Rechtsrock

"Die Einbußen dürften der extremen Rechten richtig weh getan haben"

Musikaktivitäten waren bis zum Pandemiebeginn für die RechtsRock-Szene ein gewachsenes Erlebniselement, das über viele Jahre eigene Strukturen und Netzwerke entwickelt hatte. Doch Corona war für die Musikszene eine merkliche Zeitenwende und Zäsur, erklärt der Musikwissenschaftler Thorsten Hindrichs im Interview.

 

Donnerstag, 28. Juli 2022
Horst Freires
Vor der Pandemie: Neonazis feiern gemeinsam beim Rechtsrock-Festival "Schild&Schwert" im Juni 2019
Vor der Pandemie: Neonazis feiern gemeinsam beim Rechtsrock-Festival "Schild&Schwert" im Juni 2019

Wie stark hat die Pandemie die RechtsRock-Aktivitäten gebremst?

Die pandemiebedingten Einschränkungen haben vor allem die Konzertaktivitäten massiv eingeschränkt, und zwar sowohl auf europäischer Ebene als auch in Deutschland. Es  wurden nicht nur die für den Sommer/Herbst 2020 angekündigten europäischen Großevents zunächst verschoben und später dann ganz abgesagt, sondern ausweislich der Zahlen der Bundesregierung, die sich aus den Antworten auf die regelmäßigen Kleinen Anfragen der Linksfraktion im Bundestag ergeben, hat sich die Zahl der RechtsRock-Konzerte in Deutschland 2020 und 2021 mehr als halbiert und die Zahl der Besucher*innen ist in beiden Jahren sogar auf weniger als ein Viertel der 2019-Jahreswerte zurückgegangen. 

Wie sehr ist die rechte Szene auf Live-Events angewiesen?

Angesichts dessen, dass gerade mit RechtsRock-Konzerten erhebliche finanzielle Umsätze generiert werden, dürften die Einbußen der Jahre 2020 und 2021 der extremen Rechten richtig weh getan haben. Hinzu kommt natürlich noch der Aspekt des sozialen Miteinanders, der während der Pandemie komplett weggefallen ist, und den die extreme Rechte auch nicht durch Online-Konzerte kompensieren konnte; oder eben auch nicht wollte, weil online natürlich kaum direkte, unmittelbare Umsätze gemacht werden können. RechtsRock-Konzerte sind bekanntlich immer auch ein Handelsplatz für Tonträger, Merchandiseartikel usw. Es ist mehr als bemerkenswert, dass die extreme Rechte derlei Online-Events – nach einem kurzen Peak im April 2020 mit etwas über 40 Online-Konzerten weltweit – fast gänzlich wieder aufgegeben hat.

Die RechtsRock-Stammlocation in Staupitz/Torgau hat zuletzt ja wieder mehrere Male Corona getrotzt...

Mehr oder weniger: Der alte Gasthof in Staupitz hat zwar auch 2020 und 2021 weiter RechtsRock-Konzerte veranstaltet, allerdings nur mit „halber Kraft“, also etwa der Hälfte der sonst üblichen Konzerte, und deutlich weniger Besucher*innen. Dass das RechtsRock-Label PC Records im April 2020 und im März 2021 „Soli-Shirts“ für den alten Gasthof angeboten hat, spricht eher dafür, dass auch hier offenbar finanzielle Einbußen zu verzeichnen waren.

Haben RechtsRock-Szene-Größen eigentlich aktiv bei der Querdenken-Bewegung mitgemischt? – Straßenproteste und Veranstaltungen waren ja teils auch musikalisch garniert.

Zum einen hat die RechtsRock-Szene ausgesprochen schnell auf die pandemiebedingten Einschränkungen reagiert und schon im April 2020 den Song „Total dicht“ als Kollaboration von Heureka, Hannes Ostendorf und Henry 8 online gestellt, dem zum Beispiel im Herbst 2020 „Fahrt zur Hölle“ der Zillertaler Virenjäger folgte. Beide Songs waren regelmäßig auf den sogenannten Querdenken-Demos zu hören, und zwar komplett widerspruchslos neben deren eigenen Songs; und selbstverständlich marschierten auch jede Menge Neonazis gemeinsam und ebenso widerspruchslos mit diesen ganzen querdenkenden rechtsesoterischen Wutbürger*innen.

