für das, was auf den Filmrollen zu sehen ist, kann es kaum geben.

„Jud Süß“ als erschreckendes Paradebeispiel

Manch einer würde rassistische Hetzfilme wie „Jud Süß“ und „Heimkehr“ am liebsten dort herausholen und frei verfügbar machen. Andere halten sie, abgesehen von durch Expertenbeiträge flankierte Vorführungen, genau dort für richtig aufgehoben. Doch ist letztere Option fast siebzig Jahre nach Kriegsende noch angemessen? Wie gefährlich sind diese Filme noch?

Diesen Fragen widmet sich Felix Moeller („Harlan – im Schatten von Jud Süß“) in „Verbotene Filme“. Er steigt hinab in die Archivkeller, begleitet Filmvorführungen und Diskussionsrunden in Deutschland, Frankreich und Israel, lässt Filmexperten zu Wort kommen und zeigt etliche Originalszenen. Diese machen deutlich: Die Propaganda-Blockbuster waren selten platt und agitatorisch. Überwiegend versuchten sie, die Zuschauer durch eine suggestive Ästhetik im Sinne der NS-Ideologie zu manipulieren und darauf einzuschwören: sei es nun auf den Antisemitismus, die Kriegsbegeisterung oder den Führerkult.

Veit Harlans „Jud Süß“, so bezeugen allein die kurzen Sequenzen, ist dafür ein erschreckendes Paradebeispiel. 20 Millionen Menschen sahen ihn seinerzeit in den Kinos. Für den Historiker Götz Aly haben diese und andere einschlägige Filme den Boden für den Massenmord an so genannten Untermenschen bereitet. Sollten sie deswegen unter Verschluss bleiben?

Verbotene Filme szeneintern besonders begehrt

Nein, sagen Aly und der Filmemacher Oskar Roehler. Roehler würde gerne sämtliche Nazi-Filme sofort auf den Markt werfen, weil es keinen Sinn mache, den Menschen Wissen vorzuenthalten, wie er sagt. Im Internet seien sie ohnehin problemlos zu bekommen, zumal sie einst durch Subkultur-Clubs gegeistert seien. Zwei Aussteiger aus der Neonazi-Szene behaupten, verbotene Filme seien szeneintern besonders begehrt. Gleichzeitig geben sie zu, dass Machwerke wie „Hitlerjunge Quex“ viele Anknüpfungspunkte für Jugendliche von heute bieten, die nach rechts abdriften können.

Auch der israelische Historiker Moshe Zimmermann weist darauf hin, dass die in jenen Filmen servierten Stereotype auch heute noch ihre Wirkung nicht verfehlen, wenngleich die Filme in ihrer Gesamtheit, so sehen es auch viele seiner Studenten, eher als Zeitzeugnisse zu sehen seien, die nicht tabuisiert werden sollten – solange den Zuschauern der Kontext bewusst sei.

Moellers Mix aus Interviews, Diskussionsschnippseln und Originalszenen bezieht in diesen Fragen keine eindeutige Position. Gleichzeitig versteht sich der Film als ein Ansporn, zumindest einmal gründlich darüber nachzudenken, ob Einlagern der richtige Weg ist, um diesen Teil der braunen Vergangenheit zu „bewältigen“. Zeugt eben dies von demokratischer Reife? Muss es diese Gesellschaft aushalten, wenn sich ein Kinobesucher nach der Vorführung von „Heimkehr“ in einem bizarren Redeschwall dafür begeistert, wie anschaulich der vermeintliche „Terror“ der polnischen Mehrheit gegen die deutsche Minderheit in Polen dargestellt worden sei – so, zumindest als Einzelfall, geschehen nach einer Vorführung im Filmmuseum München.

Gegen „kalte Entsorgung von Geschichte“

Jene Szene hinterlässt einen ebenso ungläubig wie die Ausschnitte aus jenem Film, in dem die Deutschen „heim ins Reich“ gehen: Ist dieser Kinogänger der Intention, das Publikum von der Rechtmäßigkeit des Überfalls auf Polen zu überzeugen, auf den Leim gegangen oder fühlte er sich lediglich in seiner Auffassung bestätigt? Es läuft einem kalt den Rücken herunter.

In einem Interview forderte Moeller indes, diese Filme zu erhalten und zu zeigen, „alles andere wäre eine kalte Entsorgung von Geschichte“. Die Wege dahin sind verschlungen. Moeller weißt darauf hin, dass sich kaum ein Politiker daran die Finger verbrennen möchte, öffentliche Gelder in die Restaurierung dieser Produktionen zu stecken. Das Beispiel „Mein Kampf“ gibt ihm recht.

Gleichzeitig öffnen seine Gesprächspartner immer wieder ein Türchen, wie ein freierer Umgang mit jenen Filmen, die nicht nur von ideologischer Verblendung lebten, sondern mit ihren kolossalen Produktionsbedingungen und der aufwändigen Ästhetik die prominentesten Schauspieler jener Zeit anzogen, verfahren werden soll. Ernst Szebedits von der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, in deren Kellern viele beschlagnahmte Filmrollen schlummern, schlägt vor, mit der Freigabe zu warten, bis die letzten Holocaust-Überlebenden nicht mehr unter uns sind. Denen, so Szebedits, seien „grölende Neonazis“ im Saal nicht zuzumuten.

Verbotene Filme (D 2012), ein Film von Felix Moeller, mit Oskar Roehler, Götz Aly, Sonja M. Schultz, Moshe Zimmermann, Ernst Szebedits u.a., 93 Minuten. Läuft im Kino.

Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwärts.de

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