"Unter Nazis"

"Die Demokratiekrise in meiner Heimatregion wird totgeschwiegen"

Jakob Springfeld ist in Zwickau aufgewachsen und engagiert sich dort seit Jahren für Klimaschutz und gegen Rechtsextremismus und berichtet in seinem Buch „Unter Nazis“ von Bedrohungen und Anfeindungen, denen er dort ausgesetzt ist. Im Gespräch redet der 20-jährige über den NSU, eine Demokratiekrise und was er sich für seine Region wünscht.

Dienstag, 11. Oktober 2022
Im Interview spricht Jakob Springfeld von einer Demokratiekrise in seiner Region, Foto: Calvin Thomas
Im Interview spricht Jakob Springfeld von einer Demokratiekrise in seiner Region, Foto: Calvin Thomas

Was war Anlass für Sie, politisch aktiv zu werden? Gab es ein einschneidendes Erlebnis?

In bin in Zwickau privilegiert aufgewachsen. Montag in die Schule, Mittwoch mit der Trompete zum Jugendsinfonieorchester und Samstag Hütten im Wald bauen. 2015, ich war damals 13 Jahre alt, änderte sich für mich vieles. Mein Papa nahm mich damals mit in Geflüchtetenunterkünfte und ich lernte meinen Kumpel Mostafa kennen. Er erzählte mir von seinen Rassismuserfahrungen und meine Erlebnisse mit ihm und anderen Geflüchteten standen diametral zur Erzählung, die die AfD und andere sogenannte Spaziergänger*innen in meiner Heimatstadt verbreiteten. Viele Ereignisse politisierten mich. Doch spätestens als ich 2018 zu einer Demonstration gegen die extrem rechte Gruppe „Pro Chemnitz“ fuhr und neben mir ein von Neonazis geworfener Böller explodierte, konnte ich nicht länger zusehen.

Wie haben Sie sich in der Vergangenheit engagiert?

Mein Engagement bestand am Anfang wohl vor allem darin, mein Umfeld erst zu nerven und anschließend dazu zu überreden mit auf antifaschistische Demonstrationen zu fahren. Wir fuhren durch ganz Sachsen, politisierten uns gegenseitig und hatten eine Menge Spaß. Aus diesem Spaß wurde Ernst. Als 2019 in Zwickau ein Gedenkbaum für Enver Şimşek, das erste Mordopfer des NSU-Komplexes, gepflanzt und anschließend abgesägt wurde, organisierten wir eine Gedenkminute und setzten uns anschließend mit dem NSU-Unterstützer*innenumfeld und einem angemessenen Gedenken auseinander. Zuvor gründete ich die lokale Grüne Jugend und FridaysforFuture-Gruppe mit. Seitdem sind wir zunehmend mit rechten Bedrohungen, Hass und Beleidigungen konfrontiert. Heute studiere ich in Halle, fahre oft zurück nach Zwickau und habe gemeinsam mit Issio Ehrich das Buch „Unter Nazis. Jung, Ostdeutsch, gegen Rechts“ veröffentlicht.

Haben Sie den Eindruck, „die Kommunalpolitik“ und Ordnungskräfte in Zwickau und Umgebung teilen Ihr Problembewusstsein bzgl. der Bedrohungslage durch Rechte?

Nein. Das Problem der Bedrohungslage für sichtbare Demokrat*innen und Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, besteht seit Jahren. Die Beratungsstelle für Betroffene von rechter Gewalt RAA Sachsen bestätigt das. Ob vor einer Woche beim CSD in Zwickau oder bei den wöchentlich stattfindenden Montagsdemonstrationen – Rechte und extrem Rechte aller Couleur versammeln sich, attackieren CSD-Teilnehmer*innen und erweitern ihr Netzwerk. Beratungsangebote für queere oder geflüchtete Menschen, die von rechtem Hass betroffen sind, sind weiterhin kaum vorhanden. Auf Bussen der Zwickauer Verkehrsbetriebe wird mit einem Eisernen Kreuz Werbung für ein Tattoo-Studio gemacht, dass extrem rechte Symbole wie die „Schwarze Sonne“ tätowiert. Der Besitzer dieses Studios postet im Internet Bilder mit Kriegswaffen. Diese Vorgänge sind seit Jahren zu beobachten und wenn nicht die wenigen aktiven Antifaschist*innen darauf aufmerksam machen würden, fallen sogar solche offensichtlichen Ausdrucksformen der Normalisierung von Neonazismus unter den Tisch. Die Probleme werden, wenn überhaupt, nach medialem Druck benannt und auch dann noch zu häufig kleingeredet und relativiert.

