„Der Kampf geht weiter“
Die Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen ist äußerst militant und radikal – als „Hochburgen“ rechter Gewalt gelten die Region um Aachen und die Ruhrgebietsmetropole Dortmund.
Wer bis vor wenigen Tagen die Internetseite der „Kameradschaft Aachener Land“ (KAL) aufrief, wurde von „Paulchen Panther“ begrüßt, jener Trickfilmfigur, die auch durch das Video des Zwickauer Terror-Trios führt. Dem rosaroten Panther war auf der Zeichnung der stets tollpatschige und trottelige Inspektor Clouseau auf der Spur. Wem von beiden die Sympathien der Aachener Neonazis gelten, machte der Text deutlich: „Zwickau Rulez!!“ Wer vom Zynismus der KAL noch nicht genug hatte, der konnte das Bild anklicken und den Text des Songs „Döner-Killer“ lesen. „Neun mal hat er es jetzt schon getan. Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm. Die Ermittler stehen unter Strom. Eine blutige Spur und keiner stoppt das Phantom“, heißt es in dem Song der Neonazi-Band „Gigi & Die braunen Stadtmusikanten“, erschienen 2010 auf der CD „Adolf Hitler lebt“. „Am Dönerstand herrschen Angst und Schrecken. Kommt er vorbei, müssen sie verrecken“, textete der unbekannte Verfasser und endete mit dem Satz: „Neun sind nicht genug“.
Zwar sind nachweisbare Verbindungen zwischen den Aachener Terror-Sympathisanten und dem Zwickauer Trio Mundlos/Böhnhardt/Zschäpe nicht bekannt. Doch die Region gilt auch so als Schwerpunkt rechter Gewalt in Nordrhein-Westfalen. Körperverletzung, Landfriedensbruch, Brandstiftung, Bedrohungen: Was das Strafgesetzbuch an einschlägigen Paragrafen zu bieten hat – Neonazis aus der Region Aachen hatten sich deswegen bereits vor Gericht zu verantworten. Bis in den Bericht des Bundesverfassungsschutzes für 2010 hat es die regionale Szene wegen ihrer Militanz geschafft. Aktivisten aus dem Umfeld der KAL waren es, die zu einer Demonstration zum 1. Mai 2010 in Berlin „unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen“ mitnahmen, um sie gegen politische Gegner beziehungsweise die Polizei einzusetzen. Bei anschließenden Hausdurchsuchungen wurden im September 2010 weitere Materialien sichergestellt, die zur Herstellung von Spreng- und Brandsätzen geeignet waren.
Angebliche „kategorische“ Absage an Gewalt
KAL-„Kameradschaftsführer“ Rene Laube arbeitet eng mit dem in Pulheim bei Köln lebenden Neonazi Axel Reitz zusammen. Über den berichtete am vorigen Wochenende ein als Augenzeuge vorgestellter Interviewpartner des WDR-Magazins „Westpol“, er habe Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gekannt und persönlich dafür gesorgt, dass das Trio vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) an einer Saalveranstaltung von Neonazis aus dem Rheinland hätten teilnehmen können. Reitz reagierte prompt. „Richtig ist, dass ich die drei genannten Personen nicht persönlich kenne und ihnen auch keinen Einlass zu der Veranstaltung am 06. November 2009 in Erftstadt-Gymnich oder irgend einer anderen Versammlung gewährt habe“, erklärte er. Das Terror-Etikett mochte er nicht an sich kleben lassen und schob ganz allgemein nach: „Ich lehne Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele kategorisch ab.“
Zumindest für „Kameraden“ aus seinem engsten Umfeld scheint das aber nicht zu gelten. So rückten Polizeibeamte Mitte Oktober bei sechs Neonazis aus dem Raum Köln/Aachen an, um deren Wohnungen zu durchsuchen. Vorgeworfen wird ihnen ein besonders schwerer Landfriedensbruch. Sie sollen am Rande des am 19. Februar in Dresden gescheiterten Demonstrations-Versuches ein linkes Wohnprojekt angegriffen, Steine und andere Gegenstände gegen die Fassade des Hauses geworfen zu haben. Videoaufnahmen des Geschehens zeigen, wie Paul B. aus Köln, einer der engsten Mitstreiter von Reitz, bei jener Aktion Anweisungen an andere Neonazis gibt und auch selbst einen Stein in Richtung des Gebäudes wirft. Neu ist ein solches Verhalten bei B. nicht: Von 2006 bis 2008 saß er unter anderem wegen eines Angriffs auf einen Nazigegner eine Haftstrafe ab. Seiner Freundschaft mit Reitz scheinen weder die Verurteilung noch die neuerlichen Ermittlungen geschadet zu haben – trotz dessen angeblicher „kategorischen“ Absage an Gewalt.
