Elite der „nationalen Bewegung“

Bei den Freien Kräften haben sich zunehmend länderübergreifende Strukturen entwickelt – in Bayern übernimmt der altbekannte österreichische Neonazi Gottfried Küssel eine führende Rolle.

Mittwoch, 04. August 2010
Marcel Brecht

Die Freien Kräfte (FK) oder Freien Nationalisten (FN) gewinnen an Einfluss: Vor allem auf Jugendliche wirken diese lose in Netzwerken strukturierten Kameradschaften mit ihrer Mischung aus völkisch-nationalem Weltbild und Erlebniskultur mit Demofahrten, Konzerten oder konspirativen Gelagen eine besondere Anziehung aus – konträr zu der NPD und deren parteigebundenen, „bürgerlichen“ Strukturen.

Während die hermetischen Kleingruppen eine Überwachung nahezu unmöglich machen, treten die Freien Kräfte zugleich immer selbstbewusster auf. Sie sehen sich als aufsteigende Elite der „nationalen Bewegung“ – eine gefährliche Mischung.

In Bayern wurde die zunehmende Bedrohung scheinbar wahrgenommen. Erstmals haben es die FN in den Verfassungsschutzbericht 2009 geschafft. Immerhin liegt neben Sachsen in Süddeutschland eines der Machtzentren dieser Bewegung. Im Fokus: Die überregionalen Netzwerke „Freies Netz Süd“ unter Matthias Fischer und „Freier Widerstand Süddeutschland“ unter Philipp Hasselbach. Ihre Stärke wird auf rund 300 Personen geschätzt.

Neue Kräfte nehmen Einfluss

Seit ihren Anfangszeiten im Jahr 2008 werden sie als rein bayerisches Phänomen gesehen. Dabei hat man übersehen, welche neuen Kräfte zunehmend an Einfluss auf die Truppe im Süden nehmen – und woher sich vielfach der neue Nachwuchs rekrutiert. Österreich ist hier von zunehmend überragender Bedeutung.

Denn an die Spitze der FK in Bayern drängt ein Altbekannter: Gottfried Küssel. In den 90er Jahren in der Kühnen-Truppe in Deutschland aktiv, wurde der Österreicher1993 als Anführer der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“ VAPO zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Der österreichische Verfassungsschutz war einem geplanten Staatsstreich, einem bewaffneten Angriff auf das Parlament, auf die Spur gekommen. Küssel gilt er neben Alt-SSler Herbert Schweiger oder Bernhard Schwab zu den „Päpsten“ der Szene. Nach der Haft engagierte er sich weiter beim Aufbau neuer Gruppierungen, oft in Zusammenarbeit mit deutschen Weggefährten.

Jetzt hat Küssel ein neues Projekt entdeckt, erfolgversprechender als alle seine vormaligen Bemühungen. Zuerst tauchte Küssel zusammen mit VAPO-Kamerad und Weggefährten Hans-Jörg Schimanek im vergangenen Jahr verstärkt in Sachsen auf. Schon nach kurzer Zeit war das Duo stets begleitet von Ricardo Sturm. Der neue Schatten an der Seite Küssels zählt zu den einflussreichsten Führern der FK in Sachsen.

„Großdeutsche Ansprüche“

Danach suchte Küssel Kontakt zu Matthias Fischer. Seitdem profitieren beide voneinander. Fischer kann sich mit dem Promi aus dem Süden schmücken, Küssel hat Zugang zu einer wachsenden Zahl von jungem, tatbereitem Nachwuchs.

Nicht umsonst war Küssel am 1. Mai in Schweinfurt der erstgereihte prominente Topredner. „Küssel hat einen neuen, erfolgsversprechenden Weg gefunden, großdeutsche Ansprüche zu stellen“, staunt ein niederbayerischer Staatsschützer.

Wie sehr Küssel schon integriert ist, macht ein Vorfall vor wenigen Wochen deutlich. Vor einem verdeckt arbeitenden Journalisten äußerten sich Anhänger der Freien Kräfte in Südbayern, „die Presse hat jahrelang Gottfried, unseren Küssel, fertig gemacht. Aber er lässt sich nicht unterkriegen und wir auch nicht. Jetzt stehen wir gemeinsam Seite an Seite.“

Regionales Netzwerk an der Grenze zu Österreich

Küssel ist jedoch keine österreichische Ausnahmeerscheinung. Wie massiv er in den Reihen der Schwarzgekleideten auf Volksgenossen trifft, darüber schweigen sich die Verfassungsschutzberichte aus.

Deutlich wird das an dem „Nationalen Bündnis Niederbayern“. Auch im Freien Netz Süd organisiert, setzt es sich als regionales Netzwerk aus den „FK Straubing“, dem „Widerstand Cham“, den „Freien Nationalisten Bayerischer Wald“ und, an der Grenze zu Österreich, der „Aktionsgruppe Passau“ (AG) zusammen. Geschätzt wird die Stärke des Netzwerkes von behördlicher Seite auf rund 80 Personen, sein Rekrutierungspotenzial dürfte jedoch weit darüber liegen.

So besteht die AG Passau nur augenscheinlich aus der Handvoll bekannter ortsansässiger Aktivisten. Aktiv sind hier jedoch größtenteils Oberösterreicher. Von Schärding, Braunau, bis nach Linz zieht sich das Netz der Anhänger. Aktivisten des „Recherche- und Infoladens Wels“ schätzen den Personenkreis auf mindestens 50 Aktivisten. Darunter sind nicht wenige Mitglieder der FPÖ. Und auch der Sohn eines hohen Polizisten aus dem Bezirk Schärding soll mit von der Partie sein.

Parallelen mit „national befreiten Zonen“

Nicht nur die Altprominenz arbeitet grenzüberschreitend, anhand der FK entwickelt sich erstmals ein neuartiges Phänomen: Länderübergreifende Gruppierungen, die nicht nur auf den nahen Grenzraum oder einige wenige persönliche Kontakte beschränkt sind. Und sie haben nicht selten eine anerkannte Partei hinter sich.

In nahezu jeder größeren Gemeinde haben sich bereits unbehelligt örtliche, lose Kameradschaften gebildet. Heribert Schiedl vom „Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes“ sieht bereits für Oberösterreich Parallelen mit „national befreiten Zonen“ in Deutschland. Die einzige Verbindung dieser regionalen Gruppen: Sie engagieren sich zum größten Teil auf bayerischer Seite bei FK oder/und der NPD Bayern.

„Österreich wird beim Thema Rechtsextremismus zunehmend ein Problem für die europäische, für unsere Sicherheit“, heißt es im bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz. Die Folge: Die Verfassungsschützer haben begonnen, die Nachbarländer mit ins Visier zu nehmen – inoffiziell natürlich. So sichtete man bei einem Neonazi-Aufzug in Schärding Beamte des Kommissariats für Staatsschutz Passau und in ihrer Nähe ein Auto mit Münchner Kennzeichen und fleißig notierenden Insassen. Man beginnt, über die Grenze zu schauen.

Kategorien
Tags