Nürnberg

Demonstration für Holocaust-Leugner: Maximale Provokation, minimale Reaktion der Polizei

Am Ende waren es 250 Teilnehmer, die sich am Samstag einem Aufruf aus der neonazistischen Szene anschlossen und in Nürnberg für die derzeit inhaftierten Holocaust-Leugner Ursula Haverbeck, Horst Mahler, Monika Schaefer und den im NSU-Prozess angeklagten Ralf Wohlleben auf die Straße gingen. Sie forderten die Abschaffung des Volksverhetzungsparagraphen. Bei der Abschlusskundgebung kamen es durchgehend zu Grenzüberschreitungen. Die Polizei griff während der Veranstaltung nicht ein.

Sonntag, 01. Juli 2018
Thomas Witzgall
Alfred Schaefer beendete seine Rede mit dieser Geste
Alfred Schaefer beendete seine Rede mit dieser Geste

Ein mutmaßlicher Hitler-Gruß eines Redners, Drohungen von erhängten Richtern, NS-Zeit als „Freiheitskampf“ und „Mein Kampf“ als Vorlage. Reden über Gaswagen als jüdische Erfindung und Versklavung der weißen Völker durch die Juden. Das waren noch nicht mal alle möglicherweise rechtlich fragwürdigen Aussagen der diversen Rednerinnen und Redner beim Abschluss der Demo.

Abgehalten wurde der letzte Part der Versammlung ausgerechnet am Nürnberger Willy-Brandt-Platz, gegenüber des ehemaligen NSDAP-Gau-Hauses Julius Streichers. Den Brandt-Platz beim Busbahnhof ziert heute eine Statue des Widerstandskämpfers und Friedensnobelpreisträgers. Die vom Weg geschlauchten Demonstranten nahmen wie selbstverständlich neben der Skulptur des verstorbenen Kanzlers Platz.

Anmelderin Angela Schaller - grimmig schauen bei zu langen Reden war ihre einzig sichtbare Reaktion auf die Reden
Anmelderin Angela Schaller - grimmig schauen bei zu langen Reden war ihre einzig sichtbare Reaktion auf die Reden

Am Ende der Kundgebung dankte Versammlungsleiter Axel Schlimper der „moderat“ agierenden Polizei. Die anwesenden Fachjournalisten fragten sich, was denn eigentlich noch passieren müsste, damit Einsatzleitung oder die Versammlungsbehörde einer neonazistischen Kundgebung mit Auflösung droht. Verwunderlich ist fast auch, dass sich nicht noch mehr Anwesende zu spontanen Reden meldeten. Selten schien die Gelegenheit so günstig für die äußerlich bürgerlich wirkenden Teilnehmer, mal öffentlich das eigene Geschichtsverständnis zu präsentieren und wer ihrer Sicht nach verantwortlich für alles Schlechte in der Welt sei und sich ungestört von der Polizei von Gleichgesinnten dafür feiern zu lassen.

Alfred Schaefer droht Richtern – Prozess beginnt am Montag - Hitlergruß

Für den Dammbruch sorgte an dem Tag Alfred Schaefer. Der Kanadier steht ab Montag in München zusammen mit seiner Schwester Monika vor Gericht. Sie war am Rande eines Prozesses gegen die ebenfalls einschlägig bekannte Sylvia Stolz, der ehemaligen Lebensgefährtin von Horst Mahler, mit einem Haftbefehl konfrontiert und auf der Stelle verhaftet worden und sitzt in Untersuchungshaft. Schaefer sprach davon, der Prozess sei der größte Fehler, den „die Juden“ machen könnten, weil damit käme alles wieder mit den Akten auf den Tisch. Das ist wohl die Ankündigung, das Gerichtsverfahren als Bühne verstehen zu wollen.

Die Richter – er bezeichnete das Verfahren als Inquisition – müssten sich entscheiden und ein Urteil fällen, aber im Falle einer Verurteilung würde ihnen irgendwann der Tod durch den Zorn des Volkes drohen. Wörtlich: „Wollen sie wirklich die Wut, die aufkommt, auf sich ziehen, denn sie werden hängen am Hals bis zum Tode, wenn sie uns schuldig sprechen“. In den USA würden sich laut Schaefer schon die Stimmen mehren, es sei Zeit „to „exterminate the Kikes“. „Kikes“ ist ein Schimpfwort für Juden.

Zum Abschluss folgte noch die ultimative Provokation. Eingeleitet mit dem Worten, es gebe da einen Hund, der könne so hoch springen, stand Schaefer auf der Bühne, streckte den rechten Arm mit flacher Hand stramm in die Luft und behielt die Pose einige Sekunden bei. Das Publikum reagiert auf den inszenierten Hitler-Gruß mit Applaus. Wer angesichts der eindeutigen Pose und der fehlenden Distanzierung der Versammlungsteilnehmer und Leitung ein Eingreifen der Staatsmacht erwarten hätte, wurde enttäuscht.

