Landtagswahlen

Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Im dritten Quartal 2024 stand die Landtagswahl im Fokus der politischen Aktivitäten der extremen Rechten und des Engagements der demokratischen Zivilgesellschaft. Darüber hinaus war vor allem die Szene der „Reichsbürger“ weiterhin sehr aktiv.

Freitag, 15. November 2024
MOBIT
"Rechts abbiegen gefährdet unsere Demokratie" - Proteste gegen die AfD in Erfurt.
"Rechts abbiegen gefährdet unsere Demokratie" - Proteste gegen die AfD in Erfurt.

Am 1. September fand in Thüringen die Landtagswahl statt. Schon die Umfragen vor der Wahl ließen einen Zugewinn für die AfD erwarten.  Zwei wichtige Fragen waren unter anderem, ob die AfD mit ihrem Ergebnis auch die parlamentarische Sperrminorität erreichen und im Freistaat überhaupt eine Regierungsbildung möglich sein würde. Mit 32,8 % der abgegebenen Stimmen wurde die AfD stärkste Kraft in Thüringen. Die extrem rechte Partei steigerte ihr Ergebnis im Vergleich zur Landtagswahl in 2019 deutlich um 9,4%-Punkte.

Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen
Ergebnisse der Landtagswahl in Thüringen

Dabei konnte die Partei wie keine andere von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitieren. Diese hatte sich von 2019 mit 64,9% auf 73,6% deutlich erhöht. Laut der Analysen von Infratest dimap entschieden sich rund 71.000 ehemalige Nichtwähler*innen bei der Landtagswahl nun für die AfD. Neben dem hohen Zugewinn für die AfD insgesamt ist besonders das Ergebnis in der Gruppe der Wähler*innen im Alter von 18 bis 24 besorgniserregend. In dieser Alterskohorte gaben insgesamt rund 38% ihre Stimme der extrem rechten Partei. Mit ihrem Ergebnis verfügt die AfD in Thüringen nun auch über die Sperrminorität und ist in der Position auf verschiedenen Ebenen Entscheidungen zu blockieren oder die eigene Präsenz in Gremien deutlich auszubauen. So kann beispielsweise ohne Zustimmung der AfD weder der Landtag aufgelöst werden, Richter*innen im Richterwahlausschuss gewählt werden, noch die parlamentarische Kontrollkommission besetzt werden. Letztere dient eigentlich der Kontrolle des Verfassungsschutzes, der wiederum die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft. Auch die öffentliche Berichterstattung zur Wahl wurde durch die AfD Thüringen behindert. Trotz eines Gerichtsbeschlusses wurde unabhängigen Journalist*innen der Zugang zur „Wahlparty“ in der Gaststätte „Am Hopfenberg“ im Erfurter Süden verwehrt. Anwesend waren hingegen Vertreter*innen extrem rechter Medien wie Compact und Sezession.

Wie destruktiv die AfD mit ihrer neuen Stärke auf die parlamentarische Demokratie wirken kann – um diese zu delegitimieren – zeigte sich in der konstituierenden Sitzung des Landtages. Diese musste aufgrund des Agierens des sitzungsleitenden AfD-Alterspräsidenten Jürgen Treutler abgebrochen werden. Im Nachgang der Sitzung erfolgte durch die CDU ein Anruf des Thüringer Verfassungsgerichtes, welches schlussendlich den AfD-Alterspräsidenten in die Schranken wies. Die AfD reagierte ihrerseits mit Strafanzeigen wegen Befangenheit gegen verschiedene Richter.

Aufgrund des Wahlergebnisses kann die Partei nun auf noch mehr Ressourcen wie Mitarbeiter*innen, Büros etc. zugreifen und wird so ihre Präsenz weiter ausbauen. Die von der AfD Thüringen verfolgte Strategie der „Neuen Rechten“ ist langfristig ausgerichtet: für die Partei ist der Wahlerfolg 2024 im Zweifel nur ein weiterer Schritt, um bei der nächsten Landtagswahl ihre Stimmenanteile noch zu erweitern. Die laufende Legislatur wird sie wohl für die Diskreditierung und Delegitimierung der demokratischen Parteien und Institutionen nutzen. Scheitern die anderen Parteien bei der Regierungsbildung, könnte dies die AfD weiter stärken und das Vertrauen in die demokratischen Parteien weiter schwächen. Die Verantwortung liegt also bei den demokratischen Parteien im Landtag, die auch jenseits parteipolitischer Positionen mitbestimmen, ob die Demokratie in Thüringen weiter beschädigt wird.

Neonazis und andere Protagonisten

Dass die AfD sich auch für andere Teilbereiche der extremen Rechten zum Gravitationspunkt entwickelt hat, zeigte sich bei ihrer Wahlkampf-Abschlusskundgebung am 31. August auf dem Domplatz in Erfurt. An der Versammlung nahm eine größere Gruppe junger und alter Neonazis teil, die bisher in verschiedenen Organisationen aktiv waren. Nach dem Verschwinden der Neue Stärke Partei (NSP) oder in Folge des Gerichtsverfahrens gegen die Neonazis der extrem rechten Kampfsportgruppe „Knockout 51“ scheinen sich im jugendlichen und militanten Neonazismus neue Netzwerke herauszubilden. So fanden sich auf dem Erfurter Domplatz nicht nur Personen aus den ehemaligen Strukturen der NSP, einzelne Mitglieder von „Knockout 51“, sondern auch aus dem Umfeld der Neonazi-Partei Der Dritte Weg und der Fanszene Rot-Weiß-Erfurt sowie Personen aus dem völkischen Spektrum. Gleichzeitig kam es in den letzten Monaten vor allem in Erfurt und Eisenach zu zahlreichen Neonazi-Schmierereien, die auf eine Neuformierung der Szene verweisen könnten.

