Mordprozess Samuel Yeboah

Ein Geständnis mit doppeltem Boden

Vor mehr als 31 Jahren starb Samuel Yeboah bei einem rassistischen Brandanschlag in Saarlouis. Jetzt hat der frühere Neonazi-Skinhead Peter S. seine Beteiligung an dem Mord überraschend doch noch gestanden. Als Haupttäter aber beschuldigt er einen späteren Szene-Aussteiger.

Dienstag, 09. Mai 2023
Joachim F. Tornau
Transparente vor dem Gericht für den verstorbenen Samuel Yeboah, Foto: Joachim F. Tornau
Transparente vor dem Gericht für den verstorbenen Samuel Yeboah, Foto: Joachim F. Tornau

Die Sätze, mit denen der Angeklagte retten will, was noch zu retten ist, füllen gerade einmal drei Seiten. Als sie sein Verteidiger Guido Britz am Dienstag im Oberlandesgericht Koblenz vorliest, dauert das magere zehn Minuten. Das war’s, Nachfragen werden nicht beantwortet.

Bereits seit einem halben Jahr muss sich Peter S., ehemaliger Aktivposten der neonazistischen Skinhead-Szene im Saarland, einem sehr späten Mordprozess stellen: Am frühen Morgen des 19. September 1991 soll der heute 51-Jährige Feuer gelegt haben in einer Geflüchtetenunterkunft in Saarlouis. Samuel Yeboah, ein 27 Jahre alter Mann aus Ghana, starb in den Flammen. Die weiteren Bewohner konnten sich gerade noch retten, manche von ihnen nur durch waghalsige Sprünge aus den oberen Stockwerken.

„Randale machen wie im Osten“

Bis zu diesem 25. Verhandlungstag hat Peter S. jegliche Beteiligung an dem rassistischen Mord und den vielfachen Mordversuchen, die ihm die Bundesanwaltschaft zur Last legt, bestritten. Und nun das. Peter S. gesteht. Aber: Er will es nicht allein gewesen sein. Wenn man seine Geschichte glaubt, dann war er sogar nicht einmal der Haupttäter, sondern bloß ein Mitläufer – und nach der Tat „völlig fertig“ und „schockiert“, weil er niemanden habe töten wollen. „Es ging nur darum, Randale zu machen wie im Osten“, trägt Anwalt Britz vor. Wie bei den unzähligen Angriffen auf Geflüchtete, die im gerade wiedervereinigten Deutschland an der Tagesordnung waren.

Mit zwei Kameraden hatte Peter S. am Abend vor der Tat gesoffen, das ist unstrittig. Der eine war Peter St., damals und noch lange danach der unangefochtene Anführer der Neonazis in Saarlouis, der andere ein Mann, der schon 1994 aus der Szene ausstieg und später auch öffentlich Stellung gegen Rassismus und Antisemitismus bezog. Und ausgerechnet diesen Aussteiger erklärt der Angeklagte nun zur treibenden Kraft des Brandanschlags: Heiko S. habe ihn gedrängt, noch in derselben Nacht zuzuschlagen, habe das Benzin besorgt, habe es im Flur des ehemaligen Gasthauses ausgeschüttet und angezündet. Er selbst, so klingt das, war nur irgendwie dabei.

Angst vor rechter und linker Szene?

Seinem langjährigen Freund Peter St., dem er bis heute verbunden ist, stellt der Angeklagte dagegen einen Persilschein aus. Der Neonazi-Führer sei strikt gegen Brandanschläge gewesen, habe lieber „Mann gegen Mann“ kämpfen wollen und sei nach der Tat „richtig sauer“ gewesen. „Aus Respekt und auch Angst“ vor ihm hätten sie ihm deshalb nie gebeichtet, dass sie den Anschlag begangen hätten. Es tue seinem Mandanten „sehr leid“, dass er nicht früher ausgesagt habe, sagt Britz. Aber er habe halt Angst gehabt, vor der Reaktion der rechten Szene und, das vor allem, vor „den Linken“. „Er bedauert den Vorfall zutiefst.“

Dem erstaunlichen Geständnis vorausgegangen war eine klare Ansage des Staatsschutzsenats: Bereits vor einigen Wochen hatte das Gericht erklärt, dass es den Angeklagten nach derzeitigem Verfahrensstand für schuldig hält, und ihm für den Fall eines „glaubhaften und qualifizierten Geständnisses“ eine vergleichsweise milde Jugendstrafe von höchstens sechs Jahren und zehn Monaten in Aussicht gestellt – bei dem Mordanschlag war Peter S. noch Heranwachsender gewesen. Die geplante Verständigung scheiterte jedoch, weil die Bundesanwaltschaft auf einer höheren Strafe bestand.

Zweifel am Geständnis

Wie viel es Peter S. nutzen wird, jetzt auch ohne Deal ein Geständnis abgelegt zu haben, ist völlig offen. „Was wir gehört haben, ist wenig und lässt erhebliche Zweifel bestehen“, sagt Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der mehrere Überlebende des Attentats vertritt. Es sei „sehr durchsichtig“, wie offensiv der Angeklagte versuche, seinen Freund Peter St. aus allem herauszuhalten und alle Schuld einem Aussteiger aufzuhalsen. Andere Verfahrensbeteiligte werden noch deutlicher: Kein Geständnis sei das gewesen, heißt es am Rande der Verhandlung. Sondern nur eine „Räuberpistole“.

Noch am Dienstag konfrontiert das Gericht den LKA-Beamten, der die 2019 nach dem Hinweis einer Zeugin wiederaufgenommenen Ermittlungen zum Mord an Samuel Yeboah geführt hat, mit dem Geständnis. Seine Reaktion fällt sehr zurückhaltend aus. „Es ist grundsätzlich möglich, dass das so geschehen sein könnte“, sagt er. Aber er sehe auch einige Widersprüche. So habe niemand der mehr als 200 Zeug*innen, die man vernommen habe, viele davon aus der rechten Szene, von Heiko S. als möglichem Täter gesprochen. Umso mehr jedoch vom Angeklagten. Und dafür, dass Kameradschaftsboss Peter St. so gar keine Sympathien für den Brandanschlag gehabt haben soll, hätten sich bei ihm bemerkenswert viele Zeitungsartikel über den Mord gefunden. 

Klar ist: Den Prozess verkürzen dürfte die Kehrtwende des Angeklagten nicht, im Gegenteil. Das Gericht muss in den kommenden Wochen und Monaten aufwendig den Wahrheitsgehalt seiner Einlassung überprüfen. Auch Peter St. und Heiko S. werden noch als Zeugen in Koblenz erscheinen müssen. Zumindest Letzterer wird die Aussage jetzt allerdings verweigern können.

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