Der extremen Rechten ging und geht es dabei aber nie um Corona oder die Pandemiebeschränkungen, sondern ausschließlich um deren Hoffnung auf den sogenannten „Tag X“, jenem von Neonazis herbeigesehnten Tag des Umsturzes, für den sie seit Jahren Kampfsport trainieren, der auch immer häufiger in RechtsRock-Songs thematisiert wird und eine Art kleinsten gemeinsamen Nenner in der ansonsten doch ziemlich zerstrittenen militanten extremen Rechten darstellt. In den Protesten gegen die pandemiebedingten Einschränkungen hat die extreme Rechte also einfach nur eine Möglichkeit gesehen, ihrem „Tag X“ ein Stückchen näher kommen zu können.

Wie flexibel die RechtsRock-Szene ist, zeigt sich beispielhaft an der Reaktion von Hannes Ostendorf auf das vorgebliche Reue-Video von Xavier Naidoo, denn nur wenige Stunden nach dessen Ausstrahlung setzte Ostendorf den Preis für deren gemeinsame CD „Deutschland krempelt die Ärmel hoch“ auf 3,00 Euro herab, lediglich begleitet von dem Kommentar „Aus aktuellem Anlass, wenn weg, dann weg“. Und auch die CD „Endzeit Party“ der Zillertaler Virenjäger, die erst im April 2022 veröffentlicht wurde, wird mittlerweile ausschließlich als reine Partymusik-CD verhandelt. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die extreme Rechte im Zweifelsfall jederzeit wieder auf den Corona-Protestzug aufspringen würde, wenn sie sich davon Vorteile verspräche.

RechtsRock ist seit Jahren kontinuierlich zu einem großen Geschäftsfeld geworden. Was hat Corona mit Labels und Versandhändlern gemacht?

Die extrem rechten Labels und Versände haben auf den ersten Blick interessanterweise eher von den pandemiebedingten Einschränkungen profitiert, weil die Zahl der veröffentlichten Tonträger rasant angestiegen ist. Während zu Vor-Corona-Zeiten rund 100 neue Tonträger auf den Markt gebracht wurden, wurden 2021 allein von deutschen Labels ca. 250 Titel veröffentlicht! Dass knapp die Hälfte davon sogenannte Re-Issues waren, also alte Alben, oft aus den frühen 1990er Jahren, die jetzt wieder neu und teils strafrechtlich entschärft aufgelegt wurden, zeigt, dass die extreme Rechte hier versucht hat, die entgangenen Konzerteinnahmen zumindest ein Stück weit zu kompensieren; in Summe, also Konzerte plus Tonträger, dürfte Corona dem extrem rechten Musikgeschäft dennoch herbe Verluste zugefügt haben.

Ausgesprochen bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang aber die Geschäftsstrategie von Martin Seidel, der nicht nur Betreiber des extrem rechten Labels "Rebel Records" ist, sondern dem auch 50 Prozent der Anteile am Label "Sub:Version Production" gehören. Nachdem "Sub:Version" zunächst fast ausschließlich den Cottbusser Rechtsrapper Bloody 32 vermarktet hatte, sind dort mittlerweile auch Julia Juls vom Frauenbündnis Kandel, Ramona „Runa“ Naggert (ehemals "Neuer Deutscher Standard") und der verschwörungsquerdenkende Rapbellions-Rapper Lapaz unter Vertrag – und den Merch des ebenfalls verschwörungserzählenden Rappers Ukvali gibt es neuerdings auch exklusiv bei "Sub:Version". Kurz: Seidel glaubt offenbar, in der querdenkenden, rechtsesoterischen Wutbürger*innen-Szene einen neuen Absatzmarkt gefunden zu haben. Ob diese Strategie aufgeht, wird sich zeigen müssen.

