Verfassungsschutzbericht
Dramatische Entwicklung am rechten Rand
Seiner persönlichen Meinung nach sei die AfD „gesichert rechtsextremistisch“, sagte Bundesinnenminister Dobrindt heute in Berlin bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2024. Ansonsten – Stichwort Stillhalteabkommen – blieb der Minister in seinen offiziellen Aussagen zur führenden Partei im Rechtsaußen-Lager eher vage. Die Folgen des Rechtsrucks bezeichnete er jedoch mehrfach als „dramatisch“.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Sinan Selen, stellten heute Mittag in der Bundespressekonferenz den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2024 vor. Bereits im Vorfeld wurde Dobrindt in Medienberichten zitiert, dass ihm vor allem die rasche Radikalisierung junger Menschen in allen extremistischen Lagern Sorge bereite. Denn diese seien, so der CSU-Politiker, in kurzer Zeit auch gewaltbereit.
Sowohl Dobrindt als auch Seelen benannten heute in Berlin Russland immer wieder als maßgeblichen Akteur im Themenspektrum Spionage, Desinformation und Cyberkriminalität und als Quelle einer „steigenden Bedrohung“ für Gesellschaft und Demokratie. Demnach wirkt also ein autokratisch und nationalistisch regierter Staat explizit auf Deutschland und dem ihm nahestehenden politischen Rechtsaußen-Spektrum ein. Dobrindt sagte, man verzeichne eine „steigende Bedrohung, steigende Aktivitäten, steigende Angriffe“ durch ausländische Nachrichtendienste.
Dramatisch und erschreckend
Der Bundesinnenminister nannte gleich mehrere Entwicklungen im Bereich des Rechtsextremismus, die er als dramatisch und erschreckend bezeichnete. So sei die Zahl der vom Bundesamt gezählten Rechtsextremisten im Jahr 2024 erstmals auf über 50.000 angestiegen, nachdem sie 2023 noch bei rund 40.600 gelegen habe. In den letzten zehn Jahren habe sich die Zahl mehr als verdoppelt, von rund 20.000 im Jahr 2015 auf nunmehr 50.250.
Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten beträgt derzeit 15.300 Menschen (2023: 14.500). Dobrindt bezeichnet dies als „deutliche Steigerung“ und „dramatischen Befund“. Ein „dramatischer Betrag“ sei laut Dobrindt auch die Zahl von fast 38.000 im Jahr 2024 registrierten Straftaten im politischen Phänomenbereich Rechts (konkret: 37.835), davon 1.281 Gewalttaten. Im Vorjahr 2023 hatte das BfV 25.600 rechte Straftaten und 1.148 Gewalttaten registriert. BfV-Vizepräsident Selen erinnerte in diesem Zusammenhang daran, dass sich junge Menschen derzeit online schnell und deutlich radikalisieren.
Virtuelle „Wirkfläche“
Selen zufolge ist es für seine Behörde eine „besondere Herausforderung“, diese Dynamik und den daraus resultierenden Anstieg junger Extremisten zu beobachten und zu analysieren. Ausländische Dienste würden auch auf diese Szene einwirken, indem sie Desinformationen verbreiten, die Gesellschaft spalten und radikalisieren würden. Extremisten nutzten den virtuellen Raum, Chats und Foren dabei als „Wirkfläche“. Besorgniserregend sei auch eine junge, subkulturelle Szene im Rechtsextremismus, deren Mitglieder gewaltbereit auftreten.
Selen nannte namentlich etwa die eher in losen Cliquen strukturiert agierenden „Jung & Stark“ (JS) sowie die „Deutsche Jugend voran“ (DJV) oder mutmaßlich terroristische Gruppen wie die „Letzte Verteidigungswelle“. Im Verfassungsschutzbericht 2024 wird indes ebenso auf die „Attentäter-Fanszene“ hingewiesen, die sich virtuell rasch radikalisiert und mit Attentaten oder Amoktaten rechtsextremen Terroristen nacheifert.
