Der lange Weg zurück: Interview mit Felix Benneckenstein, Neonazi-Aussteiger

Bevor sein Sinneswandel einsetzte, galt er als Führungsfigur der lokalen Neonazi-Szene in Erding (Bayern). ENDSTATION RECHTS. unterhielt sich ausführlich mit Felix Benneckenstein, ehemals Neonazi, dann Gründer der „Aussteigerhilfe Bayern e.V.“ über seine Vergangenheit und seine neue Lebensaufgabe: anderen Neonazis den Weg aus der Szene zeigen.    

Freitag, 20. April 2012
Redaktion
Der lange Weg zurück: Interview mit Felix Benneckenstein, Neonazi-Aussteiger

Herr Benneckenstein, bevor sie die „Aussteigerhilfe Bayern“ gegründet haben, waren sie selbst in der neonationalsozialistischen Szene aktiv. Wie sind Sie mit dieser in Kontakt gekommen und was hat Sie besonders fasziniert? Wie lange waren sie „dabei“?

Ich bin mit der rechten Szene aus freien Stücken in Kontakt gekommen, erste Annäherungen gab es durch einen Freundeskreis, der sich damals im Alter von 15, 16 Jahren bildete und dort wurde dann entsprechende Musik „reingebracht“, die man „cool“ fand: provokant, illegal, gegen alles – und das Schlimmste, was man den eigenen Eltern vor allem antun konnte. Dabei blieb es dann nicht, ich habe dieses Umfeld (welches sich im Übrigen auch rasch wieder von der Szene entfernte) schnell verlassen und Kontakte zu „aktiven Strukturen“ gesucht. Ich habe mich auch selber bewusst in die Grundthesen des Nationalismus / Nationalsozialismus hereingelesen und mich dann eben den bereits erwähnten „organisierten“ Neonazis angeschlossen. Dort faszinierte mich, da ich in frühen Jahren schon für Politik interessierte, vermutlich unter anderem auch die Primitivität in der vermeintlichen Lösung aller sozialen Probleme: An allem sind „die Demokraten“ schuld.  

Waren es eher Parteien, Neonazi-Vereine, Freie Kameradschaften oder einfach lose Cliquen?

Naja, von allem etwas. Den Erstkontakt zur bundesweit organisierten Neonaziszene bekam ich tatsächlich über die NPD. Über diese kam der Kontakt zur Kameradschaftsszene zustande, in welcher ich mich dann auch hauptsächlich orientierte, der Kontakt zur NPD war jedoch immer vorhanden.

In welcher Form haben Sie sich engagiert?

Anfangs war ich noch als eine Art „aktionistischer Lückenbüßer“ in der Szene: Ich verteilte Flugblätter, hielt Transparente hoch bei Aktionen, war eben einfach „Unterstützer“. Später habe ich auch eine Kameradschaft selber gegründet und geleitet, Flugblätter und Aufrufe zu Demonstrationen selbst verfasst, rechtsextreme Internetseiten betreut und trat hin und wieder als Redner auf. 2005 kam es - anfangs weniger erfolgreich - auch dazu, dass ich als Liedermacher für die rechtsextremistische Szene tätig wurde. Während ich zunächst lediglich ein paar in der Szene bekannte Lieder coverte, habe ich dann doch auch selber Lieder mit rassistischen Inhalten geschrieben.

Würden Sie Ihr „damaliges Ich“ eher als Überzeugungstäter oder Mitläufer einordnen?

Auf der einen Seite war ich damals von der Ideologie überzeugt  und wäre auch sehr weit für dieser gegangen. Andererseits bin ich ausgestiegen, mit konsequenter Abkehr von der Szene und jeglicher rassistischer Ideologie. War ich also ein Mitläufer, der nur glaubte, überzeugt gewesen zu sein? Im Vergleich zu vielen anderen habe ich jedoch auch die anderen Medien und Meinungen wahrgenommen. Dazu wollte ich immer auch die „Gegenseite“ hören, indem ich unter anderem sogenannte Systemmedien verfolgte. Vielleicht habe ich dadurch auch einfach nicht wie einige andere den Realitätsbezug völlig verloren.

Gab es einen konkreten Grund für Ihren Ausstieg?

Es gab viele Gründe, warum ich begonnen habe, die rechtsextremistische Ideologie zu hinterfragen. Den allerersten Zweifel an der Agitation der Neonazis bekam ich, als ich in Dortmund wohnte und dort Menschen, denen ich emotional nahestand, sich von der neonazistischen Weltanschauung distanzierten und diesen dann in Folge dessen massive physische Gewalt zugefügt wurde, vor meinen Augen. Dann begann ein jahrelanger Prozess, in welchem ich so ziemlich alle grundlegenden Thesen für mich persönlich durchgegangen bin. Verschwörungstheorien kamen mir immer mehr wie eine Alibi- Argumentation vor, damit man sich mit den Gräueltaten der Nazizeit nicht weiter befassen muss, zumal die meisten Leute in der Szene zwar mit ihnen argumentieren, aber überhaupt keine Ahnung von der Thematik haben – woher denn auch?

