Die Spuren des NSU
Das Fluchthelfernetzwerk von „Blood&Honour“ in Sachsen war größer als gedacht. Die NSU-Neonazis kannten auch wichtige Musik-Drahtzieher und nahmen anscheinend immer wieder an Szene-Veranstaltungen teil.
Diesmal sollte die Fluchthilfe erfolgreich sein. Thomas S., Vizechef bei der sächsischen „Blood&Honour“-Sektion aus Chemnitz, wusste aus Erfahrung, dass er für diese Aufgabe nicht jeden „anquatschen“ konnte. Bereits einmal in den 1990er Jahren wurden zwei aus dem Gefängnis entflohene Skinheads im Kameradenkreis versteckt, jedoch geschnappt. Jetzt 1998, ging es um die abgetauchten Jenaer Bombenbastler Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt, die nicht nur Freunde waren, sondern vor allem ideologisch gefestigte Überzeugungstäter, die ihm bereits während der Gefängniszeit beigestanden hatten. S. fragte beim bisher unauffälligen B&H-Prospect Thomas R. , genannt „Dackel“ an. R. sorgte bereitwillig drei Wochen für das Trio, danach erst wurden sie an Max Florian B. und Mandy S. weitergereicht.
Die Ermittler der Generalbundesanwaltschaft zählten auch Andreas G., mit Spitznamen „Mucke“, zu diesem B&H-Umfeld. Er unterstützte das Szene-Label Movement Records und machte selbst Musik bei der Rechtsrock-Band „Auf eigene Gefahr“ (AEG). Im Jahr 2000 soll der Chemnitzer „Mucke“ Zeugenaussagen zufolge bei einer Schulungsveranstaltung im thüringischen Eisenberg gegenüber beunruhigten Jenaer Kameraden gesagt haben, den Dreien gehe es gut. G. streitet das ab. Im Zuge der NSU-Ermittlungen geriet er an seinem neuen Wohnort in Baden-Württemberg ins Visier der Fahnder. Auch hielt sich das Trio immer wieder in der Metropolenregion um Stuttgart auf, Beate Zschäpe schwärmte gegenüber Zeugen zudem von den schönen Schlossgärten in Ludwigsburg.
„Noie-Werte“-Lieder auf Bekenner-DVDs
Der ehemalige Chemnitzer Provinz-Rechtsrocker Andreas G. hatte es nach seinem Fortzug aus Sachsen zum Mitglied der Kultband „Noie Werte“ gebracht. Diese Rechtsrock-Band galt als „Blood&Honour“-nah. Böhnhardt und Mundlos wählten für ihre mörderischen Bekenner-DVDs, die ab 2002 entstanden, ausgerechnet zwei Lieder von „Noie Werte“. Zudem teilte sich der ehemalige Sänger von „Noie Werte“, ein Jurist, die Kanzlei mit der heutigen Verteidigerin des potenziellen NSU-Waffenbeschaffers Ralf Wohlleben.
Auf Andreas G.s Adresse im Rems-Murr-Kreis läuft noch immer eine Homepage von „Noie Werte“, doch von Fluchthilfe oder gar Kontakt zur NSU will der Mechaniker und Familienvater nichts wissen. Seinen ehemaligen Kameraden, den Chef der „Blood&Honour“-Sektion Sachsen Jan W., der ebenfalls inzwischen in Baden-Württemberg arbeitete, soll der ehemalige Chemnitzer aber 2011 noch getroffen haben.
Der „Halslose“ im direkten Bekanntenumfeld
Einer, der die Bekanntschaft mit Uwe Mundlos nicht leugnet, ist Hendrik L. Seit Anfang der 1990er bereits kannten sich Mundlos und der umtriebige Chemnitzer Szeneunternehmer, Gründer von PC Records und des Kleidungsladens „Backstreetnoise“ im Heckert-Gebiet der Stadt. Noch in Chemnitz trafen sich die beiden Kameraden im Jahr 2000 zu einem Deal in einer Wohnung, damit der untergetauchte Mundlos dem Händler sein Motiv, die „Skinsons“ auf den Computer ziehen konnte. L. stellte etwa 200 Shirts für rund 20 DM davon her, viele landeten im Chemnitzer Freundeskreis. L.s ehemalige Firma PC-Records veröffentlichte dann 2010 den Döner-Song von den neun Morden an Migranten.
Ebenfalls zum direkten Bekanntenumfeld zählte der Zwickauer „Blood&Honour“-Aktivist Ralf M. mit den Spitznamen „Manole“ oder „der Halslose“, ehemaliges Mitglied der Szeneband „Westsachsengesocks“ (WSG), der in Zwickau mehrere Szeneläden und Kneipen betrieb. Beamte des Bundeskriminalamtes gingen 2012 sogar Hinweisen nach, die besagten, Beate Zschäpe habe in einem der Läden gearbeitet.
