Dortmunder „Nazi-Woche“
Das Bundesverfassungsgericht hat den braunen „Antikriegstag“ am 4. September in der Ruhrgebietsstadt erlaubt – eine Kundgebung mit drei rechten Live-Bands war für Freitagabend in bester Citylage am Hauptbahnhof angekündigt.
Vom Verwaltungsgericht in Gelsenkirchen war am Freitagmittag das Verbot des Neonazi-Aufmarschs zum „Nationalen Antikriegstag“ in Dortmund bestätigt worden. Die Dortmunder Rechts-„Autonomen“ erwarteten dennoch, am Samstag demonstrieren zu dürfen. Sie hofften darauf, dass spätestens das Bundesverfassungsgericht – möglicherweise aber erst in der Nacht zum Samstag – ihnen den Weg frei machen wird.
Ansonsten, so meinte Dennis Giemsch, Anmelder des „Antikriegstags“-Aufmarschs und Anführer der „Autonomen Nationalisten“ in der Ruhrgebietsstadt, bei einer kurzfristig angemeldeten Demonstration am Donnerstagabend, gebe es „legale Alternativen“. „Wenn wir nicht in Dortmund auf die Straße gehen, dann gehen wir halt in jeder anderen Großstadt auf die Straße“, drohte er.
„Nie wieder Krieg – nach unserm Sieg“
Der Startschuss für das, was die in Dortmund erscheinende „Westfälische Rundschau“ die „Nazi-Woche“ nannte, fiel am vorigen Samstag in der Nachbarstadt Witten. Dort hatten die Rechts-„Autonomen“ eine ihrer Kundgebungen angemeldet, mit denen sie die Werbetrommel für ihren Aufmarsch am 4. September rühren wollen. 70 bis 80 Neonazis zogen, das HJ-Lied „Ein junges Volk steht auf“ grölend, auf den Rathausplatz.
Unter den „parteifreien“ Neonazis tummelte sich an diesem Tag auch der NPD-Landesvorsitzende Claus Cremer, der in den letzten Monaten des Öfteren von „Autonomen Nationalisten“ vor allem aus dem Ruhrgebiet massiv kritisiert worden war. Dem Umfeld an diesem Tag angepasst, gab sich Cremer diesmal nicht sozialpopulistisch und antiislamisch, wie er sich zuletzt meist präsentiert hatte. Statt dessen versuchte er, bei den Rechts-„Autonomen“ mal wieder mit radikaleren Sprüchen zu punkten. „Nationaler Sozialismus ist machbar“, rief er. Und auch den von dem Dortmunder Neonazi Siegfried (SS-Siggi) Borchardt kreierten Spruch „Nie wieder Krieg – nach unserm Sieg“ schrie er ins Mikrofon.
„Jugendliche sind auf der Suche nach Lösungsansätzen“
Trotz aller atmosphärischen Störungen zwischen Cremer und den „parteifreien“ Neonazis, erst recht den „Autonomen Nationalisten“: An diesem Tag demonstrierte man Eintracht. Kurz darauf fanden die NPD-Mitglieder die aktuelle Ausgabe der Parteizeitung „Deutsche Stimme“ (DS) in ihren Briefkästen. Auf einer Dreiviertelseite können sich darin Dennis Giemsch, Dietrich Surmann und Alexander Deptolla, die drei Vormänner der Dortmunder Neonazi-Szene, in einem von DS-Chefredakteur Karl Richter persönlich geführten Interview ausbreiten. In diesem Jahr, so sagt einer der Interviewten, bestehe ein noch größeres Interesse als 2008, als nach ihrer Zählung 1342 Teilnehmer den Weg nach Dortmund gefunden hatten.
Dabei setzen sie vor allem auf den Nachwuchs, auf junge Teilnehmer. In dieser Woche verteilten sie Flugblätter vor Schulen, nachts klebten sie ihre Plakate auf die Wände der Schulen oder sprayten sie voll. „Viele Jugendliche haben erkannt, dass etwas in unserem Land nicht stimmt und sind auf der Suche nach Lösungsansätzen“, schreiben die Neonazis in einem ihrer Aktionsberichte. Solche Lösungsansätze seien „aber nicht bei den antideutschen Gruppierungen zu finden, die sich für eine Zerstörung historisch gewachsener Völker und Kulturen einsetzen, sondern einzig in der nationalen Freiheitsbewegung“.
Livemusik mit „politisch vorteilhaften Texten“
Dafür müssten nur noch die „nationalen Freiheitskämpfer“ und die „vielen Jugendlichen“ auch miteinander in Kontakt kommen. Die Musik soll es möglich machen. In bester Citylage, direkt am Hauptbahnhof, sollen heute Abend bis zu drei rechte Bands spielen. Von dem Verbot des Polizeipräsidenten ist diese Veranstaltung nicht betroffen. Giemsch nennt es eine „Kundgebung mit Live-Bands“, der Anmeldung bei der Polizei entsprechend. Andere Neonazis aus der Region kündigen weniger zurückhaltend auf ihrer Homepage an: „Antikriegstag: Konzert in Dortmund“. Und auch einer der Redner der Neonazi-Demonstration am Donnerstagabend nannte es ungeschützt ein „Live-Konzert“.
Angekündigt worden waren für den Abend zunächst Auftritte der Bands „Projekt Vril“ und „Libertin“. Doch offenbar gab es Probleme bei der Vorbereitung. „Projekt Vril“ sprang ab. Händeringend suchte einer aus dem Kreis der Organisatoren in einem einschlägigen Internetforum in dieser Woche noch weitere Bands, „welche Interesse und Zeit haben am Freitagabend in Dortmund ein kleines Set (ca. 20-25 Minuten) zu spielen“ – mit „politisch vorteilhaften“ Texten, wie extra betont wird. Drei Bands – das würde nach seiner Rechnung mehr als eine Stunde Neonazi-Musik mitten in der Innenstadt bedeuten. Und darauf würden die Neonazis nur äußerst ungern verzichten: „Wer weiß wann wir nochmal die Möglichkeit dazu haben, mitten in der Innenstadt eine Veranstaltung mit Livemusik zu machen?!?!“