Rezension
Eine „Revolutionstheorie von rechts“? „Regime Change“ von Martin Sellner
Der umtriebige „Identitäre“ Martin Sellner will mit „Regime Change“ eine „Revolutionstheorie von rechts“ entwickeln. Über die Beschwörung einer „Reconquista“ und eine „Produktpiraterie“ bei links kommt er aber nicht hinaus.
„Dieses Buch stellt die Frage nach einer Revolutionstheorie von rechts …“, mit dieser Formulierung auf dem Klappentext wirbt der Antaios-Verlag für „Regime Change von rechts. Eine strategische Skizze“ von Martin Sellner. Offenbar löst eine solche Ansage breiteres Interesse im nahestehenden politischen Lager aus. Denn das Buch erschien im Juni und erreichte im September bereits die dritte Auflage. Geschrieben hat es ein bekannter Aktivist und Autor, Martin Sellner, der die wichtigste Figur in der „Identitären Bewegung“ im deutschsprachigen Raum sein dürfte.
Häufig ist er Autor im „Compact-Magazin“ oder der „Sezession“. Andere Bücher wie etwa eine Art persönliche Geschichte der „Identitären“ hatte Sellner bereits zuvor bei „Antaios“ veröffentlicht. Insofern agiert und publiziert er durchaus breit im neueren rechtsextremistischen Lager, kommt allerdings ursprünglich aus dem österreichischen neonazistischen Spektrum. Davon distanziert Sellner sich heute, auch in seinem neuen Buch. Beim genauen Blick auf dessen Inhalte zeigt sich aber auch, dass es lediglich eine ideologische und strategische Neuausrichtung innerhalb des Rechtsextremismus gab.
Diffuse „ethnokulturelle Identität“ als Hauptziel
Bereits „Regime Chance von rechts“ als Titel soll wortgewaltig wirken. Genau definiert der Autor aber das Gemeinte nicht, Regierungen sollen weg, aber offenbar nicht durch Wahlen. Ihm geht es um einen längerfristig angelegten Systemwechsel. Dessen „Hauptziel“ soll der „Erhalt der ethnokulturellen Identität“ sein. Diese Absicht wird immer wieder auf den knapp 300 Seiten beschworen. Doch bleibt ebendort auch das konkret Gemeinte unklar: Was ist genau mit Ethnie gemeint, wie unterscheidet sich diese von anderen Ethnien, wer gehört aus welchen Gründen zu welcher Ethnie? Welche kulturellen Besonderheit sind jeweils gemeint, inwieweit bestehen dann bei bestimmten Menschen konkrete Trennungslinien?
Antwort auf derartige Fragen findet man nicht in der Monographie. Es gibt auch keine Hinweise auf entsprechende Literatur. Sellner bleibt hier diffus und reiht nur entsprechende Statements aneinander, auch zum beschworenen „ethnokulturellen Volksbegriff“. Die Analyse zu den Strategien ist dafür systematischer entwickelt, es gibt Aussagen zu „Kräfteanalyse“, „Systemanalyse“, „Leitstrategien“ und „Nonstrategien“.
Ablehnung eines „Parlamentspatriotismus“
Gern bedient der Autor sich bei anderen Ansätzen, so etwa bei dem amerikanischen Protestforscher Gene Sharp. Auch Louis Althusser und Antonio Gramsci, ein französischer und italienischer Marxist, sind mitunter Referenzquellen für eine strategische „Produktpiraterie“. Der von diesen Autoren ausgeführte Inhalt wird einfach nach „rechts“ übertragen. Bei Sellner mündet diese Vorgehensweise darin, in der „Reconquista“ die eigentlich empfehlenswerte Strategie zu sehen. Damit gibt er einem historischen Begriff einfach einen neuen Inhalt, beabsichtige er doch „eine Eroberung der kulturellen Hegemonie“ zu erreichen. Hierbei liegt der Autor ganz auf der Linie der Neuen Rechten.
Ablehnend äußert er sich demgegenüber zum „Parlamentspatriotismus“, der keinen „besonderen Wert auf die Transformierung der herrschenden Ideologie“ lege. Anders formuliert: Eine Ausrichtung von Politik im Sinne der parlamentarischen Demokratie lehnt Sellner dezidiert ab, er spricht von einer falschen Lageanalyse und einem falschen Machtverständnis, ihm geht es ja letztendlich um einen „Regime Change“.
„Orbánisierung“ als strategische Orientierung
Hier wird dann „People power = ((Masse x Organisation) x Botschaft) x Strategie“ als „Wendeformel“ präsentiert. In seinem Bemühen, damit besonders intellektuell zu erscheinen, verstolpert sich Sellner aber. Er beschwört danach wieder „metapolitische Pionierarbeit“ und „anschlussfähige Provokation“ als nachahmenswerte Vorgehensweisen. Indessen erscheint dabei die ganze Ausrichtung als diffus, bleibt sie doch in der Luft hängen. Welche genauen Akteure hier wirken sollen, ist für ihn kein Thema.
Gerade die „Identitären“ waren ja angesichts ihres sinkenden oder allenfalls stagnierenden Potentials nicht erfolgreich, was hier aber nicht Gegenstand von selbstkritischen Reflexionen ist. Beachtenswert sind demgegenüber wieder die Ausführungen zur „Orbánisierung“, also der Entwicklung in Ungarn. Daraus leitet der Autor konkrete Erkenntnisse zur Strategie ab, ergab sich dort doch tatsächlich ein stiller „Regime Change“.