Obwohl Böhnhard und Mundlos kaum tranken, sich weniger für Konzerte und Saufgelage interessierten, und auch Beate Zschäpe erst aufgetaut sein soll, wenn es im Kameradenkreis um politische Themen ging, verstand sich das damals noch sehr subkulturell geprägte militante Skinheadmilieu. Der „Rassenkrieg“ um die weiße Vorherrschaft war das gemeinsame Ziel.
Gefestigtere ideologische Strukturen gesucht
Bereits vor dem bundesweiten Verbot von „Blood&Honour“ war es zu internen Richtungsstreitigkeiten und Querelen gekommen. Die sächsische Sektion unter Jan W. galt als eine der umtriebigsten, was internationale Bandkontakte und Anzahl der Konzerte anging, somit eine große Konkurrenz wohl vor allem für die Drahtzieher in Berlin und Brandenburg. Außerdem sollen die Sachsen finanziell den britischen Szenemusiker „Stigger“, ehemaliges Mitglied von „Skrewdriver“ unterstützt haben und damit das terroristische „Combat 18“-Umfeld, hieß es. Die Abspaltung von W. und seiner Gruppe 1998 bedeutete mehr Handlungsfreiheit für die Chemnitzer und wohl nicht das völlige Aus im Gesamtnetzwerk.
Zu dieser Zeit schienen sich vor allem Mundlos und Böhnhard schon von diesem durchaus militanten Spektrum entfernt zu haben. Ehemalige Kameraden berichten, „Blood&Honour“ in Sachsen sei ihnen nicht politisch genug gewesen. Die beiden Männer, die sich bereits in jungen Jahren in Thüringen radikalisiert hatten, suchten gefestigtere ideologische Strukturen und freundeten sich mit einem der Neonazi-Anführer aus dem Erzgebirge an: Andre E., der von einer „sauberen“ Kameradschaft träumte und dem Trio bis zum Ende wohl treu blieb.
Ehemalige Blut-und-Ehre-Drahtzieher bei „Artgemeinschaft“-Lagern
Zwei Jahre nach ihrer Flucht wurde es Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt „zu heiß“ in Chemnitz, sie zogen nach Zwickau. Inwischen orientierten sich auch die sächsische „Blood&Honour“-Fraktion und Jan W. mehr ins Hinterland, Richtung Erzgebirge. Gemeinsam nahmen die Städter an einem von den Brüdern E. organisierten 30-Kilometer-Marsch teil. Insbesondere Andre E. zeigte zudem großes Interesse am Musik- und Merchandising-Business, auch waren gemeinsame Konzerte im Gespräch. Im Umfeld der Brüder E. und deren „Weißer Bruderschaft Erzgebirge“ sowie in Zwickau gab es genug weibliche und männliche Sympathisanten.
Etwa um diese Zeit lernten die zukünftigen Rechtsterroristen den überzeugten Neonazi Andre E. kennen, der wenig später ebenfalls nach Zwickau übersiedelte. Insbesondere Beate Zschäpe freundete sich auch mit dessen Ehefrau an. Nach dem Verbot von „Blood&Honour“ nahmen Andre E., dessen Zwillingsbruder Maik, inzwischen ein wichtiger Aktivist im völkisch-militanten Spektrum, wie auch einige wichtige ehemalige Blut-und Ehre-Drahtzieher mehrere Jahre hintereinander an den konspirativen Lagern der „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“ unter Jürgen Rieger in Ilfeld teil.
2005 an „Rasse“-Schulung“ teilgenommen?
Die ehemaligen Erzgebirgler Andre E. als auch Matthias D. blieben dem Jenaer Trio treu. Als sich Zwillingsbruder Maik E. als einer der Macher vom „Schutzbund Deutschland“ wegen der Beleidigung des Fußball-Nationalspielers Gerald Asamoah 2008 vor dem Landgericht Neuruppin verantworten musste, wollen Augenzeugen auch Beate Zschäpe im Publikum gesehen haben. Die dunkelhaarige Frau, die im Mietshaus in der Frühlingsstraße von ihren Mitbewohnern fast liebevoll „Diddelmaus“ genannt wurde, war demnach – ebenso wie Mundlos und Böhnhardt – auch während der 13-jährigen Unauffindbarkeit immer wieder in aktiven politischen Kreisen unterwegs.
Die Ermittler verfolgten Spuren zu einer NPD-Veranstaltung im niedersächsischen Georgsmarienhütte, erfuhren, dass sie Nazilieder singend auf einem Campingplatz in der Nähe von Helmstedt gewesen sein soll oder alle drei 2005 an einer „Rasse“-Schulung der Brüder E. in einer Kantine in Mariental mit über 30 Rechten teilgenommen hätten. Wenn die Aussagen von Kameraden stimmen, dann bewegten sich die Rechtsterroristen auch in Thüringen ungehindert und nahmen womöglich sogar 2000 an einer privaten Tattoo-Messe oder vier Jahre später an Aufmärschen teil.