Rezension
Eine Symbiose: Freikorps und Faschismus
Das Nachschlagewerk und die Überblicksdarstellung zum Themenkomplex „Freikorps und Faschismus“ hat das Sozialwissenschaftler-Duo Klaus Gietinger und Norbert Kozicki mit ihrem gleichnamigen 440 Seiten umfassenden Band vorgelegt.
Die immense Fleiß- und investigative Recherchearbeit zeigt auf, dass „alle wichtigen Apparate des deutschen Faschismus im Wesentlichen durchsetzt waren von ehemaligen Freikorpskämpfern“. Freikorps, Ende 1918 gebildete bewaffnete Freiwilligenverbände außerhalb des Heeres, hatten sich in der Weimarer Republik schnell als innenpolitischer Machtfaktor etabliert. Sie hatten wesentlichen Anteil an der Destabilisierung der jungen Republik und der Niederschlagung der Spartakisten in Berlin im Januar 1919 und der Räterepublik in München im Mai 1919.
Freikorps, die nicht in die vorläufige Reichswehr überführt wurden, gingen bis Mitte 1920 in legale bis illegale paramilitärische Verbände über. Der Einfluss der alten Kämpfer auf den Eroberungs-, Ausbeutungs-und Vernichtungskrieg zwischen 1939 und 1945 war sowohl in personeller und ideologischer Hinsicht „immens“, resümiert das Forscherduo. Die Freikorpsmänner saßen nach der Machtübertragung an Hitler und auch weiterhin nach der Mordaktion des 30. Juni 1934 an den „Hebeln der Macht“. Sie waren die „Kernmannschaft des Vernichtungskrieges“, so Gietinger/Kozicki.
Zwei Drittel später NSDAP-Mitglieder
Ehemalige Freikorpskämpfer waren Leitungsfunktionsträger in Konzentrations- und Vernichtungslagern. Namentlich zu nennen sind etwa Hans Frank, vormals Freikorps Epp, der die Oberaufsicht über die Vernichtungslager Belzec, Sobibor, Treblinka und Majdanek hatte, oder der einstige Freikorps-Kämpfer Hans Jüttner. Jüttner war zuständig für die Inspektion der Konzentrationslager. Redner auf Jüttners Beerdigung war der damalige Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel (CDU). Den aufwendigen Recherchen von Gietinger/Kozicki zufolge kamen die „Zentralfiguren“ des Vernichtungskrieges aus der Mitte der Gesellschaft: Akademiker, Offiziere, Wirtschaftsfachleute, Architekten, Polizisten und Ärzte.
Die Zahl der wichtigsten Führungspersonen des deutschen Faschismus mit Freikorpsvergangenheit wird im Standardwerk mit 829 angegeben. 543 Freikorpskämpfer (65,5 Prozent) gehörten später der NSDAP an, 260 der SA (31,4 Prozent) und 311 der SS (37,5 Prozent). Dem Lexikon geht eine längere Einführung zum Zusammenhang von Freikorps und Faschismus voran.
Die Freikorpskämpfer haben Gietinger/Kozicki in drei Kategorien eingeteilt:
Hauptschuldiger (Förderer von oder verantwortlich für oder verwickelt in Massenverbrechen) – wie Eleonore Baur oder Waldemar Pabst. Baur war 1921 Sanitäterin im Bund Oberland bei den Separatistenkämpfen um Oberschlesien und 1923 aktiv am Hitler-Putsch beteiligt. Im KZ Dachau war die von Hitler mit dem Blutorden ausgezeichnete Baur bei Unterkühlungsversuchen und Malaria-Experimenten zugegen. Pabst, Generalstabsoffizier des Garde-Kavallerie-Schützen-Division, befahl die Morde an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. In der Bundesrepublik wurde Pabst nicht strafrechtlich verfolgt.
Belasteter (Mitglied in der Garde-Kavallerie-Schützen-Division „GKSD“, Freikorps Epp, Oberland, Lichtschlag, Aulock, Roßbach, Ehrhardt, Loewenfeld, Haas, Kühme, Faupel, Pfeffer, Schulz, Sipo, NSDAP, SA, SS, NS-Kraftfahr- und Fliegerkorps, Funktionselite in Wehrmacht, Regierung und Verwaltung) – wie Ernst von Salomon oder Hans Zöberlein. Salomon, Mitglied der Marinebrigade Ehrhardt, war beteiligt am Attentat auf Reichsaußenminister Walther Rathenau. Der Autor des autobiografischen Romans „Der Fragebogen“ (1951), einer Verhöhnung seines Entnazifizierungsverfahrens, der zum ersten Bestseller in der Bundesrepublik avancierte, zählt heute zu den historischen Vorbildern der Neuen Rechten. Zöberlein, organisiert im Freikorps Epp, später SA-Brigadeührer, ist Autor des antisemitischen Machwerks „Befehl des Gewissens“, in dem Juden mit „Ungeziefer“ gleichgesetzt werden: „Der Baum, der giftige Früchte trägt, muss man umhauen und ins Feuer werfen. Hier darf es kein Mitleid geben.“
Minderbelastet (relativ unauffällig oder niederer Dienstgrad oder kein Parteimitglied) wie Georg Traeg vom Bund Oberland.
Da es bei Nachschlagewerken und Überblicksdarstellungen immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, sei positiv vermerkt, dass das Buch über ein Namensregister verfügt.
Gietinger, Klaus / Kozicki, Norbert: Freikorps und Faschismus. Lexikon der Vernichtungskrieger. Schmetterling Verlag Stuttgart 2022, 440 Seiten, 24,40 Euro