Behördliche Auflagen, etwa das Ausschankverbot von Alkohol bei den als Demonstration angemeldeten Festivals, trübten vor Corona die Stimmung
Behördliche Auflagen, etwa das Ausschankverbot von Alkohol bei den als Demonstration angemeldeten Festivals, trübten vor Corona die Stimmung

Hat nicht auch staatliche Repression, siehe Thüringen, oder der Blood&Honour-Prozess in München, RechtsRock-Tatendrang zurückgedrängt oder erfolgen Aktivitäten nun nur noch viel konspirativer?

Naja, so wirklich repressiv und vor allem nachhaltig sind die staatlichen Interventionen ja nicht. Der kürzlich eröffnete Prozess gegen die Turonen ist – Stand heute – wohl die Ausnahme, zumal die Turonen sich mit ihren mutmaßlichen Drogen- und Prostitutionsgeschäften innerhalb der extremen Rechten ohnehin keine Freund*innen gemacht haben. Aber die vollkommen fahrlässigen Deals mit den Angeklagten sowohl im Blood&Honour-Prozess in München als auch beim zweiten Ballstädt-Prozess lassen nicht vermuten, dass extrem rechte Strukturen hier nachhaltig zerschlagen würden, eher im Gegenteil.

Das Beispiel von Gruppen wie „Endstufe“ zeigt, dass RechtsRock statt eines Jugend-Szenephänomens vielmehr ein geschäftstüchtiges Dauerportfolio bis ins fortgeschrittene Seniorenalter darstellt.

RechtsRock ist mittlerweile ganz eindeutig Musik für Neonazis im wenigstens Ü30-Alter. Was den jugendlichen Nachwuchs angeht, interessiert der sich kaum für RechtsRock; schon seit einigen Jahren beklagen relevante Akteur*innen in allen möglichen einschlägigen Chats und Foren, dass ihnen „die Jugend“ wegbricht. Wie schnell sich ein solches angebliches Nachwuchsproblem aber auch ganz ohne Musik lösen kann, belegt die intensive und vor allem leider auch recht effektive Rekrutierungsarbeit der extremen Rechten ausgerechnet während der Pandemie wie etwa in der kürzlich ausgestrahlten MDR-Doku „Jung, rechts, gewaltbereit“ exemplarisch gezeigt wird.

In den letzten Jahren ging der Trend weg von Band-Konzerten hin zu Liederabenden – welche Entwicklung wird der RechtsRock künftig nehmen?

Ich tue mich mit derlei Prognosen ausgesprochen schwer, weil die extreme Rechte insgesamt und damit auch die extrem rechte Musikszene enorm flexibel auf sich verändernde Bedingungen reagiert. Trotzdem dürfte meiner Einschätzung nach die Zeit der ganz großen, mehrtägigen und öffentlich beworbenen RechtsRock-Festivals in Deutschland erst einmal vorbei sein, dafür waren Aufwand und öffentliche Beobachtung viel zu hoch und der Nutzen viel zu gering – zumal das Angebot an derlei Festivals im europäischen Ausland ohnehin groß genug ist.

Liederabende oder Unplugged-Konzerte lassen sich viel leichter, spontaner und vor allem kostengünstiger organisieren und werden dementsprechend mit Sicherheit weiter bestehen. Jedoch fehlen bei Liederabenden und ähnlichen Formaten natürlich körperlich beeindruckende Faktoren wie zum Beispiel Lautstärke und ein Publikum, das groß genug ist, um zu tanzen und gemeinsam „Party zu machen“. Insofern gehe ich davon aus, dass mittelgroße Konzerte mit ein oder zwei Bands an einem Abend und vielleicht 200, 300 Besucher*innen auch weiterhin stattfinden werden, wenngleich nicht oder nur selten öffentlich beworben.

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