Ein Klima der Angst
Sprengstoff-Funde im Raum Aachen werfen die Frage auf, ob es in der Neonazi-Szene rechtsterroristische Bestrebungen gab.
Entstand in der Region zwischen Aachen, Nordeifel, Düren und Heinsberg aus dem Umfeld der lange Zeit eng mit der örtlichen NPD verwobenen „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) die Keimzelle einer Art Braune Armee Fraktion? Vor wenigen Wochen betonte das nordrhein-westfälische Landesinnenministerium noch, dass in Deutschland derzeit „keine Anhaltspunkte für rechtsterroristische Bestrebungen“ zu erkennen seien. Neonazis in Aachen experimentierten indes mindestens von April bis August 2010 mit Sprengstoffen.
Am 1. September fand deswegen eine Razzia in Aachen und Umgebung statt. Der damals 19-jährige Falko W. aus Aachen wurde dabei in Untersuchungshaft genommen (bnr.de berichtete) Im Rahmen des Verfahrens wurde am 22. September ein weiterer Neonazi aus Aachen inhaftiert. (bnr.de berichtete)
Selbstgebaute Sprengkörper bis hin zu Rauchbomben
Ermittelt wird gegen den unterdessen 20-jährigen W. und den später ebenso inhaftierten Daniel T. (25) unter anderem wegen des Verdachtes auf Vorbereitung von Sprengstofftaten, etwa am 1. Mai im Umfeld eines Neonazi-Aufmarschs in Berlin. Angesichts starker Vorkontrollen hatte eine aus dem Raum Aachen angereiste Gruppe von Neonazis Dinge weggeworfen. Polizisten sicherten diese. Gegenüber Medien hieß es, es seien mit Glasscherben umwickelte Knallkörper gewesen, mit denen die Neonazis möglicherweise Polizisten und Gegendemonstranten attackieren wollten. Die frisierten Silvesterböller hätten Menschen erheblich verletzten können.
Aus einem bnr.de vorliegenden Papier geht hervor, dass nicht nur eine Reihe mit Glasscherben umwickelte Böller aufgefunden wurden, sondern auch verschiedene andere selbst gebaute Sprengkörper bis hin zu Rauchbomben. Aufgefundene DNA-Spuren führten später zu den beiden Neonazis aus Aachen. Zum Tatzeitpunkt sollen sie Mitglieder der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) gewesen sein, die auch in den Kreisen Düren und Heinsberg aktiv ist.
Ermittlungen gegen untergetauchten Neonazi
In derselben Sache ermittelt die Polizei laut dem Papier ebenso gegen eine Handvoll Neonazis, die auch der KAL und deren Umfeld zugerechnet werden. Dem Schreiben zufolge laufen auch Ermittlungen gegen ein weiteres KAL-Mitglied, das aber„untergetaucht“ ist. Ebenso wird deutlich, dass die Beamten, die am 1. September mehrere Wohnungen durchsuchten, Beweise dafür fanden, dass mindestens die beiden Inhaftierten bis Ende August mit Sprengstoff experimentierten.
So wurden abermals Böller sichergestellt, zudem Kleinkalibermunition, aus der zum Teil das Schwarzpulver entfernt worden war. Daraus und aus Abhörprotokollen schließen die Ermittler, dass neue, stärkere „Sprengkörper“ gebaut und getestet, vielleicht sogar an „Kameraden“ zwecks Nutzung weitergegeben wurden.
Privathäuser von Nazigegnern mit Morddrohungen besprüht
Aus W.s Gruppe und dem KAL-Umfeld heraus sollen auch seit Frühjahr 2010 Angriffe und Sprühaktionen gegen Nazigegner und den linksalternativen Veranstaltungsort „Autonomes Zentrum“ (AZ) in Aachen verübt worden sein. So waren AZ-Besucher etwa aus W.s Auto heraus mit einer Gaspistole und mittels einer Zwille mit Stahlkugeln beschossen worden. Parteibüros und der jüdische Friedhof in Aachen wurden im Sommer mit rechten Parolen und Symbolen beschmiert.
Auch Privathäuser oder Wände und Straßen im Umfeld der Wohnungen echter oder vermuteter Nazigegner wurden mit Morddrohungen besprüht. Zudem war eine Paketbombenattrappe vor dem AZ abgelegt worden. Sprengstoffexperten des Landeskriminalamtes nahmen das Paket wegen der Bauweise so ernst, dass sie es entschärften. W. soll sogar eine scharfe Schusswaffe besessen und vor „Kameraden“ damit geprahlt haben, damit dereinst Antifaschisten erschießen zu wollen.
In dem Ermittler-Papier wird wegen alldem festgehalten: „Bei der Bevölkerung von Aachen ist durch die Vorfälle der jüngeren Vergangenheit ein Klima der Angst vor rechter Gewalt geprägt worden.“