Die „Gruppe Ludwig“ - ein NSU-Vorbild?
Zwischen 1977 und 1984 starben bei Anschlägen der „Gruppe Ludwig“ in Italien und München 17 Menschen. Angesichts der Praxis der Serienmorde über einen längeren Zeitraum bestehen hier auch Gemeinsamkeiten mit dem NSU.
Eine Besonderheit des NSU bestand in den jahrelangen Serienmorden mit der gleichen Waffe. Ein derartiges Agieren kannte man in der bundesdeutschen Geschichte des Rechtsterrorismus zuvor nicht. Indessen gab es im Ausland ähnliche Fälle, wofür etwa der „Lasermann“ in Schweden steht. Dieser Einzeltäter schoss zwischen August 1991 und Januar 1992 auf elf Menschen meist mit Migrationshintergrund in Stockholm und Uppsala. Hier bestand zwar ebenfalls eine fremdenfeindliche Motivation, gleichwohl handelte es sich um einen einzelnen Serienmörder.
Es gab aber auch eine „Gruppe Ludwig“, die zwischen 1977 und 1984 bei zehn Mordattentaten in Italien acht Menschen tötete. Sie verübte auch zwei Brandanschläge, wobei sieben Menschen starben. In Deutschland ist diese „Gruppe Ludwig“ weitgehend unbekannt, was auch daran liegen dürfte, dass nur in einem Fall dabei München ein Tatort war. Gleichwohl stellt sich die Frage, welche Gemeinsamkeiten mit dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) angesichts der Praxis der Serienmorde über einen längeren Zeitraum bestehen.
Mehr christlich-fundamentalistisch geprägt
Bevor darauf eine Antwort gegeben werden soll, bedarf es zunächst einiger Grundinformationen (vgl. dazu: „Einige schlug er mitten entzwei“, in: Der Spiegel, Nr. 26/1984; Erwin Brunner, „Die Gnadenlosen“, in: Die Zeit, Nr. 50/1986). Es handelte sich dabei offenbar nur um zwei Aktivisten, Wolfgang Abel (Jg. 1959) und Marco Furlan (Jg. 1960), die sich aus der Schulzeit kannten und dort als Sonderlinge galten. Beide gehörten keiner rechtsextremistischen Organisation an, hatte sich doch ihre Radikalisierung wohl über andere Wege vollzogen. Dies hängt wohl damit zusammen, dass Abel und Furlan mehr christlich-fundamentalistisch denn nationalistisch-rassistisch geprägt waren. So erklärt sich auch die Bezeichnung „Gruppe Ludwig“, die von ihnen auf Bekennerschreiben benutzt wurde, wenngleich es dazu unterschiedliche Versionen gibt. Offenbar geht die Auswahl auf die Lektüre eines Romans des eigentlich linken Schriftsteller Ignazio Silone zurück, worin dieser einen besonders sittenstrengen „Bruder Ludwig“ auftreten ließ.
Äxte und Hämmer als Tatwaffen
Noch in einem jungen Alter von 18 beziehungsweise 17 Jahren entschlossen sich Abel und Furlan 1977 zu einem ersten Mord, dem bis 1983 jeweils ein weiterer Mord (1982 allerdings ein Doppelmord) folgen sollten. Dabei fallen einerseits die Auswahl der Opfer und andererseits die Brutalität im Vorgehen auf. Bei den Mordopfern handelte es sich um zwei Drogenabhängige, zwei Homosexuelle, drei Priester und eine Prostituierte. Die Täter nutzten Äxte und Hämmer sowie einen Maurermeißel. Demnach standen die Mörder ihren Opfern direkt gegenüber und töteten sie durch einen längeren Vorgang. In einem Fall wurden sogar 34 Messerstiche durchgeführt. Brandstiftungen spielten in zwei anderen Fällen eine Rolle. Und dann verübte die „Gruppe Ludwig“ auch noch weitere Attentate, so erfolgten Brandanschläge 1983 auf ein Kino in Mailand mit sechs Toten und 1984 auf eine Diskothek in München mit einer Toten. Einen weiteren derartigen Anschlag wollte man im gleichen Jahr in Castiglione delle Stiviere durchführen, wobei die beiden Attentäter aber auffielen und festgehalten wurden.