Zwei Jahre, bevor Sie geboren wurden, zog das NSU-Kerntrio nach Zwickau. Würden Zschäpe & Co. auch heute begünstigende Strukturen in Zwickau vorfinden?

Ja. Die Normalisierung von antidemokratischem und extrem rechtem Protest sickert seit langem ein in ein Zwickau, in dem weite Teile der Stadtbevölkerung schweigen. Radikalisierte und gewaltbereite Jugendliche, extrem rechte Treffpunkte wie der „Pölbitzer Dartclub“ oder Demonstrationen, zu denen AfD, Freie Sachsen und NPD aufrufen – alle Akteur*innen machen gemeinsame Sache und in der Coronapandemie konnten sie die Radikalisierung vorantreiben. Wo 2016 ein Brandanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft stattfinden konnte, wo gewaltbereite Neonazis durch die Stadt patrouillieren und wo unter anderem Menschen wie ich immer wieder angespuckt, beleidigt und bedroht werden, da ist auch heute noch Raum für Rechtsterrorist*innen.

Was muss aus Ihrer Sicht passieren, um rechtsextreme Aktivitäten und Ideologien in Ihrer Heimatregion zurückzudrängen?

Angehörige und Betroffene von rechtem Terror forderten dieses Jahr beim NSU-Komplex Tribunal in Nürnberg „Anerkennung, Aufklärung und Veränderung“. Aus diesen Forderungen müssen wir lernen. Antirassistische und antifaschistische Arbeit, die sogar in Städten wie Zwickau von vielen Menschen geleistet wird, muss endlich anerkannt werden, genau wie die tiefgreifenden Probleme, die mit dem Erstarken der Neuen Rechten wachsen. Die Aufklärung von rechten Straftaten oder dem NSU-Komplex ist ungenügend bis schlecht. Eine halbe Arbeitsstelle, die in Zwickau vom Stadtrat zur Befassung mit dem NSU-Komplex auf den Weg gebracht werden sollte, wurde aus monetären Gründen doch nicht finalisiert. All das zeigt, dass die Lehren aus den Forderungen der Angehörigen noch nicht gezogen worden sind. Es bräuchte Veränderung: Aktionspläne, neue Beratungsmöglichkeiten, eine laute Zivilgesellschaft und vieles mehr. Doch die Schwere der Demokratiekrise, die meine Heimatregion immer weiter erschüttert, wird weiterhin totgeschwiegen und wegignoriert.

Neben der Aufklärung über rechtsextreme Strukturen und Akteure, scheint Sie auch der Klimawandel zu beschäftigen. Sehen Sie Verbindungen zwischen beiden Problemlagen?

Auf jeden Fall. Vor allem durch mein Engagement in der Klimagerechtigkeitsbewegung spitzte sich die Bedrohungssituation akut zu und nicht nur in Zwickau kommt es zur Bedrohung von Klimaaktivist*innen. Während Teile der extremen Rechten die Klimakrise leugnen, werden Neonazis auf lokaler Ebene in ihrem Hass auf alles vermeintlich „öko-sozialistische“ aktiv. Währenddessen plakatiert der Dritte Weg: „Umweltschutz ist Heimatschutz“. Postkolonialismus und Rassismus stehen entgegensetzt zu dem, was Menschen im globalen Süden für eine klimagerechte Welt fordern. Für uns war immer klar, dass Klimaaktivismus nur dann ehrlich und konsequent sein kann, wenn er nicht ausschließlich monothematisch agiert. Wenn wir in Zwickau für Klimagerechtigkeit auf den Straßen waren, mussten wir uns immer auch antifaschistisch positionieren. Wenn Menschen in Pakistan für Klimagerechtigkeit kämpfen, führen sie immer auch einen antirassistischen Kampf. Rechte Akteure schaffen es zurzeit gut, sich die verschiedensten Krisenthemen zu eigen zu machen. Wir müssen unsere politischen Kämpfe endlich auch verbinden aber demokratisch, solidarisch und bedacht.

Jakob Springfeld, „Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts“, 2022, Quadriga-Verlag, 192 Seiten

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