Verfassunngsschutzbericht
Etablierte Medien als Feindbild
Der Verfassungsschutzbericht für 2021 aus Berlin widmet sich erstmals ausführlich dem Umstand, dass etablierte Medien für Delegitimierer und Feinde des demokratischen Systems immer mehr zur Angriffsfläche werden. Dies geschieht inzwischen auch durch körperliche Gewalt etwa auf Demonstrationen und durch das Schüren von Hass und Misstrauen mit dem Begriff „Lügenpresse“.
Die propagandistische Mobilmachung gegen die Presse als unabhängige vierte Gewalt mündet zum Teil in gezielten Feindeslisten, auf denen sich Namen von Journalist*Innen wiederfinden. So lautet ein Fazit des am Dienstag in Berlin vorgestellten Verfassungsschutzberichtes für das Jahr 2021. Neben einem kurzen historischen Exkurs in den Nationalsozialismus wird das Thema durch konkrete Beispiele von Übergriffen in Berlin aufgezeigt. Einher geht diese Entwicklung mit einer Offensive von sogenannten Alternativen Fakten und Medien, verbreitet über Blogs, Videoportale und Messengerdienste als Informations-, Propaganda- und Mobilisierungsquellen, welche nach Behörden-Beobachtung aber auch zu einer deutlichen Radikalisierung beitragen.
Insgesamt ist die dem Rechtsextremismus zuzuordnende Personenzahl nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften im Vergleich zum vorhergehenden Berichtsjahr mit 1.440 (1.430) nahezu unverändert geblieben. Als gewaltbereit werden unverändert 750 Personen gelistet. Über die AfD oder deren Strömungen wird kein Wort verloren. Unverändert ist mit 400 auch die Zahl türkischer Nationalisten, zusammengefasst als Ülkücü-Bewegung.
Der Dritte Weg verdoppelt Mitgliederzahl
Im Parteienspektrum hat die NPD 20 Anhänger eingebüßt und zählt laut Verfassungsschutz jetzt 180 Mitglieder. Aktivster Posten in diesem Spektrum ist nunmehr die seit 2015 mit einem Stützpunkt in Berlin vertretene Kleinstpartei Der Dritte Weg, die die Mitgliederzahl von 30 auf 60 verdoppelte. Parteiungebundene Strukturen verloren 50 Anhänger und zählen nur noch 450 Kräfte. Das unstrukturierte Personenpotenzial legte hingegen von 800 auf 850 zu.
Statisch unverändert wird ein Netzwerk rechtsextreme Musik mit 180 Akteuren gelistet. Ebenfalls aufgeführt wird erneut ein Netzwerk freie Kräfte mit 140 Personen. Thematisch hat die rechte Szene sich 2021 im Gegensatz zum vorhergehenden Jahr weiter von dem Corona-Protest-Milieu abgewendet. Dafür wurde sogenanntes Staatsversagen in Afghanistan und beim Ahrtal-Hochwasser thematisiert. Auch Berliner Neonazis tauchten als vermeintliche Kümmerer im Katastrophengebiet auf.
Eigenmächtige Grenzpatrouillen
Ein weiteres Szene-Thema waren Flüchtlingsbewegungen an der polnisch-belarussischen Grenze. Dazu mobilisierte Der Dritte Weg sogar zu eigenmächtigen „Grenzgängen“ in Patrouillenmanier an der deutsch-polnischen Grenze, zu denen sich immerhin etwa 50 Aktivisten einfanden, um wieder die generelle Flüchtlingsthematik in einen rechtsextremen Fokus zu rücken. Unter der Neuen Rechten wird auch die Identitäre Bewegung gesehen. Ihre 40 Anhänger entwickelten aber nahezu keine eigenen Aktivitäten mehr.
Beim Blick auf die Reichsbürger und Selbstverwalter haben sich bei der Personenstärke keine Änderungen ergeben. Es sind weiterhin 670, darunter 150 mit rechtsextremistischer Ausrichtung. Das Corona-Thema und ein Anschluss an die Proteste hat zuletzt immer weniger verfangen. Vor dem Reichstag mit Kundgebungen oder Mahnwachen anzutreffen waren Vertreter von „staatenlos.info“ sowie die Gruppierung Gelbe Westen Berlin. Ferner aktiv „Verfassunggebende Versammlung“, „Vaterländischer Hilfsdienst“ sowie trotz Verbot 2020 „Geeinte Deutsche Völker und Stämme“.