Eine Diskothek in ein Feuermeer verwandeln
Es gab zu den Anschlägen jeweils Bekennerschreiben, das ist bei Rechtsterroristen eher selten. Einerseits fanden sich darauf Adler, Hakenkreuze und Runen, was für einen neonazistischen Hintergrund sprechen würde. Andererseits war häufiger die Rede von moralischer Verderbnis und sittlichem Verfall. Es hieß: „Zweck unseres Lebens ist der Tod jener, die den wahren Gott verraten“ oder „Unser Glaube ist der Nazismus. Unsere Gerechtigkeit ist der Tod. Unsere Demokratie ist die Ausrottung“. Abel und Furlan sahen sich selbst dazu ermächtigt, ihnen als unsittlich erscheinende Menschen zu vernichten. Dies erklärt, warum sie Drogenabhängige oder Homosexuelle als Opfer wählten. Die erwähnten Priester standen im Verdacht, an Kindern sexuellen Missbrauch begangen zu haben. Und Diskotheken galten als Orte der Sünde. Im letzten Fall wären wohlmöglich hunderte von Menschen gestorben, hatte das mörderische Duo doch Benzin in einer Diskothek verteilt und wollte diese damit in ein Feuermeer verwandeln. Um die 400 Menschen waren anwesend.
Angesicht zu Angesicht-Situation bei den Morden
Blickt man nun vergleichend auf den NSU, so ergeben sich durchaus einige Übereinstimmungen. Dazu gehören als erstes die Morde in Serie, wobei es sich bis auf eine Ausnahme um einen Fall im Jahr handelte. Demnach gab es hier zeitliche Lücken, was ebenso beim NSU so war. Bei beiden Gruppen lässt sich indes nicht sagen, warum es eine derartige Vorgehensweise gab. Eine zweite Besonderheit existiert in der besonderen Brutalität, die in der von Angesicht zu Angesicht-Situation besteht und bei der „Gruppe Ludwig“ noch mit einer länger andauernden Mordpraxis verbunden war. Lediglich bei den Anschlägen mit Brandmitteln bei der „Gruppe Ludwig“ und mit Sprengstoff beim NSU bestanden räumliche Distanzen. Eine dritte Gemeinsamkeit kann in der offenkundig eigenständigen Opfer- und Tatortwahl gesehen werden, was für die Autonomie beider Gruppen spricht, die nicht in eine gesonderte Hierarchie eingebettet waren. Angeleitet wurde man durch eine besondere Deutung der jeweils vertretenen Ideologie.
Deutlicher Sozialdarwinismus in den Bekennerschreiben
Darin können dann wieder wichtige Differenzen gesehen werden, was auch die Einordnung der „Gruppe Ludwig“ pauschal zum Rechtsterrorismus erschwert. Mit Drogenabhängigen und Homosexuellen gab es zwar identische Opfergruppen. Gleichwohl spielten diese sowohl in Deutschland wie in anderen Ländern für Rechtsterroristen nur eine geringe Rolle. Der in den Bekennerschreiben der „Gruppe Ludwig“ deutlich werdende Sozialdarwinismus würde jedoch wieder dafür sprechen. Dominierend war bei dieser indes eine fundamentalistische Auffassung des Christentums in Kombination mit einer ebenso absonderlichen Mystik und Symbolik. Insofern passen diese Akteure nur eingeschränkt in den Ideologiebereich des Rechtsextremismus. Und schließlich finden auch die Bekennerschreiben keine Entsprechung beim NSU, ist doch die Kommunikationsstrategie beim Terrorismus überaus relevant. Gleichwohl machte die „Gruppe Ludwig“ schon Jahrzehnte zuvor deutlich: Es kann auch von Kleingruppen durchaus Serienmorde über eine längere Zeit geben.