AfD als „Scharnierfunktion“
Obwohl die AfD inzwischen die maßgebliche politische Kraft am rechten Rand ist, sind Gruppen oder Parteien wie „Die Heimat“ (zuvor NPD) weiterhin aktiv. Laut Selen gehöre die „Die Heimat“ weiter als eine der zahlreichen kleineren Organisationen zur „rechtsextremistischen Binnenstruktur“. Die AfD spiele hierbei eine „Scharnierfunktion“. Sie transportiere Themen ins Sag- und Machbare. Obwohl seine Behörde nach der Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch“ und einer Klage dagegen eine Stillhaltezusage abgegeben hat, sagte Dobrindt in diesem Kontext, dass die AfD eine „Stimmungslage erzeugt, die der Polarisierung der Gesellschaft Vorschub leistet“.
Während Dobrindt sich als Behördenchef bezüglich der AfD eher bedeckt hielt – abgesehen von einer persönlichen Anmerkung –, geht der Verfassungsschutzbericht 2024 auf die AfD ein. Die Partei zählte zum Jahreswechsel rund 50.000 Mitglieder, von denen laut Verfassungsschutz rund 20.000 als Extremisten gelten. Zum Vergleich: „Die Heimat“ hat 2.500, die „Freien Sachsen“ 1.200 und der „Dritte Weg“ 950 Mitglieder. In parteiunabhängigen Strukturen und im unstrukturierten „Personenpotenzial“ zählt das Bundesamt insgesamt rund 26.850 Rechtsextremisten.
Mitgliederzuwachs oder nur -verschiebung?
In den letzten Jahren sind dabei die Zahlen der Parteimitglieder und auch jene der „Unstrukturierten“ abseits der AfD auf den ersten Blick stetig angestiegen. Lediglich die „Identitäre Bewegung“ (IB) verlor seit 2023 bundesweit 50 Mitglieder und die NPD/„Die Heimat“ büßte im letzten Jahr gegenüber 2023 laut Verfassungsschutzbericht 300 Mitglieder ein.
Die Parteijugend „Junge Nationalisten“ (JN) wuchs demgegenüber von 230 (2023) auf 300 (2024), der „Dritte Weg“ von 800 auf 950, die „Freien Sachsen“ von 1.000 auf 1.200 und die AfD-Parteijugend „Junge Alternative“ (JA) von 4.000 auf 4.300 Mitglieder an. Anfang 2025 hatte die JA sich aufgelöst.
AfD wider das Grundgesetz
Vergleicht man in diesem Kontext die Zu- und Abgänge und betrachtet das Minus an Rechtsextremisten im eher sperrigen Bereich „Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien“, so dürften sich die Personenpotenziale in diesem Spektrum eher verschoben oder möglicherweise auch der AfD angeschlossen haben. Zu bedenken gilt es in diesem Kontext überdies, dass die Splitterpartei „Die Rechte“ (DR) zuletzt völlig marginalisiert agierte und sich dann auflöste.
In dem Verfassungsschutzgutachten zur AfD attestierte das BfV der Partei rechtsextremistische Bestrebungen beziehungsweise ein „gesichert rechtsextremistisches“ Agieren. Im heute vorgestellten Bericht über das Jahr 2024 ist hingegen die Rede von einem völkischen, also „ethnisch-abstammungsmäßig geprägten Volksverständnis“ im Widerspruch zum Grundgesetz. Es gebe zudem „verfestigte Verbindungen zu Akteuren und Organisationen des extremistischen Teils der Neuen Rechten“ sowie „eine Diffusion der Grenzen zwischen Partei und [rechtsextremen] Vorfeldorganisationen.“
Verbotsgrundlage noch zu dürftig
In Berlin wurde Dobrindt heute von Journalisten gefragt, ob Erkenntnisse wie die aus dem oben genannten Gutachten und den Schilderungen im neuen Verfassungsschutzbericht ein AfD-Verbot stützen könnten. Dobrindt verneinte dies. Das Gutachten thematisiere und analysiere nur einen Phänomenbereich der Agitation in der AfD. Für ein Verbot seien jedoch mehrere Phänomenbereiche sorgfältig zu analysieren.
Deswegen, so Dobrindt, sei das Gutachten allein untauglich für ein Verbot. Solange dies so sei, bleibe es bei jedem Beamten als Parteimitglied immer eine „Einzelfallentscheidung“, ob er aus dem Dienst suspendiert werden könne, so der Minister. Gleichwohl mache man sich behördenintern „Gedanken“ dazu, wie etwa mit Polizisten, die in der AfD aktiv sind, umgegangen werden solle. Denn seiner „persönlichen Einschätzung“ nach sei die Partei dann doch „gesichert rechtsextrem“.