Die Versammlungsleitung distanzierte sich nicht, tat in einem Eiertanz so, als würde sie den Redner nicht kennen. Alfred Schaefer war als Redner im Vorfeld angekündigt und gerade die Szene ist international gut vernetzt und kennt sich aus Videos.

„Moderate Rede“ lobt NS-Zeit als „Freiheitskampf“

Es ging nahtlos weiter. Auf Schaefer folgte ein Redner aus der Schweiz. Der sprach über seine Lektüre von „Mein Kampf“. Einerseits bezeichnet er Hitler als „verrückten Österreicher“ und „Inhaftiert und völlig meschugge“. Andererseits habe ihm das Buch geholfen. Er habe zwei Reden vorbereitet, die längere führe ihn in den Knast. Er versuche mit der kürzeren „moderater“ aufzutreten, lobt aber gleich unumwunden dieses Buch – gemeint ist immer noch „Mein Kampf“ – als die „Vorlage für die Freiheit“. Die sonst als „dunkle zwölf Jahre“ bezeichnete Zeit lobte er als „den ersten Freiheitskampf eines Volkes gegen das Böse schlechthin“. So wollte er das interpretieren.

Redner Fabio aus der Schweiz lobte Mein Kampf und die NS-Zeit
Redner Fabio aus der Schweiz lobte Mein Kampf und die NS-Zeit

Wieder kam nur Applaus von Seiten der Teilnehmer. Das Buch sei auch ein Ratgeber gegen die Zersplitterung der rechten Szene.
Absatz 4 der Paragraphen 130 der StGB stellt die Verherrlichung und Rechtfertigung der Gewalt- und Willkürherrschaft der NS-Zeit unter Strafe.

Das volle Programm: Direkte Holocaust-Leugung durch Rednerin aus Oberfranken

Die nächste Rednerin, Marianne Wilfert aus Oberfranken, sagte gleich zu Beginn, sie habe früher auch an alles über den Holocaust geglaubt, dann aber eigene Recherchen angestellt. Sie habe einen Bekannten – angeblich ein Kontingentflüchtling und hoher UdSSR-Geheimdienstoffizier – mit der Aussage konfrontiert, die Vergasung der Juden sei eine Lüge und er sei an deren Fabrikation beteiligt gewesen. Das konnte sie offen auf der Bühne verkünden.

Diese Thesen soll ihr der Mann dann auch bestätigt haben. Er hätte allerdings darauf bestanden, dass es die „Gaswagen“ – ein Versuch der Nazis vor den Todeslagern auf industrielle Weise Juden massenweise zu ermorden – gegeben habe. Auch hier behauptete Wilfert, diese seien in Wahrheit „eine Erfindung der bolschewistisch-zionistischen Juden“ gewesen.

Shoa-Leugner sehen sich weiterhin als Kriegsgefangene
Shoa-Leugner sehen sich weiterhin als Kriegsgefangene

Und weil den Juden alles gehöre, könne kein „Deutscher“ was dagegen machen. Nicht die Germanen hätten andere Völker unterdrückt, sondern das Judentum als Sklavenhalter im Verbund mit Kirchen und Freimaurer hätte sie über tausend Jahre als „weißes Gold“ versklavt. Nächsten Freitag steht sie vor dem Landgericht Hof in zweiter Instanz vor Gericht. Unter anderem soll sie das Büroteam des SPD-Landtagsabgeordneten Klaus Adelt beleidigt haben und war dafür zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

Gerd Ittner wünscht sich Art Pegida gegen Paragraph 130

Organisiert wurde die Veranstaltung von der Aktivistin Angelika Schaller. Durch die Versammlung führte der Gebietsleiter Thüringen der angeblich aufgelösten Europäischen Aktion. Zugkräftigster Redner dürfte der als „Volkslehrer“ bekannt gewordene Grundschullehrer Nicolai Nerling gewesen sein. Während die Ansprachen liefen, musste er immer wieder mit anderen Teilnehmern für Fotos posieren.

Seine Rede war im Vergleich zu Schaefer und Wilfert geradezu harmlos, aber auch er bezeichnete die Kriegsschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg als Fall für den Idiotentest. Verlesen wurden auch Grußworte der drei momentan einsitzenden Leugner Ursula Haverbeck, Monika Schaefer und Gerd Ittner. Der wünschte sich eine Art Pegida der Holocaust-Leugner. In allen Städten sollte fortan gegen den Paragraphen 130 StGB demonstriert werden. Weitere Reden kamen unter anderem vom Thüringer
Christian Bärthel, der 2011 mal versucht hatte in Wunsiedel einen Gottesdienst für Rudolf Heß anzumelden.

Während des Demonstrationszuges vom Rathenauplatz über das Gewerbemuseum zum Willy-Brand-Platz wurde immer wieder auch Freiheit für den mutmaßlichen NSU-Unterstützer Ralf Wohlleben gefordert. Die Veranstaltung zog insgesamt ein äußerlich bürgerliches Publikum gemischten Alters an. Zur Sprache kamen auch Verschwörungstheorien rund um den 11. September. Einige aktuelle wie frühere NPD-Funktionäre nahmen teil, sowie Personen aus dem Pegida-Umfeld.

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