„Antifaschismus ist ein Ritt auf des Messers Schneide“
In Dortmund, der zweiten „Hochburg“ extrem rechter Aktivitäten in NRW, ist selbst von einer bloß verbalen Ablehnung von Gewalt noch weniger zu spüren. Als im Sommer 2010 der Neonazi Michael Berger zunächst drei Polizisten erschoss und sich dann selbst tötete, verteilten Mitglieder der damaligen „Kameradschaft Dortmund“ Aufkleber mit dem Text „Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland“. Als fünf Jahre später ein Neonazi aus dem Umfeld der „Skinheadfront Dorstfeld“ in einer U-Bahn-Station den Punker Thomas „Schmuddel“ Schulz erstach, hieß es auf Plakaten „Wer der Bewegung im Weg steht, muss mit den Konsequenzen leben“. „Antifaschismus ist ein Ritt auf des Messers Schneide“, wurde auf Aufklebern gewarnt. Der Täter von damals ist inzwischen wieder auf freiem Fuß. Er darf bei Neonazi-Demonstrationen als Redner auftreten – auf dem T-Shirt die Aufschrift „Was sollten wir bereuen“ – und soll auch wieder bei nächtlichen Übergriffen der Szene mit von der Partie sein.
„Dortmund ist unsere Stadt“, behaupten die Neonazis in der Ruhrgebietsmetropole. Das hat zwar wenig mit der Realität zu tun. Doch Dortmund ist die Stadt in Nordrhein-Westfalen mit der größten und aktivsten Neonazi-Szene. Das zeigt sich in „legalen“ Aktivitäten wie Demonstrationen, Saalveranstaltungen oder Infoständen. Das äußert sich aber auch in Angriffen auf tatsächliche oder vermeintliche Neonazi-Gegner, in Attacken auf „linke“ Kneipen oder auf Parteibüros.
„Bekennender Nationalsozialist“
Überregional machte der Fall einer Familie Schlagzeilen, die nach handfesten Übergriffen und neonazistischem Psychoterror – bis hin zu „Fahndungsplakaten“ im Stadtteil – schließlich aus Dortmund „flüchtete“ und umziehen musste. Die Dortmunder Rechts-„Autonomen“ triumphierten. Und noch in diesen Tagen riefen sie auf ihrer Internetseite der Familie zynisch hinterher, sie habe „offensichtlich den selbst aufgebauten nachbarschaftlichen Druck nicht mehr vertragen“. Und: Sie sei doch „freiwillig aus dem Stadtteil Dortmund-Dorstfeld verzogen, da ihre fragwürdige Lebensweise zu nachbarschaftlichen Interventionen führte“.
Militanz und Dreistigkeit der Dortmunder „Autonomen Nationalisten“ strahlen in die Nachbarschaft aus. „Tatsächlich ist es in Dorstfeld gerade die starke Präsenz nationaler Kräfte, die in dem westlichen Dortmunder Stadtteil den Bürgern ein Gefühl der Sicherheit gibt und dort für Ruhe und Ordnung sorgt“, zeigte sich kürzlich die „Nationale und sozialistische Kameradschaft Hamm“ beeindruckt von den „Erfolgen“ der dortigen Rechts-„Autonomen“. Neonazis aus Unna, Hamm und Ahlen orientieren sich an diesem Vorbild. Einer von ihnen hatte unter anderem einen Obdachlosen mit Schlägen und Kniestößen erheblich verletzt, auf den Türsteher einer Gaststätte, in der er Lokalverbot hatte, mit einem Teleskopschlagstock eingeprügelt, einen anderen Türsteher mit einem Stuhl malträtiert und ihm einige Rippen gebrochen und einen Polizeibeamten mit Reizgas angegriffen. Eine dreijährige Jugendstrafe hatte der Ahlener dafür abzusitzen. Dieser Tage kam der „bekennende Nationalsozialist“, wie ihn die „Kameradschaft Hamm tituliert, wieder auf freien Fuß. Mit einer Erklärung wandte er sich an die „Kameraden“. Er schrieb: „Der Kampf geht weiter, bis zum (End-)Sieg! Auf welchen Ebenen und mit welchen Mitteln, wird sich noch zeigen.“
„Keine Gnade beim Aufstand des deutschen Volkes“
In Dortmund erschoss ein Terrorist des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ am 4. Juni 2006 den Kioskbesitzer Mehmet Kubasik. In Köln prüfen die Ermittler, ob die Zwickauer Terrorzelle für das Nagelbombenattentat vom Sommer 2004 in der Keupstraße verantwortlich ist, zu dem sie sich per Video selbst bekannt hat. Auch Zusammenhänge mit Bombenattentaten in einem Kölner Ladengeschäft 2001 und an der S-Bahn-Station Düsseldorf-Wehrhahn im Jahr 2000 nimmt die Polizei neu in den Blick. Einen Toten und Dutzende zum Teil lebensgefährlich Verletzte forderten diese Attentate, mit denen die NSU in Verbindung gebracht wurde.
Militant und eine Gefahr für Leib und Leben derer, die nicht in ihr Weltbild passen, ist die nordrhein-westfälische Szene freilich schon aus sich heraus. Am Tage des „Aufstands des deutschen Volkes und somit des deutschen Reiches“ werde es keine Gnade geben, schrieb jener Ahlener Neonazi, der wieder frisch auf freiem Fuß ist, in seinem „Willkommensgruß“ an seine Kameraden. Und verkürzt gab er eine Äußerung des Neonazi-Anwalts Jürgen Rieger wieder: „Warten Sie es doch ab […] Reporter, Richter, Polizisten..!“ In der vollständigen Fassung sagte Rieger in einem Interview des NDR: „Warten Sie es doch ab. Wenn der erste Reporter umgelegt ist, der erste Richter umgelegt ist, dann wissen Sie, es geht los.“ Und auf die Frage, wen genau er meine, antwortete er: „Reporter, Richter, Polizisten, Sie!“