Die Mär von der landesweiten NPD-Verwurzelung

Gemessen an ihren eigenen Vorgaben bleibt die NPD mit ihren Kommunalwahl-Kandidaturen am Sonntag weit hinter dem eigenen Anspruch zurück. Das „Fundament“ ihrer Arbeit ist brüchig geworden – landesweit schickt sie gerade einmal 55 Bewerber unter der eigenen schwarz-weiß-roten Flagge ins Rennen. Im gesamten Landkreis Rostock konnte die Truppe von Landeschef Stefan Köster nur zwei Personen motivieren, für einen Gemeinde- oder Stadtratssitz anzutreten.

Mittwoch, 21. Mai 2014
Redaktion
NPD-Politiker Kristian Belz, Udo und Marianne Pastörs: Kein Interesse an politischer Basisarbeit
NPD-Politiker Kristian Belz, Udo und Marianne Pastörs: Kein Interesse an politischer Basisarbeit

Um die Jahrtausendwende hatten Strategiepapiere in der NPD Hochkonjunktur. Die Funktionäre um den damaligen Bundesvorsitzenden und heutigen Spitzenkandidaten zur Europawahl, Udo Voigt, zerbrachen sich die Köpfe über den richtigen Weg zur politischen Macht. Eine Option: Vom Land in die Städte, von der kommunalen Ebene in den Bundestag. Im April 2000 führte das Parteiblatt Deutsche Stimme dazu aus: „Erst wenn auf der kommunalen und Kreisebene die NPD präsent ist, wird ein landesweiter oder gar bundesweiter Wahlerfolg möglich sein“. Die heutige NPD unter dem amtierenden Chef Udo Pastörs lässt einen strategischen Weitblick vermissen. Den Schlingerkurs kreiden Kritiker nicht nur dem vorbestraften 61-Jährigen an: Sein Vorgänger Holger Apfel, der Ende letzten Jahres spektakulär der NPD den Rücken kehrte und mittlerweile eine Kneipe auf Mallorca betreibt, war mit seinen von den militanten Fußtruppen ungeliebten Modernisierungsversuchen gescheitert. Auch unter Voigt, der 2011 von Apfel abgelöst wurde, war in der Berliner Parteizentrale längst der politische Alltag einer braunen Splittergruppierung eingezogen; die „Visionen“ des NPD-Strategen gehörten in seinen letzten Amtsjahren der Vergangenheit an. An der tatsächlichen kommunalpolitischen Arbeit ist die NPD nicht interessiert. In zeitaufwendigen Sitzungen werden dort Themen wie eine neue Friedhofsordnung diskutiert. „Große Politik“ kann in den kleinen Runden nicht gemacht werden, die Einflussmöglichkeiten der Gemeinderäte sind trotz ihrer wichtigen demokratischen Funktion gering. Für ihr Ehrenamt erhalten die rechtsextremistischen Kader – genau wie alle anderen Mitglieder des Parlaments – kleine Aufwandsentschädigungen. Die NPD aber möchte an die „Fleischtöpfe“ des „Systems“, dorthin wo die „Staatsknete“ abgegriffen werden kann. Deshalb es ist für die ständig von der Pleite bedrohte Partei so wichtig, auf Kreisebene Fraktionsstatus zu erlangen. Das belegen auch die Zahlen der NPD-Kandidaturen zur Kommunalwahl in diesem Jahr.

In der Fläche nicht präsent

Landesweit hat die NPD 55 Bewerber für Stadt- und Gemeinderäte aufgestellt. Am Sonntag entscheiden die Bürgerinnen und Bürger in 777 Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns über die neue Zusammensetzung ihrer Vertretungen. Die NPD wird in 30 Gebietskörperschaften auf dem Wahlschein stehen – die sechs Kreistage und die beiden kreisfreien Städte Schwerin und Rostock nicht eingerechnet. In nicht einmal vier Prozent aller Gemeinden tritt die NPD unter eigenem Namen an. In der Fläche sind die Rechtsextremisten de facto kaum existent. Dies dürfte neben ihrem Desinteresse an der aufreibenden kommunalpolitischen Arbeit auch auf die dünne Personaldecke zurückzuführen sein. Laut dem Landesamt für Verfassungsschutz sind in Mecklenburg-Vorpommern 400 Neonazis in der NPD organisiert. Parteifreie Zusammenschlüsse gewinnen indes an Attraktivität vor allem bei jüngeren Aktivisten. Die NPD hat – trotz ihres vergleichsweise geringen Altersdurchschnitts – ein Nachwuchsproblem – genau wie die demokratischen Parteien. Die wenigen „Macher“ werden in Mehrfachkandidaturen verschlissen. „Hochburgen“ der Rechtsextremisten waren und sind die Landkreise Ludwigslust-Parchim, Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Greifswald. Hier treten sie mit 12, 13 bzw. sogar 21 Anhängern an, das sind 83 Prozent aller landesweiten Kandidaturen. Mehr als jede Dritte davon entfällt alleine auf den Kreis Vorpommern-Greifswald (38 Prozent). Zur NPD-Diaspora entwickeln sich demgegenüber mehr und mehr die Landstriche in Nordwestmecklenburg (3 Kandidaten), dem Landkreis Rostock (2) und Vorpommern-Rügen (4). In der Hansestadt Wismar im Kreis Nordwestmecklenburg wirbt mit dem 1944 geborenen Diplom-Ingenieur Rainer Schütt ein NPD-Mann um Wählervertrauen. Im gesamten Landkreis Rostock, immerhin in der Fläche der viertgrößte Deutschlands, kommt die NPD über zwei Antritte in Teterow (Adrian Wasner) und Güstow (Nils Matischent) nicht hinaus. In Vorpommern-Rügen konzentrieren sich alle NPD-Bewerber auf die Kreisstadt Stralsund. Hier wollen Dirk Arendt und seine Frau Fanny sowie Christian Bredemühl und Karsten Münchow ins Parlament gewählt werden.

