Rezension

„Ein antisemitischer Doppelmord“. Erinnerung an den früheren Rechtsterrorismus

Der Berliner Historiker Uffa Jensen legt mit „Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik“ eine Studie zur  Ermordung von Shlomo Lewin und Frida Poeschke durch einen neonazistischen Täter 1980 vor. Dabei kritisiert er die Fehlwahrnehmung und Ignoranz nicht nur der damaligen Sicherheitsbehörden, ohne aber in verschwörungsideologische Spekulationen abzudriften. Der Autor liefert darüber hinaus auch noch eine überraschende Deutung der Ereignisse.

Mittwoch, 12. Oktober 2022
Armin Pfahl-Traughber
Straßenschild nach Shlomo Lewin und Frida Poeschke benannter Anlage in Erlangen. Foto: Janericloebe, CC BY 3.0
Straßenschild nach Shlomo Lewin und Frida Poeschke benannter Anlage in Erlangen. Foto: Janericloebe, CC BY 3.0

Am 19. Dezember 1980 wurden der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke in ihrem Privathaus in Erlangen erschossen. Ein Uwe Behrendt gilt als Täter, damals ein führender Funktionär der neonazistischen „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Bis in die Gegenwart hinein ist dieser antisemitische Doppelmord weitgehend vergessen.

„Antisemitischer Doppelmord“, so hat auch der Historiker Uffa Jensen seine Studie zum Thema überschrieben. „Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus“ lautet der Untertitel. Dieser kann indessen zu einer Fehlwahrnehmung führen, denn es geht zwar auch um die Geschichte des bundesdeutschen Rechtsterrorismus, aber das erwähnte Ereignis steht im Zentrum. Das Buch stammt von einem Historiker, der seit einigen Jahren stellvertretender Leiter des bekannten Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin ist. So erklärt sich auch die inhaltliche und methodische Ausrichtung der quellengestützten und umfangreichen Rekonstruktion der Ereignisse.

Defizite bei der Ermittlung der Polizeibehörden

Dem Autor geht es aber nicht allein darum, die Mordtat lediglich nachzuzeichnen. Diese Ausführungen nehmen auch nur einen geringen Textteil ein. Er blickt mit ganz unterschiedlicher Perspektive auf die damaligen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Genau darin, es sei hier schon hervorgehoben, besteht die Stärke dieser Studie. Denn die Aufmerksamkeit konzentriert sich auf die Defizite nicht nur der Polizeibehörden, die den antisemitischen und rechtsextremistischen Hintergrund der Tat nicht erkannten.

So sehr dies Jensen kritisiert, so wenig neigt er hierbei zu verschwörungsideologischen Vorstellungen. Er schreibt: „Ich halte … eine willentliche Vertuschung oder eine große Verschwörung etwa dass rechtslastige Polizei- und Behördenstellen mit dem Täter sympathisiert hätten, nicht für wahrscheinlich. Man muss sich eher fragen, was in den Köpfen der Ermittler vor sich geht und warum ihnen bestimmte Überlegungen gar nicht in den Sinn kommen“. Mangelnde Empathie und Fachkenntnisse sind das Thema.

Kooperation mit gewalttätigen Palästinensergruppen

Entsprechend breit angelegt sind die Ausführungen, wechseln sich doch Kapitel zu allgemeinen Gesichtspunkten mit solchen über die konkrete Tat ab. So findet man gesonderte Betrachtungen zum Antisemitismus, Rechtsextremismus und Terrorismus in der Nachkriegszeit ebenso wie Darstellungen zu den Opfern, der Tat und dem Prozess. Es gibt auch ein zunächst etwas überraschend wirkendes Kapitel zur PLO, was auf die zeitweilige Kooperation gewalttätiger Palästinensergruppen mit neonazistischen Rechtsterroristen verweist. Derartige Kooperationen gab es demnach nicht nur mit dem deutschen Linksterrorismus, womit man es mit einem weiteren Desiderat der Forschung zu tun hat.

Der Autor macht durchgängig an vielen Beispielen deutlich, wie sehr die polizeilichen Ermittlungen von Ignoranz geprägt waren, nahm man doch den Antisemitismus als mögliches Motiv ebenso wenig zur Kenntnis wie Rechtsextremisten als potentielle Täter. Nicht nur in den Behörden, sondern auch in der Gesellschaft mangelte es an Sensibilitäten.

Blick auf die Ereignisse mit dem Wissen der Gegenwart

Der Autor schreibt als Historiker, was er häufiger hervorhebt. Das erklärt mit, warum manche Erkenntnisse der Extremismus- und Terrorismusforschung nicht integriert wurden. Auch kann er aus der Perspektive des Wissenden schreiben, frei nach dem sprichwörtlichen Motto: „Hinterher ist man immer schlauer“. Bei seiner Deutung der Ereignisse hebt Jensen auch hervor, dass er über Erkenntnisse verfügt, welche den damaligen Ermittlern nicht bekannt waren.

Und so legt der Autor eine interessante Deutung der Morde nahe: Demnach habe Behrendt durchaus mit Hoffmanns Wissen agiert, eventuell im gezielten Auftrag dann als Einzeltäter die Morde begangen. „Möglicherweise hatte die WSG mit der PLO vereinbart, in Europa ‚secret work“ zu erledigen“. Das wäre ein ungewöhnliche, aber keine unrealistische Deutung. Unabhängig von dieser Frage wurden Lewin und Poeschke aber Mordopfer, weil sie eben dem antisemitischen Feindbild vom „Juden“ entsprachen und engagierte öffentliche Kritiker des gewaltorientierten Rechtsextremismus waren.

Uffa Jensen, Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik, Berlin 2022 (Suhrkamp-Verlag), 316 S., 24 €

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