Eben jene Konstellationen zeigten sich auch bei einer angemeldeten Neonazi-Demonstration am 14. September in Eisenach, welche sich gegen den Christopher-Street-Day (CSD) wandte. Hier kamen rund 60, zum Teil sehr junge Neonazis aus dem gesamten Freistaat und teilweise aus angrenzenden Bundesländern zusammen. Die Demonstration folgte damit einem bundesweiten Trend in der Neonazi-Szene Proteste gegen zahlreiche CSDs durchzuführen. Die verhältnismäßig geringe Mobilisierungszahl der Neonazis in Eisenach deuten darauf hin, dass der „Knockout51“-Gerichtsprozess und nachfolgende „Verratsvorwürfe“ gegen den Eisenacher Neonazi Patrick David Wieschke dazu führten, dass die Eisenacher Szene deutlich an Organisationskraft verloren hat. In den kommenden Monaten soll außerdem die juristische Aufarbeitung des Komplexes „Knockout51“ fortgesetzt werden. Am Oberlandesgericht in Jena wird das Verfahren gegen Patrick David Wieschke, Marvin W. und Kevin N. teils wegen Mitgliedschaft oder Unterstützung einer kriminellen und terroristischen Vereinigung eröffnet werden. Gleichzeitig wurde bekannt, dass wegen eines Angriffs auf ein jüdisches Restaurant in Chemnitz 2018 auch zwei Mitglieder von „Knockout 51“ angeklagt werden sollen.

Immobilien und Rechtsrock

Szene-interne Angriffe auf Patrick David Wieschke haben offenbar dazu geführt, dass die Landesgeschäftsstelle der Neonazi-Partei Die Heimat nicht mehr für Rechtsrock-Konzerte genutzt wird. Gleichzeitig verließ der Neonazi Tommy Frenck den von ihm gepachteten Gasthof „Goldener Löwe“ in Kloster Veßra (Landkreis Hildburghausen) und bezog nur wenige Kilometer entfernt in Brattendorf eine neue Immobilie. Mit der Eröffnung des „Eisernen Löwen“ im September steht nun eine neue Szene-Gaststätte zur Verfügung, die sich mit Neonazi-Kitsch vor allem wieder an die eigene Szene richtet. Frenck kündigte im Zuge der Neueröffnung gleich mehrere Rechtsrock-Konzerte bis Jahresende an. Insgesamt ist dennoch – wohl auch durch das Wegbrechen der Szene-Immobilie in Eisenach – aktuell ein Rückgang der Rechtsrock-Konzerte in Thüringen zu verzeichnen. In Ohrdruf (Landkreis Gotha) kann die Neonazi-Szene ebenfalls auf eine Immobilie nicht mehr zugreifen. So räumte vor wenigen Wochen die Kleinstpartei Der Dritte Weg hier ein Parteibüro.

Reichsbürger: Zahlreiche Vorträge und Treffen

Die „Reichsbürger“-Szene in Thüringen veranstaltete in den vergangenen Monaten wieder zahlreiche Vorträge in Thüringen. So kamen verschiedene bundesweit bekannte Szene-Referenten nach Thüringen, um hier ihre verschwörungsideologischen Inhalte zu verbreiten. Besonders die seit 2022 bestehenden Strukturen der „Wahlkommissionen“ spielen dabei eine zentrale Rolle. Der eigens gegründete „Verband Deutscher Wahlkommissionen“ (VDWK) ist in den sozialen Medien, insbesondere Telegram eine der Hauptplattformen für die Organisation derartiger Veranstaltungen. Für den 16. November mobilisiert die Gruppe erneut zu einem größeren bundesweiten Treffen, welches voraussichtlich im Eichsfeld stattfinden soll. Zuletzt wurde für Veranstaltungen ein Restaurant in Leinefelde-Worbis genutzt. Für den 16. November kündigt der VDWK ein „Staatsvolktreffen“ an. Wie schon bei anderen größeren Treffen im Freistaat werden die Teilnahmebeiträge zur Anmeldung über ausländische Konten geschleust. Im Falle des anstehenden Staatsvolktreffens soll ein Teilnehmerbeitrag auf ein Konto in Litauen überwiesen werden. Inwieweit die Finanzstrukturen der Szene bereits im Fokus der Thüringer Behörden stehen, bleibt fraglich. Schon die vorangegangenen Kongresse im Freistaat liefen über ausländische Konten.

Fazit

In den kommenden Monaten wird es in Thüringen vor allem um die Frage gehen, ob die demokratischen Parteien im Landtag eine stabile Regierung bilden können und wie sie mit der extrem rechten AfD umgehen werden. Die Gefahr einer weiteren Normalisierung der AfD mit ihren politischen Positionen und einer weiteren Beschädigung der parlamentarischen Demokratie durch instabile Regierungskonstellationen könnten im Falle einer Neuwahl die AfD weiter stärken. Die AfD profitiert durch das von ihr selbst herbeigeführte Problem. Die Thüringer Zivilgesellschaft wird sich mit dieser Situation und ihrer Haltung zur Frage eines AfD-Verbots auseinandersetzen und auch ihre Haltung zur Frage eines AfD-Verbotes besprechen müssen.

Der Text erschien zuerst bei MOBIT.

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