Die „faschistische Politik“ und ihre „zehn Säulen“

„Das bezeichnendste Symptom faschistischer Politik ist die Spaltung“, meint der US-Philosoph Jason Stanley, der sich in seinem Buch „Wie Faschismus funktioniert“ mit gegenwärtigen Phänomenen beschäftigt – leider eher essayistisch und weniger systematisch.

Mittwoch, 14. Mai 2025
Armin Pfahl-Traughber
Buchcover "Wie Faschismus funktioniert"
Buchcover "Wie Faschismus funktioniert"

Droht ein neuer Faschismus und woran erkennt man ihn? Angesichts der AfD in Deutschland wird diese Frage ebenso gestellt wie anlässlich der Trump-Regierung in den USA. Ebendort lehrte als Philosophieprofessor Jason Stanley an der renommierten Universität Yale. Angesichts der aktuellen Entwicklung in seinem Heimatland zog er es aber vor, nach Kanada zu einer dortigen Universität zu gehen. Womöglich hat diese Entscheidung etwas mit den Erörterungen zu tun, welche bereits in einem Buch aus dem Jahr 2018 von Stanley vorgetragen wurden.

Es ist mit „How fascism works: the politics of us and them“ im Original und mit „Wie Faschismus funktioniert“ in deutscher Übersetzung erschienen. Genau die Frage nach den Funktionen bildet den inhaltlichen Kern, insofern ist auch „Aber was genau ist Faschismus?“ auf dem Klappentext ein schiefes Versprechen. Denn eine genaue Definition, sei es bezogen auf die Ideologie oder Strukturen, legt Stanley gar nicht vor. Das wäre aber ein bedeutsamer Ausgangspunkt für die beabsichtigte Erörterung gewesen.

„Faschismus“ für ganz unterschiedliche Phänomene

Dafür nennt der Autor in den unterschiedlichen Kapiteln ganz verschiedene politische Phänomene, die wohl alle für ihn irgendwie als „Faschismus“ gelten sollen, ohne dass dies eine genauere Veranschaulichung erfährt. Es kommen nicht nur die AfD und Trump vor, auch nach Polen und Ungarn wird geschaut, aber ebenfalls nach Indien und Myanmar. Die jeweils gemeinten Akteure können sicherlich als autoritär oder extremistisch gelten, nur ist „Faschismus“ demgegenüber nicht richtig treffend. Das gilt auch für die Einordnung des Südens, der im 19. Jahrhundert gegen den Norden in den USA kämpfte.

So erscheint der Begriff „Faschismus“ als willkürlicher Terminus, wenngleich auch der italienische Faschismus und der deutschen Nationalsozialismus thematisiert werden. Das geschieht dann aber eher als essayistische Betrachtung, weniger als systematische Untersuchung. Eher hat man es mit assoziativen Reflexionen zu tun, eine inhaltliche Struktur fehlt doch weitgehend. Gleichwohl liefert der Autor einige beachtenswerte Reflexionen.

Zehn „Merkmale“ faschistischer Praxis

Denn im Kern geht es bei ihm darum, einschlägige Taktiken vorzustellen. Dementsprechend werden zehn Merkmale vorgetragen, welche dann einen handelnden „Faschismus“ veranschaulichen sollen. Es sind entsprechend „Die mythische Vergangenheit“ und „Propaganda“, „Anti-Intellektualismus“ und „Unwirklichkeit“, „Hierarchie“ und „Opferrolle“, „Recht und Ordnung“ und „Sexuelle Ängste“, „Sodom und Gomorrha“ und „Arbeit macht frei“. Bei den Ausführungen wird anhand von Beispielen veranschaulicht, was genau mit den Formulierungen als konkrete Praxen gemeint sein soll.

Hier werden bei den geschilderten Fällen formale und inhaltliche Gemeinsamkeiten deutlich, sei es bezogen auf Demokratieskepsis und Fake News, Intellektuellenfeindlichkeit und Nationalismus, Opferdiskurse und Spaltungsvorstellungen, Vergangenheitsromantik und Verschwörungsvorstellungen. Entscheidend wäre indessen „the politics of us and them“ aus dem Untertitel, also die „Wir“ und „die Anderen“-Unterscheidung.

Die „Wir“ und „die Anderen“-Unterscheidung

Bilanzierend betrachtet nennt der Autor viele Gemeinsamkeiten, die den behandelten historischen und gegenwärtigen politischen Phänomenen als Strukturmerkmale eigen sind. Darin besteht auch die eigentliche Leistung von Stanley, der im „Epilog“ als inhaltliche Zuspitzung präsentiert: „Die Mechanismen der faschistischen Politik bauen allesamt aufeinander auf und stützen sich gegenseitig. Sie weben den Mythos einer klaren Trennung zwischen ‚uns‘ und ‚ihnen‘. Dieser beruht auf einer romantisierten, fiktiven Vergangenheit, in der ‚sie‘ nicht vorkommen und wird durch den Groll auf eine vermeintlich korrupte liberale Elite gestützt, die sich unser hart erarbeitetes Geld nimmt und unsere Traditionen bedroht.“

Diese Beschreibung passt auf viele der genannten Phänomene, womit man es auch mit relevanten Funktionsweisen und Strukturmerkmalen zu tun hat. Doch stellt sich bei diesen Beispielen schon die Frage, ob „Faschismus“ dafür der richtige Terminus ist. Eine ideen- wie realgeschichtliche Begründung dafür hätte der Historiker schon liefern können.
 
Jason Stanley, Wie Faschismus funktioniert, 3. Auflage, Neu-Isenburg 2025 (Westend-Verlag), 213 Seiten, 22 Euro

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