Altbekannte Hochburgen

In Vorpommern-Greifswald verteilen sind die NPD-Kandidaturen auf zehn Gemeinden. Löcknitz und Heringsdorf auf Usedom sind mit jeweils vier antretenden NPD-Aktivisten vertreten. In Löcknitz, das durch einen vergleichsweise hohen Bevölkerungsanteil polnischer Menschen gekennzeichnet ist, möchte mit Dirk Bahlmann jener Neonazi in den Gemeinderat, dessen Kandidatur zum Bürgermeister vom zuständigen Wahlausschuss wegen Zweifel an seiner Verfassungstreue nicht zugelassen worden war. Ihm zur Seite stehen Frank Dreblow, Robert Wittkopf und Hans-Georg Otto. In Heringsdorf tritt der Wahlkreismitarbeiter von Tino Müller, Enrico Hamisch, sowie der NPD-Landesvize Michael Gielnik und Jörn Wießmann bzw. Dietmar Speckin an. In Anklam peilt der Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski, der auch der Kreistagsfraktion vorsteht, gemeinsam mit Enrico Plugradt und Jens Grunewald den Einzug in die Stadtvertretung an. Dirk Bahlmann beim Verteilen einer NPD-Postille In Lübtheen (Ludwigslust-Parchim) haben es Hamischs Wahlkreiskollegen, Torgai Klingebiel und Andreas Theißen, die Frau von Theißens Chef Udo Pastörs, Marianne, und Renee Pietsch auf die Liste geschafft. Mit den meisten eingereichten Kandidaturen kann Waren an der Müritz im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte aufwarten. Wählbar werden nach dem Tod von Parteiurgestein Alfred Zutt vor wenigen Tagen aber nur vier NPD-Unterstützer sein. Mit der Listenführerin Doris Zutt und Sylvia Thews-Kähler schickt die Partei hier ungewöhnlicherweise zwei Frauen ins Rennen. Chris-Henry Knaak und Tino Salen sorgen schließlich für eine ausgeglichene Quote.

Neuer Trend? Tarnlisten

In Ueckermünde hingegen setzt die Parteiführung auf ein anderes Blatt. Stattdessen kandidiert hier eine neue Liste mit dem Namen „Wir von hier“. Als Spitzenkandidaten des fünf Personen staken Wahlvorschlags wird Marko Müller um Stimmen werben. Außerdem wird neben dem NPD-Landesvorstandsmitglied, um dessen Anstellung bei der Landtagsfraktion es in den letzten Wochen einigen Wirbel gegeben hat, auch André Gerth ins Rennen ziehen. Gerth sitzt gemeinsam mit Müller für die NPD in der örtlichen Volksvertretung. In die Kategorie der neuen Organisationsformen ist ein Zusammenschluss einzusortieren, der in Torgelow in die Stadtvertretung strebt. Für die „Alternative für Torgelow“ (AfT) werden laut Nordkurier Dan Schünemann und Rocco Murawski antreten. Zuletzt traten sie auf der rassistischen Demonstration der reaktivierten, einst von Tino Müller und Michael Gielnik geführten vermeintlichen Bürgerinitiative „Schöner und sicherer Wohnen“ in Erscheinung. Dort trugen sie ein Transparent, auf dem von einer „Asylantenstadt Torgelow“ die Rede war. Möglicherweise versucht die NPD so, Vorbereitungen für ein im Raum stehendes Verbot zu treffen.

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