Dokumentation extrem rechter Aktivitäten in Thüringen

Das zweite Quartal in Thüringen stand vor allem im Zeichen der Wahlen: So wurden im Mai nicht nur die kommunalen Parlamente, Bürgermeister*innen sowie Landrät*innen gewählt, sondern Anfang Juni fand auch die Wahl zum Europaparlament statt.

Donnerstag, 08. August 2024
Mobit
Von der Verschwörungserzählung des "Great Reset" bis hin zu Schildern der Neonazi-Partei "Die Heimat" auf einer AfD-Demo in Thüringen
Von der Verschwörungserzählung des "Great Reset" bis hin zu Schildern der Neonazi-Partei "Die Heimat" auf einer AfD-Demo in Thüringen

Im September wird in Thüringen ein neuer Landtag gewählt. Die Wahlen im Mai und Juni gelten als Stimmungstest dafür. Die öffentliche Berichterstattung nach den Wahlen polarisierte deutlich. Ein Teil der Artikel beschrieb die „Blaue Welle“ als gebrochen an, ein anderer Teil proklamierte den weiteren Rechtsruck und das Erstarken der AfD. Grund für diese unterschiedlichen Einschätzungen waren zumeist die unterschiedlichen vergleichenden Bezugspunkte der Autor*innen.

Diejenigen, die in den Ergebnissen eine Wahlniederlage für die AfD sahen, bezogen sich meist auf die Umfragen der letzten Monate, die im Schnitt höher als die nun erzielten Wahlergebnisse der AfD waren. Besonders bei der Europawahl lag die AfD bundesweit teils bei 24% und erhielt am Ende „lediglich“ 15,9%. Verglichen mit den Ergebnissen der Europawahl 2019 war dies dennoch ein Zugewinn von 4,9%.

In den ostdeutschen Bundesländern sah das Ergebnis ohnehin anders aus. So erzielte die AfD  in bei den Europawahlen 30,7% und war damit stärkste Kraft. Hier war ein Zugewinn von 8,2% Prozent zu verzeichnen. Ähnlich waren auch die Deutungen bezüglich der Ergebnisse der Kommunalwahlen. Die AfD konnte hier im Landesschnitt bei den Kreistags- und Stadtratswahlen 25,8% der Stimmen erringen und lag damit hinter der CDU auf dem zweiten Platz. Mit Ausnahme des Unstrut-Hainich Kreises zogen die Kandidat*innen der AfD bei allen Landratswahlen bei denen sie mit eigenen Kandidat*innen antraten in die Stichwahlen ein. Bei den Stichwahlen konnte die AfD allerdings keinen weiteren Landrat für sich gewinnen. Vergleicht man die Stichwahlergebnisse mit den drei vorangegangenen Wahlen um die Landrats- bzw. Oberbürgermeisterwahlen in Sonneberg, Nordhausen und dem Saale-Orla-Kreis, schnitten am 9. Juni alle Kandidat*innen deutlich schlechter ab, als noch die Monate zuvor.

Dies ist nicht als Argument zu lesen, dass eine „Blaue Welle“ gestoppt wurde, aber es gibt einen Anhaltspunkt auf die Frage, ob die Berichterstattung über die Deportationspläne der extremen Rechten und auch die darauf folgenden Massenproteste gegen die AfD einen Einfluss auf die Wahlergebnisse ausüben konnten. Dies scheint – mit aller Vorsicht – der Fall zu sein. Insgesamt bleibt dennoch festzuhalten, dass die AfD bei allen Wahlen im Mai und Juni 2024 ihre Ergebnisse ausbauen konnte, jedoch die Ereignisse der letzten Monate offensichtlich dazu führten, dass die Zugewinne nicht noch höher ausfielen.

Die neue starke Präsenz der AfD auf kommunaler Ebene birgt vor allem die Gefahr einer weiteren Normalisierung. Hier kann sich die Partei – so wie dies bereits die Partei Die Heimat (ehemalig: NPD) seit den 1990er-Jahren versuchte – als normale politische Kraft jenseits extrem rechter Inhalte inszenieren.

Jenseits der Wahlergebnisse der AfD war es vor allem die Landratswahl in Hildburghausen, die bundesweit für Aufsehen sorgte. Hier trat der einschlägig bekannte Neonazi und Nazi-Kitsch-Händler Tommy Frenck als Landratskandidat an. Bereits bei der ersten Wahl konnte Frenck 24,9% der abgegebenen Stimmen erreichen und zog damit in die Stichwahl ein. Mit 31,1% der Stimmen verlor er diese zwar deutlich, konnte dabei aber zeigen, dass rund ein Drittel der Wahlberechtigten bereit sind, einem Neonazi ihre Stimme zu geben. Interessant ist hierbei, dass zur Landratswahl in Hildburghausen kein Kandidat der AfD angetreten war. Somit lag Frenck mit seinen erreichten Stimmen in etwa bei dem Wählerpotential, welches die AfD in anderen Kreisen erringen konnte.

Juristische Auseinandersetzungen mit der extremen Rechten

Im zweiten Quartal des Jahres fanden verschiedene Prozesse gegen Vertreter*innen der extrem rechten Szene ihren Beginn oder ihr Ende.

Ende April startete einer von insgesamt drei Prozessen (Stuttgart, Frankfurt, München) gegen die „Reichsbürger“-Gruppe rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß in Stuttgart. Die Prozesse finden nicht in Thüringen statt, beziehen sich aber nach den Ermittlungen auch auf Tatvorwürfe und Handlungen, die im Freistaat stattgefunden haben. Zu den Tatverdächtigen gehören mehrere Personen aus Thüringen. Prozessbeobachter*innen gehen aufgrund der Dimension des Prozesses und den zahlreichen Angeklagten von enormen Prozesslängen aus.

