Rezension
Die AfD als digitaler Akteur mit dem Identitätsthema
Die AfD ist wie keine andere Bundestagspartei schon früh massiv die digitale Kommunikation eingestiegen und damit gar eine inhaltliche Gegenöffentlichkeit geschaffen. Dabei forcierte sie identitätspolitische Auffassungen hinsichtlich einer „Wir“ und „die Anderen“-Unterscheidung. Johannes Hillje, Kommunikations- und Politikwissenschaftler, legte dazu eine erkenntnisreiche und innovative Studie vor.

Warum gelang der AfD der Aufstieg zu einer in der bundesdeutschen Geschichte – zumindest zeitweise – ungewöhnlich erfolgreichen Wahlpartei? Die Antwort auf diese Frage kann nicht monokausal auf einen Gesichtspunkt verweisen, muss doch eher von einem Bündel von Faktoren in einem komplexen Wechselverhältnis ausgegangen werden. Einen innovativen Beitrag zu einer diesbezüglichen Debatte in der Forschung liefert Johannes Hillje, der eine Dissertation über die digitale Kommunikation der Partei erstellt hat.
Die Buchausgabe erschien mit „Das ‚Wir‘ der AfD. Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus“. Es geht demnach um zwei bedeutsame Gesichtspunkte und eben deren inhaltliche Verbindung. Als erkenntnisleitende Fragestellung formuliert Hillje: „Inwiefern konstruiert die AfD in ihrer Social-Media-Kommunikation eine kollektive Identität unter ihrer AnhängeriInnnenschaft (‚wir‘) und grenzt diese von anderen Gruppen (‚die Anderen‘) ab?“. Zunächst geht es demnach um die Bedeutung der digitalen Kommunikation.
Bildung einer (digitalen) Gegenöffentlichkeit
Hier macht der Autor mehrmals auch anhand einschlägiger Daten darauf aufmerksam, dass die AfD von Anfang an Social Media intensiv nutzte und hier lange aktiver als alle anderen Bundestagsparteien zusammen war. Berechtigt wird darin ein Bedingungsfaktor für deren Erfolg gesehen, wobei aus dieser Einsicht von Hillje keine simple Theorie gestrickt wird. Man müsse, so betont er differenziert, „zwischen den Ursachen für und den Mitteln zum Erfolg“ unterscheiden.
Mit der letztgenannten Blickrichtung geht es dann um die einschlägigen Medien, wobei jeweils „Framing“, „Provokation“ und „Vereinfachung“ untersucht werden. Deutlich zeigt sich dabei, dass die AfD „die reichweitenstärksten Social-Media-Kanäle der deutschen Parteienlandschaft“ aufbauen und damit eine einschlägige „(digitale) Gegenöffentlichkeit“ etablieren konnte.
Bedeutung des soziokulturellen Identitätsframing
Der Autor bleibt aber nicht auf dieser Ebene stehen, sondern fragt nach der Bedeutung des Gemeinten für die Identitätsbildung. Dabei springt er auf eine andere Ebene der Erkenntnissuche, was für seine Analysebreite und –tiefe spricht. Anhand einer ausführlichen Datenanalyse wird von Hillje über eine Inhaltsanalyse veranschaulicht, welche Bilder in dieser Kommunikation von „Wir“ und die „Anderen“ vermittelt werden. Dabei komme dem soziokulturellen Identitätsframing eine größere Relevanz als die sozioökonomische Variante zu.
Hierin wird berechtigt ein Alleinstellungsmerkmal der Partei gesehen, dürfte die AfD doch auch fortan stärker auf diesbezügliche Felder bei ihrem öffentlichen Wirken setzen. Ein entsprechendes Ergebnis diesbezüglicher Reflexionen lautet daher, dass mit dem „flexibel anwendbaren Identitätsframe kulturelle Insider gegen Outsider … die AfD einen identitätspolitischen Master-Frame entwickelt“ hat, welcher sie auch stückweise „unabhängig von ihrem Mobilisierungsthema Migration macht“.
Erkenntnisreiche und innovative Studie
Auch und gerade in solchen Anmerkungen werden der Erkenntniswert und die Qualität der Studie deutlich. Es handelt sich, wie angemerkt, um die Buchausgabe einer Dissertation. Daher wird man mit umfangreichen Ausführungen zu den unterschiedlichsten methodischen Fragen konfrontiert. Diese sollten auf die Interessierten aber keine abschreckende Wirkung entfalten. Denn diese und andere analytische Perlen bedürfen der genauen Wahrnehmung. Mitunter blickt Hillje auch über das Thema hinaus, etwa bei der Betrachtung der Sozialstruktur der Wähler, womit man aber komprimiert eine genaue Darstellung im Längsschnittformat auf engem Raum erhält.
Interessant wäre noch ein genaueres Faktenwissen darüber, ob die digitale Kommunikation im beschriebenen Sinne so schon früh geplant war oder sich eher durch die Zeitumbrüche so ergeben hat. Auch hätten die Auswirkungen der „digitalen Gegenöffentlichkeit“ noch genauer thematisiert werden können. Diese Anmerkungen gegenüber der gelungenen Studie schmälern aber nicht ihren Wert.
Johannes Hillje, Das „Wir“ der AfD. Kommunikation und kollektive Identität im Rechtspopulismus, Frankfurt/M. 2022 (Campus-Verlag), 279 S.