Prozess gegen früheren JA-Funktionär eingestellt

„Die Einstellung des Verfahrens wirft mich weit zurück“

Vor dem Amtsgericht Leipzig sollte sich ein langjähriger Funktionär der inzwischen aufgelösten „Junge Alternative“ (JA) wegen versuchter Körperverletzung an einer Zugbegleiterin verantworten. Doch rund drei Jahre nach der Tat wurde das Verfahren eingestellt, die Betroffene fühlt sich allein gelassen.

Dienstag, 03. Juni 2025
Kai Budler
Steven Hellmuth (links) auf einer Veranstaltung zusammen mit AfD-Funktionären, Foto: Sven Adlhoch
Steven Hellmuth (links) auf einer Veranstaltung zusammen mit AfD-Funktionären, Foto: Sven Adlhoch

Als am 22. September 2024 die Ergebnisse der Landtagswahl in Brandenburg feststehen, singen Mitglieder der AfD-Jugendorganisation „Junge Alternative“ (JA) auf der Wahlparty der Partei in Potsdam lauthals einen Partyhit der Band „Die Atzen“.

An diesem Abend allerdings mit geändertem Text: „Diese Nacht ist Deutschlands Nacht, die Remigration geht los“, heißt es und als Refrain „Hey, jetzt geht's ab, wir schieben sie alle ab!" Mit dabei ist auch Steven Hellmuth vom damaligen Vorstand der JA Sachsen-Anhalt und früherer Mitarbeiter mehrerer AfD-Bundestagsabgeordneter. In Potsdam singt und tanzt Hellmuth vor der Kamera und schwenkt dabei ein Schild mit der Aufschrift „Millionenfach abschieben“.

„Fremdenfeindliche Aussagen“

In seinem Gutachten zur Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistisch" wertet des Bundesamts für Verfassungsschutz das Verhalten Hellmuths und anderer bei der Wahlparty als Beleg für „fremden- und minderheitenfeindliche Aussagen und Positionen“. Eine Anzeige wegen Volksverhetzung des ehemaligen Grünen-Politikers Volker Beck blieb hingegen ohne Wirkung.

Wegen eines anderen Vorfalls hingegen sollte sich Hellmuth im März vor dem Amtsgericht Leipzig wegen versuchter Körperverletzung verantworten. Im Februar 2022 soll er im Hauptbahnhof Leipzig eine Familie mit Migrationsgeschichte rassistisch beleidigt haben. Als ihn die Zugbegleiterin deshalb des Zuges verwies, sei er sie angegangen, sagt Vanessa Rohs.

Zugbegleiterin spricht von Trauma

Die heute 39-Jährige aus Hannover wurde bereits mit dem Sonderpreis „Eisenbahner mit Herz“ ausgezeichnet und arbeitet schon lange als Zugbegleiterin. Doch so etwas wie im Februar 2022 hat auch sie noch nicht erlebt. Sie hatte den ihr damals unbekannten Mann aufgefordert, er solle seine Sachen packen und den Zug verlassen. Weil er sich weigerte, rief Rohs die Bundespolizei. Plötzlich habe er vor ihr gestanden und sei nach einem Gerangel geflüchtet. Sie sagt: „ich bin einfach nachhaltig traumatisiert worden und habe die Diagnose ‚Anpassungsstörung´ attestiert bekommen“.

Weil der Täter nicht ermittelt werden konnte, ließ die Staatsanwaltschaft Leipzig das Verfahren ruhen. Erst zwei Jahre später wurde klar, dass es sich bei dem Unbekannten um den heute 34-jährigen Steven Hellmuth handelt. Er sei bereits vorher mehreren ihrer Kolleg*innen während der Maskenpflicht im Zug wegen ruppigen Benehmens aufgefallen, sagt Rohs.

Einschlägig bekannter Anwalt

Die Tat deckt sich mit Beobachtungen des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e.V.). In einer Analyse hatte der Verband vor zwei Jahren davor gewarnt, dass zunehmend „AfD-Funktionär*innen als rechte Gewalttäter*innen auftreten.“ Robert Kusche vom VBRG-Vorstand sah den Rechtsstaat in der Pflicht, sich auf die Seite der Angegriffenen zu stellen. Durch schleppende Strafverfahren fühlten sie sich dagegen im Stich gelassen.

Dies musste nun auch die Zugbegleiterin Rohs erfahren, die in dem Prozess gegen Hellmuth als Nebenklägerin auftreten wollte. Mehrere Versuche ihres Rechtsbeistandes, Akteneinsicht zu bekommen, verliefen ergebnislos. Erst nach dem dritten Schreiben erhielt er den Beschluss, dass ihm das Amtsgericht Einsicht in die Akte gewährt. Der Anwalt vermutet, der Beschluss habe offenbar erwirkt werden müssen, weil Hellmuths Anwalt dem vorher widersprochen habe. Bei dem Juristen handelt es sich um Laurens Nothdurft, seit Mitte 2024 AfD-Ortsbürgermeister von Roßlau und früherer Führungskader der 2009 verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ).

Prozess wird eingestellt

Doch die für März vorgesehene Prozesseröffnung am Amtsgericht Leipzig platzt. Erst wird die Verhandlung auf den August verschoben, dann erhält die Zugbegleiterin die Nachricht, das Verfahren sei gegen eine Zahlung von 1.000 Euro eingestellt worden. Die Hälfte davon sollte Rohs erhalten, weil die Zugbegleiterin aber Hellmuths Geld nicht will, kommt jetzt die gesamte Summe einer Gedenkstätte zugute. Sie würde sich immer wieder so verhalten, sagt sie „aber auf die Folgen dieses Vorfalls hätte ich gerne verzichtet“. Die 39-Jährige klagt über Panikattacken, Schlafstörungen und Antriebslosigkeit. Nachdem sie bereit gewesen sein, Hellmuth im Gericht gegenüber zu sitzen, konstatiert sie: „Die Einstellung des Verfahrens wirft mich weit zurück, was meine Gesundheit betrifft“.

Auf den Fall angesprochen, fordert Kristin Harney Rückendeckung des Staates und der Justiz für Personen, die die oftmals politisch geforderte Zivilcourage zeigten und rassistische Positionen nicht unwidersprochen stehen ließen. Harney ist Projektleiterin der Mobilen Beratung Niedersachsen gegen Rechtsextremismus für Demokratie und befürchtet, Entscheidungen wie diese verunsicherten die Betroffenen nachhaltig.

„Keine Konsequenzen“

„Die Einstellung des Verfahrens lässt diesen Angriff als Lappalie erscheinen und wird den Tatfolgen in keinster Weise gerecht. Täter*innen wird durch dieses geringe Strafmaß hingegen signalisiert, dass ihr Agieren weitgehend keine Konsequenzen habe“, sagt Harney. Auch dies stärke rechte Gewalt und fördere das Selbstbewusstsein der extremen Rechten. Zu einem Karriereknick hat die Tat bei Hellmuth jedenfalls nicht geführt. Im jüngsten Verfassungsschutz-Gutachten wird er „seit mindestens Februar 2025“ als Mitarbeiter eines Mitglieds des Europäischen Parlamentes geführt, er selbst bezeichnet bei Instagram die AfD-Bundestagsabgeordnete Claudia Weiss als „Chefin“.

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