Am 17. Juni fand am Oberlandesgericht Jena die Revisionsverhandlung gegen den AfD-Landtagsabgeordneten und Polizeibeamten Torsten Czuppon statt. Er hatte im Dienst als Polizeibeamter nach einer Tagung in der Gedenkstätte Buchenwald die beiden Tagungsleiter angezeigt und die Anzeige selbst bearbeitet. Czuppon wurde daher bereits in zwei Instanzen wegen Verfolgung Unschuldiger zu einer Gesamtstrafe von 30.000€ verurteilt. Die Revision gegen das Urteil wurde zurückgewiesen und das Urteil damit rechtskräftig.

Neben Czuppon stand auch Björn Höcke mehrfach vor Gericht. Er musste sich gleich zwei Mal am Landgericht in Halle wegen des Verwendens einer NS-Parole verantworten. Am 14. Mai war Höcke bereits wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Geldstrafe von 13.000€ verurteilt wurden. Anfang Juli folgte dann eine zweite Verurteilung wegen des erneuten Verwendens derselben NS-Parole. Im zweiten Verfahren legten die Richter eine Geldstrafe von 16.900€ fest. Der AfD-Landesvorsitzende legte Revision gegen die Urteile ein.  Außerdem erwartet Höcke ein weiteres Verfahren wegen Volksverhetzung am Landgericht Mühlhausen.

Die Urteile gegen Czuppon und Höcke bilden weitere Teile in einer langen Kette juristischer Auseinandersetzungen, die die AfD rund um die Wahlen auch intern beschäftigen. Bereits vor den Kommunalwahlen gab es in der AfD Streit. In Saalfeld-Rudolstadt versuchte der Kreisverband der AfD seine bereits im Herbst 2023 für die Kreistagswahl gewählten Kandidat*innen rund um den Landtagsabgeordneten Karlheinz Frosch neu wählen zu lassen, wie der MDR berichtete. Der Konflikt wurde vor dem Landgericht Gera ausgetragen und zugunsten Frosch´s entschieden. Die Folge waren zwei Antritte aus den Reihen der AfD: Die Kandidat*innen rund um Frosch und eine „Alternative Liste für den Landkreis“, welche auch von Höcke öffentlich unterstützt wurde.

Ähnliche parteiinterne Auseinandersetzungen folgten auch rund um die Aufstellung zweier Direktkandidaten zur Landtagswahl im Wartburgkreis. Hier intervenierte der Landesvorstand der extrem rechten Partei gegen zwei vom AfD Kreisverband Westthüringen im Februar 2024 gewählten Direktkandidaten und versagte diesem die Unterschrift für ihre Kandidatur. Weil sich die Kandidaten gegen den vom Parteivorstand favorisierten AfD-Kreisvorsitzenden durchsetzten, wollte der Parteivorstand die Wahl wiederholen. Auch diese Auseinandersetzung wurde juristisch vor dem Landgericht in Erfurt geführt.

Am Oberlandesgericht Jena endete nach 54 Verhandlungstagen das Hauptverfahren gegen vier Neonazis aus dem Raum Eisenach, die als Hauptbeschuldigte im Komplex rund um die Neonazi-Kampfsportgruppe „Knockout 51“ gelten. Die Ausführliche Prozessdokumentation findet ihr bei Prozessdoku Thüringen. Entgegen der Anklage der Bundesanwaltschaft hatten die Richter am Oberlandesgericht Jena bereits früh eine Anklage als terroristische Vereinigung nicht zugelassen. Die vier Neonazis wurden zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, weil das Gericht es als erwiesen ansah, dass „Knockout 51“ eine kriminelle Vereinigung gewesen sei. Hinzu kamen zahlreiche Körperverletzungsdelikte und Verstöße gegen das Waffengesetz. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da die Bundesanwaltschaft Revision eingelegt hat.

Insgesamt führte das Verfahren zu erheblichen Verwerfungen in der Eisenacher Neonazi-Szene. Grund war vor allem, dass der langjährige Neonazi-Kader Patrick David Wieschke eine sehr umfassende Aussage bei den Behörden gemacht hatte und auch im Prozess gegen die vier Hauptbeschuldigten aussagte. Dies gilt in der Neonazi-Szene als Verrat und Wieschke wird seither von bundesweit agierenden Netzwerken als Verräter bezeichnet.

Die Thüringer Opferberatungsstelle ezra  schätzt das  Urteil als nicht ausreichend ein, um das Gefahrenpotential der extrem rechten Gruppierung zu reduzieren.

Weiter abnehmende Mobilisierung auf der Straße

Nach den Wahlen im zweiten Quartal 2024 laufen die meisten Aktivitäten der extremen Rechten auf die Landtagswahl zu. Die Mobilisierung auf der Straße spielt dabei aktuell eine untergeordnete Rolle. Am 1. Mai 2024 zeigte sich in Sondershausen, dass die Mobilisierungsstärke extrem rechter Netzwerke mittlerweile deutlich zurückgegangen ist. Die von der Heimat (ehemals NPD) organisierte Kundgebung in Sondershausen war von verschiedenen Gruppen und Organisationen beworben wurden. Darunter auch die Thüringenweit agierende Gruppierung „Freies Thüringen“. Neben Heimat/NPD, Pandemie-Leugner*innen-Szene und „Reichsbürgern“ fanden sich in Sonderhausen auch Stände der WerteUnion und der AfD. Dennoch konnten die rechten Netzwerke kaum 250 Menschen mobilisieren. Zu betonen bleibt trotzdem, dass sich diese Mobilisierungsschwäche allerdings nicht in den Umfragen zur Landtagswahl abbildet. Ende Juni lag die AfD bei 29%.

zuerst erschienen bei "Mobit"

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