Dennoch habe ich immer versucht, die Szene, die ich damals noch „Bewegung“ nannte, zu verändern. Einen Schlüsselmoment gab es dann, als ich nach einer körperlichen Auseinandersetzung mit einem „Kameraden“ gegen diesen aussagen sollte. Ich habe die Beamten gebeten, mich noch eine Nacht darüber schlafen zu lassen. Dann habe ich wirklich eine Plus/Minusliste geführt, da mir völlig klar war, dass ich mit einer Aussage gegen einen „Kameraden“ schon ein Stück weit als Verräter angesehen werde. Im Zuge dieser Entscheidung fiel mir selber auf, dass es keinerlei Berührungspunkte mit rechtsextremer Ideologie für mich mehr gibt. Ich habe also ausgesagt und somit habe ich völlig bewusst einen Stein ins Rollen gebracht, der dann nicht mehr aufgehalten werden konnte. 

Warum haben Sie die Initiative gegründet? Bekommen Sie Förderungen für Ihr Projekt?


Wir haben die Initiative „Aussteigerhilfe Bayern e.V.“ gegründet, weil sich zeitgleich mit mir noch einige andere Personen im Ausstiegsprozess befanden, zu denen ich Kontakt hatte – und wir alle vor dem gleichen Problem standen: Es ist niemand vor Ort! Zumindest keine private Initiative. Förderungen im eigentlichen Sinne bekommen wir noch nicht, wir finanzieren uns durch Spenden und Mitgliedsbeiträge. Eine wirklich stattliche Summe kam zum Beispiel kürzlich an, der Spender möchte jedoch anonym bleiben...

Wie ist die Resonanz?

Die Resonanz ist tatsächlich überwältigend. Niemand von uns konnte damit rechnen. Selbst international haben die Medien über unser Anliegen berichtet, es haben sich sofort Menschen gemeldet, die Aussteigen möchten, allerdings müssen wir hierbei die Ernsthaftigkeit wohl erst noch abwarten. Auch Personen, die irgendwann selbst ausgestiegen sind, in Eigenregie und von deren Ausstieg innerhalb der Szene niemand weiß, haben sich gemeldet. An dieser Resonanz merken wir, wie groß tatsächlich der Bedarf war. Maßgeblich zivilgesellschaftliche Organisationen wollen unsere Arbeit weiter fördern und unterstützen. Bislang also alles positiv.

Arbeiten Sie auch mit anderen Projekten dieser Art (Exit) zusammen?

Da wurde ja gleich der wichtigste Ansprechpartner angesprochen. Mit Exit arbeiten wir äußerst eng zusammen, Exit unterstützt uns in einer Art und Weise, die fast schon unglaublich ist. Exit leidet ja unter gewissen Einsparungen, unter welchen dann Aussteiger/Aussteigerinnen leiden, die nicht in greifbarer Nähe zur Zentrale (Berlin) wohnen. Exit ist froh darum, dass wir einen langen Arm für sie bieten wollen, der leider aus finanziellen Gründen sonst nur schwer durchführbar wäre.

Haben Sie Informationen darüber, wie die Neonazis Ihre Aktivitäten wahrnehmen? Immerhin sind ja vielleicht noch ein „paar alte Bekannte“ mit an Bord. Werden Sie bedroht?

Tatsächlich liegen mir Hinweise darauf vor, was und von wem in der Szene so über mich geäußert wird. In erster Linie versucht man das, was man mit jedem Aussteiger versucht: Die Glaubwürdigkeit unter den Kameraden so tief wie möglich zu setzen, damit ja keiner auf die Idee kommt für sich selber zu hinterfragen, warum ich diesen Schritt gegangen bin. Doch im Großen und Ganzen ist unser Plan aufgegangen: Die öffentlichen Bedrohungen aus der Szene richten sich nahezu ausschließlich gegen mich und zwei weitere Personen, die mit im Vorstand sind. Unser Netzwerk, das dahinter steckt und die eigentliche Ausstiegsbetreuung dann durchführt, wird in Ruhe gelassen und kann ungestört und fernab der Öffentlichkeit arbeiten. Ich nehme die Bedrohungen wahr, allerdings weiß man sowieso nie, was tatsächlich dahinter steckt. Und beeinträchtigen lassen, sowohl im Privatleben, als auch in der Vereinsarbeit, werde ich mich nicht.
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