Empfindlicher Aderlass bei der AfD

Nach ihrem Essener Parteitag verliert die AfD beinahe im Stundentakt nicht nur prominente Ex-Funktionäre und einfache Mitglieder, sondern auch zahlreiche Mandatsträger – aktuellen Umfragen zufolge liegt die von Frauke Petry geführte Partei derzeit nur mehr bei drei Prozent.

Montag, 13. Juli 2015
Rainer Roeser

In Bremen erklärten drei der vier bisherigen AfD-Mitglieder in der Bürgerschaft ihren Parteiaustritt: der bisherige Landesvorsitzende Christian Schäfer, der ehemalige Bundesschatzmeister Piet Leidreiter sowie Klaus Remkes. Ihre Mandate wollen sie nicht abgeben. Stattdessen will das Trio unter dem Label „Bremer Bürgerliche Reformer“ in der Bürgerschaft eine neue Gruppe bilden, wie die drei heute bei einer Pressekonferenz ankündigten. Die AfD verfügt im Landesparlament mit Alexander Tassidis nur noch über einen Abgeordneten. Tassidis hatte vor dem Parteitag vom vorletzten Wochenende Frauke Petry unterstützt und in Essen – allerdings erfolglos – versucht, sich in den neuen Vorstand wählen zu lassen.

Arg gerupft wirkt auch die AfD-Gruppe im Europaparlament. Aus ihr haben fünf von sieben Abgeordneten die Partei verlassen: Ex-AfD-Sprecher Bernd Lucke, sein ehemaliger Vize Hans-Olaf  Henkel, die bisherigen Landeschefs aus Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, Bernd Kölmel und Ulrike Trebesius, sowie Joachim Starbatty. Als Abgeordnete der AfD machen lediglich Beatrix von Storch, neugewählt als stellvertretende Sprecherin der Partei, sowie Marcus Pretzell, der Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen, weiter.

Situation in Hamburg offen

In Thüringen verlassen die Abgeordneten Siegfried Gentele, Jens Krumpe und Oskar Helmerich die Partei. Aus der AfD-Fraktion waren sie bereits vor dem Essener Parteitag ausgetreten beziehungsweise ausgeschlossen worden. Landes- und Fraktionschef Björn Höcke schimpfte ihnen hinterher: „Männer ohne politische Standpunkte, wahre Politikzwerge, können wir in unserer AfD nicht gebrauchen.“ Keine Veränderungen werden aktuell in den Landtagsfraktionen in Petrys Heimatlandesverband Sachsen und in Brandenburg erwartet, wo Parteivize Alexander Gauland straff Regie führt.

Offen ist die Situation in Hamburg. Jörn Kruse („Die Partei ist eine Rechtspartei geworden, zu der ich nicht mehr gehören möchte“) will zwar sein Amt als Landesvorsitzender abgeben, aber weiter als Fraktionschef an der Spitze der acht AfD-Abgeordneten in der Bürgerschaft stehen. Seit Monaten prägt freilich ein Konflikt zwischen Kruse einerseits und Dirk Nockemann vom rechten Flügel der Partei die Arbeit der Fraktion. Gestärkt fühlen kann sich das Petry-Lager in der AfD zudem durch den Essener Parteitag, bei dem mit Julian Flak und Klaus-G. Fohrmann zwei Hanseaten in den nach rechts gerückten Bundesvorstand gewählt wurden.

Auch auf kommunaler Ebene verliert die AfD Mandate. Zum Beispiel in München: Mit Fritz Schmude hat bereits eines der beiden Ratsmitglieder angekündigt, die Partei zu verlassen. Das zweite Ratsmitglied Andre Wächter – er ist auch AfD-Vorsitzender in Bayern – gilt ebenfalls als Wackelkandidat. Zum Beispiel in Mannheim: Dort scheiden alle vier Stadträte aus der Partei aus, wie heute bekannt wurde.

Kampfansage von rechtem Flügelmann

Bestärkt fühlen können sich derweil AfDler, die in der Ära Lucke wegen allzu deutlicher Rechtstendenzen zeitweilig aufs Abstellgleis geraten waren. Der Kreisverband Nürnberg wählte am Wochenende Martin Sichert zu seinem Vorsitzenden. Er war im vorigen Jahr wegen rechter Äußerungen in die Kritik geraten. Zum Ende des Zweiten Weltkriegs war ihm eingefallen, es hätten „die zwei größten Massenmörder gesiegt“; den 9. Mai empfinde er als einen Tag der Trauer; Churchill nannte er einen Massenmörder. (bnr.de berichtete) Nach dem Parteitag fühlt er sich wieder obenauf: In Essen habe sich, ließ er wissen, „ganz klar die Mitte der Partei durchgesetzt“, jubelte er.

Einen Rechtsruck der Partei mag auch Petrys neuer Ko-Sprecher Jörg Meuthen nicht erkennen. Er gilt – nach AfD-Maßstäben – als „Liberaler“ in der Partei. „Wir nehmen auch keine Menschen mit rechtsradikaler Vergangenheit auf. Da sind wir sehr, sehr strikt. Das werden wir tendenziell noch verschärfen“, sagte er in der vorigen Woche in einem Interview – und handelte sich damit prompt kaum verklausuliert eine Kampfansage ein. „Herr Meuthen, wie es aussieht, werden wir noch viel Spaß miteinander bekommen!“, kommentierte Roland Ulbrich, einer der rechten Flügelleute von der „Patriotischen Plattform“.

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