„Eine beständige Bedrohung für unsere Gesellschaft“
Trotz einer Abnahme der Ausländerfeindlichkeit in Deutschland gibt es ein dauerhaft hohes Niveau bei rechtsextremen Einstellungen. Das ist das Fazit der jetzt vorgelegten „Leipziger Autoritarismus-Studie“ vom Kompetenzzentrum für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig.
„Diesmal können wir mit einer guten Nachricht aufwarten“, sagt Professor Oliver Decker von der Universität Leipzig zur Präsentation der aktuellen „Autoritarismus-Studie“. Er verweist auf den Prozentsatz „manifest ausländerfeindlich Eingestellten“, der 2019 laut Studie im Vergleich zu 2018 von 23,4 auf 16,5 Prozent bundesweit gesunken ist. Augenfällig sind hier die Unterschiede zwischen West und Ost: Sank der Anteil in den westdeutschen Bundesländern von 21,5 auf 13,7 Prozent, ging die Zustimmung in Ostdeutschland nur von 30,7 auf 27,8 Prozent zurück. Auch die Zustimmung zu tradiertem Antisemitismus und die Abwertung von Muslimen ist bundesweit leicht rückläufig.
Gleichzeitig warnt Deckers Kollege Professor Elmar Brähler vor übereiltem Optimismus: „Wir dürfen uns nichts vormachen, wir verzeichnen bei manchen Fragestellungen weiterhin ein erschreckend hohes Niveau an Zustimmung“. So stimmt mehr als ein Viertel der Befragten der Forderung zu, „Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland zu untersagen“, mehr als die Hälfte meint, „Sinti und Roma neigen zur Kriminalität“ und knapp 50 Prozent fühlen sich „durch die vielen Muslime manchmal wie ein Fremder im eigenen Land“.
Im Osten: Fast jeder Zehnte mit rechtsextremem Weltbild
Im Bereich des Antisemitismus äußern zehn Prozent der Befragten Verständnis dafür, dass „manche Leute etwas gegen Juden haben“, 41 Prozent und damit fünf Prozent mehr als 2018 meinen, dass „Reparationszahlungen nur einer Holocaust-Industrie“ nützten. In Westdeutschland attestiert die Studie drei Prozent der Befragten ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, in Ostdeutschland betrifft dies fast jeden Zehnten der dort Befragten.
Zu den Dimensionen der rechtsextremen Einstellung zählen die Forscher Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur, Chauvinismus, Ausländerfeindlichkeit, Antisemitismus, Sozialdarwinismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus. Nur in zwei dieser Kategorien ist in den ostdeutschen Bundesländern ein leichter Rückgang zu beobachten. Zum fünften Mal greifen die Forscher in ihrer Studie das Thema Verschwörungsmythen auf, in der aktuellen Ausgabe um Fragen zur Corona-Pandemie ergänzt.
Verschwörungsmythen „Einstiegsdroge für antimodernes Weltbild“
Knapp die Hälfte der Befragten stimmt der Aussage zu, „Die Corona-Krise wurde so groß geredet, damit einige wenige davon profitieren können“, knapp zwei Drittel glauben, „Die Hintergründe der Corona-Pandemie werden nie ans Licht der Öffentlichkeit kommen“. Nach Angaben der Forscher ist der Glaube an Verschwörungsmythen seit 2018 gestiegen, er könne als „eine Art Einstiegsdroge für ein antimodernes Weltbild wirken“.
Die Daten der Studie mit dem Titel „Autoritäre Dynamiken: Alte Ressentiments – neue Radikalität“ bestätigten erneut „das dauerhaft hohe Niveau antidemokratischer Einstellungen in der deutschen Bevölkerung“, sagen die Projektleiter Brähler und Decker. Sie warnen davor, dass „autoritäre und antidemokratische Einstellungen eine beständige Bedrohung für unsere offene, liberale Gesellschaft darstellen“.
Neue Ausdrucksmöglichkeiten
Die seit Beginn der Studie 2002 festgestellten antidemokratischen Ressentiments blieben zwar gleich, suchten jedoch immer neue Ausdrucksmöglichkeiten, erklären die Forscher. Dies gelte für den Antisemitismus, der sich neu in Verschwörungsmythen ausdrücke, Antifeminismus werde zu einer „Brückenideologie antimoderner Bewegungen“ und viele Menschen seien „inzwischen für Muslimfeindschaft und Antiziganismus empfänglich“. Weil sich bestimmte Ideologie verfestigten und sich diese Milieus stetig radikalisierten, nehme auch die Gewalt gegen Betroffene von Ideologien der Ungleichwertigkeit weiter zu.
Die Langzeitstudie zur „Entwicklung autoritärer und rechtsextremer Einstellungen in Deutschland“ wird seit 2002 an der Universität Leipzig durchgeführt, zwischen 2006 und 2012 wurde sie als „Mitte“-Studien durchgeführt. Inzwischen wird sie in Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung und der Otto Brenner Stiftung veröffentlicht.