No Hatespeech Movement
Digitale Zivilgesellschaft ist gefordert
Hass und Fake-News im Internet
„Du gehörst aufgehängt/ vergewaltigt/ ins KZ!“. Die eigentliche Wahrheit werde verschwiegen, die Medien seien gesteuert von den Amerikanern/ den Zionisten/ den Reptiloiden. Die Regierung vergifte uns mit Impfungen/ "Chemtrails". Das sind nur einige - und nicht die schlimmsten - Beispiele aus dem Netz.

Ein Gastbeitrag von Gabriela Heinrich, Mitglied des Bundestages
Auf meine Initiative hin hat deshalb die No-Hate-Allianz des Europarats eine internationale Konferenz in Berlin veranstaltet. Es ging um Hass im Netz, Verschwörungstheorien und das sinkende Vertrauen in die Leitmedien. Gründe, Folgen und Gegenmaßnahmen wurden diskutiert. Diese Konferenz hat am 13. Februar stattgefunden.
Worum geht es?
Angst gebiert Hass, Propaganda verursacht Unsicherheit. Unsicherheit nährt den Glauben an Verschwörungstheorien. Der Glaube an Verschwörungstheorien zieht Angst nach sich und sorgt dafür, dass die Leute den Leitmedien nicht mehr vertrauen. Und von alledem profitieren zweifelhafte Heilsbringer, die durch einfache Wahrheiten auf Macht und Einfluss hoffen. Und ganz nebenbei verdienen große Internet-Anbieter auch richtig Kohle. Denn Hass bringt Klickzahlen und Werbeeinnahmen. Und was ist eigentlich mit dem Begriff „öffentliche Meinung“? Gibt es die überhaupt noch, wenn sich jede und jeder in seiner / ihrer eigenen Filterblase befindet?
Diese Gemengelage bildet die Quersumme aus den Berichten der Expert_innen der Konferenz. Wir hatten Wissenschaftler_innen, Politiker_innen, Aktivist_innen und Journalist_innen zu Gast. Besonders gefreut hat mich, dass 15 Kolleg_innen aus elf europäischen Ländern den Weg nach Berlin gefunden haben. Nach Inputs der Expert_innen entwickelten sich lebhafte Diskussionen.
Ergebnisse der Konferenz
Hass und Glaube an Verschwörungstheorien sind ein internationales Problem. Alle meine Kolleg_innen aus den Mitgliedsstaaten des Europarats haben das bestätigt. Hass und Verschwörungstheorien gab es einerseits schon immer, aber durch Filterblasen und Echoräume verstärken und verschnellern sie sich im Internet. Die Medien wirken an ihrem eigenen Vertrauensverlust durch ihre Funktionsweise mit, da meist die laute und abweichende Meinung die Meldung ist.
Der Publizist Sascha Lobo hat wichtige Ergebnisse der Konferenz auf den Punkt gebracht: Der Hass habe oft eine Ventilfunktion für Hilflosigkeit, die Hater_innen denken sich „endlich kann ich mich wehren“. Wenn ein Post wie „Merkel muss sterben!“ von 100 Leuten gelikt wird, führe das auch zu Selbstbestätigung.
Und schließlich sei vieles im Netz gar nicht dafür da, unbedingt als Information weiterverbreitet zu werden. Die User posten oft nur etwas Groteskes, um ihre Zugehörigkeit zu einer Gruppe zu zeigen.
Wie geht es weiter?
DAS zentrale Ergebnis der Konferenz zu den Maßnahmen gegen Hass und Verschwörungstheorien war aus meiner Sicht das Folgende. Wir müssen mehrere Hebel ziehen:
Die Wissenschaft, die Politik, die Medien und die Online-Zivilgesellschaft müssen noch mehr über die Funktionsweise des Internets und dessen Dynamiken lernen.
Damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, dass Hass die schweigende Mehrheit repräsentiert, muss weiter gegengehalten werden: „Laut und freundlich“, wie bei der
No-Hate-Kampagne oder mit Aufklärung und „Debunking“ wie bei www.hoaxmap.org, den Skeptikern oder der Stiftung Warentest. Eingefleischte Verschwörungstheoretiker_innen erreicht man möglicherweise nicht mehr mit Aufklärung. Aber denen, die schweigend mitlesen, müssen wir glaubwürdige Fakten präsentieren.
Nicht nur, aber als eine Maßnahme müssen Gesetze her, damit die Internetkonzerne ihre Verantwortung wahrnehmen, bestehende Gesetze einzuhalten. Dabei dürfen wir aber nicht übers Ziel hinausschießen: Gesetze dürfen auf gar keinen Fall die Meinungsfreiheit einschränken. Und die Internet-Konzerne müssen endlich ihre Algorithmen offenlegen, so viel Transparenz muss sein.
Die Medienkompetenz, der Opferschutz und die digitale Zivilgesellschaft müssen gestärkt werden. Das muss sich auch weiterhin im Bundeshaushalt und in den Haushalten der Länder widerspiegeln.
Fazit: Diskursethik ist nötig
Sascha Lobo hat gesagt: „Wir brauchen eine Diskursethik, […] auf maximalem Pluralismus aufgebaut“. Für mich steht fest: Die schweigende Mehrheit muss jetzt laut und zur digitalen Zivilgesellschaft werden, die die Verschiedenheit und die Demokratie verteidigt.
Weitere Informationen
▪ Ein Teil der Veranstaltung wurde auch vom Parlamentsfernsehen übertragen. Hier der Link zum Video, in dem auch Sascha Lobo spricht:
▪ Ein paar der Gäste haben über die Konferenz gebloggt, zum Beispiel Bernd Harder und Christian Buggisch.
▪ Ich kann gar nicht oft genug auf die Seite der deutschen No-Hate-Kampagne hinweisen. Auf no-hate-speech.de gibt es Infos, Ansprechpartner und Tipps für Counterspeech.