Eine „nationale Revolution“ in der Ukraine
Tausende Personen beteiligen sich am Marsch der rassistischen Partei „Svoboda“ durch Kiew – auch Neonazis aus den Reihen der „Autonomen Nationalisten“ und Hooligans sind darunter.
Ein Meer aus blaugelben Fahnen. Tausende von Nationalisten sind am vergangenen Freitag ins Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew gezogen, um die im Oktober 1942 gegründete „Ukrainische Aufständische Armee“ (UPA) und deren Anführer Stepan Bandera zu ehren. Bandera hatte sich den Nazis nach dem Überfall auf die Sowjetunion als „natürlicher Verbündeter“ angeboten. Die UPA soll an Massenmorden von Juden und polnischen Zivilisten beteiligt gewesen sein, sie war der militärische Arm der von Bandera gegründeten faschistischen Kaderorganisation Organisation „Ukrainischer Nationalisten“ (OUN).
Bandera gilt heute insbesondere in der Westukraine als Synonym für Unabhängigkeit von Russland. Der frühere ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, ein Vorkämpfer der „Orangen Revolution“, hatte Bandera gar zum „Nationalhelden“ erklärt, ein Gericht kippte jedoch später diese Entscheidung.
In europäischen rechten Netzwerken aktiv
In einem zerstrittenen Land, das sich im Zickzack-Kurs zwischen Europa und Moskau befindet, regiert von mächtigen Clans, die beliebteste, aber umstrittene Oppositionspolitikerin im Gefängnis, findet die nationale Partei „Svoboda“ (Freiheit) immer mehr Zulauf. Bei den Kommunalwahlen im Oktober 2010 erzielte sie in Lviv (ehemals Lemberg) mit 27 Prozent die absolute Mehrheit. Im Landesdurchschnitt liegt sie bei rund fünf Prozent. Svobodas Farben sind blau und gelb, das Parteisymbol ist eine Faust mit drei nach oben gespreizten Fingern, die das ukrainische Nationalsymbol, den Dreizack, darstellen. Ihre Anführer, darunter der Lviver Bezirksabgeordnete Oleg Tjagnybok, bemühen sich, ihren politischen Einfluss auf das gesamte Land auszubreiten. Im Frühjahr kam es durch Aktivisten aus dem Umfeld der Svoboda zu Ausschreitungen und Krawallen.
Den 69. Jahrestag der UPA-Gründung nutzen sie, um „Ukraine den Ukrainern“ zu fordern und laut Kritik an der Regierung zu äußern. Daher haben sich rund 2000 Milizen am Abend des 14. Oktober in der Kiewer Innenstadt um den Schewtschenko-Park zusammengezogen. Gegendemonstranten sind nicht zu sehen. „Unser Ziel ist es, die Ukraine zu schaffen, für welche die Soldaten der UPA kämpften!“, sagt der Mann mit dem dunklen Bürstenschnitt, Oleg Tjanybok. Fernsehkameras umringen ihn. Svoboda ist nach Recherchen von „Der Rechte Rand“ sehr aktiv in europäischen rechten Netzwerken. Es bestehen demnach enge Kontakte zur „Front National“ in Frankreich, zur ungarischen „Jobbik“ oder der British National Party (BNP) in Großbritannien. 2010 reiste Tjanybok nach Straßburg und beteiligte sich an einer gemeinsamen Pressekonferenz. Die ukrainische Svoboda ist ebenso extrem antirussisch wie antipolnisch ausgerichtet. (bnr.de berichtete) Propagiert wird die „Ukrainisierung“ der Gesellschaft.
Der Schwarze Block formiert sich
Alte Männer in Uniformen, behangen mit Orden, haben sich vor dem Denkmal im Park aufgestellt. Neben ihnen stehen junge Kameraden in traditionellen Hemden mit gesticktem Kragen. Frauen tragen bunte Kopftücher. Auf einem Tisch werden Bücher und Anhänger verkauft. Hakenkreuze in vielen Variationen sind zu sehen, Thorshammer und Schwarze Sonne. Ein Mann hat sich als Henker verkleidet, er trägt einen Galgen mit drei Seilen. Neben ihm steht einer als Sensenmann. Er ruft den Demonstranten etwas zu. Der Name des amtierenden Regierungschefs fällt. Sie lachen. Ältere Frauen tragen das Foto der inhaftierten Oppositionspolitikerin Julija Timoschenko mahnend vor sich her. Eine hat deren Haarkranz mit Dornen versehen, Timoschenkos Erscheinung gleicht einer Jesus-Ikone.
Weiter hinten sind rotschwarze Fahnen zu erkennen. Junge Männer und Frauen tragen Militärkleidung. Manche sind schwarz gekleidet, haben sich vermummt mit Tüchern oder medizinischen Atemmasken. Eine Thor Steinar-Jacke ist zu sehen. Old School-Skinheads kommen hinzu. Über ihnen schweben Keltenkreuze und Zahnräder. Später, nach den zahlreichen Reden der Svoboda-Anführer, werden sich die jungen Leute ganz hinten an den Demonstrationszug anreihen. Sie formieren sich zum Schwarzen Block.
Den Arm zum Hitlergruß gereckt
Die Autonomen Nationalisten der Ukraine nennen sich – wohl in Anspielung auf die Atomkatastrophe in Tschernobyl – „Reactor“. Ihre Homepage ist vernetzt mit zahlreichen europäischen Neonazi-Gruppen, darunter auch welchen aus Ostfriesland und Franken. Sie brüllen Parolen wie ihre Gleichgesinnten in Westeuropa und stellen laute, dynamische Mobilisierungsvideos ins Netz. Immer wieder wird ein Arm zum Hitlergruß gereckt. „Acab“ („All Cops are Bastards“) ruft einer aus dem anonymen Block. Ein alter Mann eilt herbei und lässt sich vor den jungen Leuten mit ihren schwarzen Transparenten stolz fotografieren.
Extremer Nationalismus und rassistische Ideologie sind Bindeglieder zwischen ihnen und der Partei Svoboda. Die beschäftigt sich mit der Verherrlichung des Nationalsozialismus ebenso wie mit kommunalen Themen. Ziel sei es, eine „nationale Revolution“ in Gang zu setzen. Ihre Anhänger geben sich militärisch und traditionsbewusst.
Eine Gruppe junger Männer trägt grüne Uniformen im Erbsentarn wie die Bundeswehr. Auch sie gehören zu Svoboda. Gemeinsam ziehen sie am Abend des 14. Oktober in einer langen Prozession durch die Stadt zum Majdan-Platz. Vorbei an Kathedralen, dem modernen Hyatt-Hotel und protzigen Luxuskarossen. Am Straßenrand bleiben Passanten stehen und lächeln. Der Verkehr stockt, niemand hupt. Manche Straßenkreuzungen werden von Sondereinheiten der Miliz abgesichert. Nur wenige Anhänger sind dem Aufruf der Kommunistischen Partei gefolgt und haben sich in der Nähe versammelt.
Nach und nach bewegt sich die Menge zum zentralen Treffpunkt. Eine riesige Bühne ist errichtet worden, nationale ukrainische Rockgruppen spielen. Modernste Technik ist zu sehen, daneben das Konterfei eines ukrainischen Nationalhelden. Bengalische Feuer werden entzündet. Rauch und Fahnen vermischen sich in der Dunkelheit und geben eine Ahnung davon ab, wie die Stimmung während der Fußball-Europameisterschaft im nächsten Jahr in der Ukraine werden könnte.