Hagen Grell
Delitzsch: Rechter Szene-Aktivist will Bürgermeister werden
Im nordsächsischen Delitzsch wird am Sonntag ein neuer Oberbürgermeister gewählt. Auf dem Stimmzettel taucht als Kandidat dabei auch der Name Hagen Grell auf, Videoblogger und seit langem Aktivist für die Verbreitung von Verschwörungsideologien. Eine Initiative mit dem Namen „Gemeinsam für Delitzsch“ unterstützt ihn ebenso wie die rechtsextremen Freien Sachsen.
Grell, der sich selbst als Journalist, Bürgerrechtler und deutschen Patrioten bezeichnet, machte sich in der rechten Szene als umtriebiger YouTuber einen Namen, der immer wieder provokante Gesprächsgäste um sich scharte, darunter der selbsternannte Berliner „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, den österreichischen Chef der Identitären Bewegung Martin Sellner und Thüringens AfD-Rechtsaußen Björn Höcke. Pegida, Corona und das Narrativ von den abgehobenen politischen Entscheidungsträgern „da oben“ haben zuletzt immer reichlich Agitationsstoff für den Software-Unternehmer und Programmierer geliefert.
Über seinen Telegram-Kanal teilt Grell, der sich im 25.000 Einwohner zählenden Delitzsch als bürgernaher Kümmerer geriert, regelmäßig Beiträge aus der rechten Querfrontecke, darunter vom Compact-Magazin oder dem umstrittenen Musikprojekt „Bandbreite“. Als Rückendeckung weiß er die Initiative „Gemeinsam für Delitzsch“ hinter sich. Diese arbeitet mit dem in rechten Kreisen populären Bild der Identität. So heißt es im Selbstverständnis als Suggestivfragenstil, Delitzscher wollen „ihre Identität zurück gewinnen“(...), „und endlich wieder stolz sein, dass sie Delitzscher sind“. Deutlich artikuliert die Initiative ihre Kritik an der kommunalen Corona-Politik: „Im Rahmen der Maßnahmen hätte die Verwaltung besser handeln müssen.“ So verwundert es nicht, dass Kritik am wieder kandidierenden OB-Amtsinhaber Manfred Wilde, der als „altbacken“ tituliert wird, geäußert wird, und Grell als Anti-Corona-Populist den Gegenentwurf für „frischen Wind und Aufbruchstimmung“ darstellt. Auch die rechtsextreme Kleinpartei „Freie Sachsen“ warb bereits im März für Grell. „Unterstützt die mutigen Bewerber bei den Landrats- und Oberbürgermeisterwahlen“, hieß es dort. Direkt daneben werden Neonazis beworben, die für die „Freien Sachsen“ antreten.
„Holocaust an den Deutschen“
Der 38-jährige Grell hat sich mit einem Videobeitrag als Holocaust-Relativierer und -Verharmloser erwiesen. Dabei spricht er von einem angeblichen „Holocaust an den Deutschen“ und behauptet letzterer sei „vielleicht sogar viel größer, viel brutaler, viel unmenschlicher und historisch gesehen ein viel tieferer Einschnitt als der an den Juden“ gewesen.
Weil YouTube Grells Aktivitäten wegen solcher Inhalte immer weiter in die Schranken wies, schuf dieser 2018 mit „frei3“ eine eigene Szene-Medienplattform, getragen von der in Ungarn registrierten Firma Kolibri Felhök Media. Als Nutzer des Grell-Portals treten unter anderem Sellner, Nerling, aber auch der Schweizer Verschwörungs-Guru Ivo Sasek mit seinem Projekt „Klagemauer TV“ auf.
Wahlkampf mit rechtslastigen Weggefährten
Wegen Grells Holocaust-Aussage hat die Leipziger Volkszeitung (LVZ) den Kandidaten von einer Diskussionsveranstaltung mit den übrigen drei Kandidaten ausgeschlossen. Das wiederum nimmt Grell zum Anlass, sich als Medien-Opfer zu stilisieren. In den Tenor stimmt unter anderem Kai Orak aus Hannover ein, der unter anderem bei „VK“ gegen die LVZ und unfaire Berichterstattung wettert und ebenso im Nerling-Umfeld anzutreffen ist.
Parallel zur LVZ-Veranstaltung hat Grell als Reaktion zu einem „Fest der echten Demokratie“ eingeladen, zu dem er aber gerade einmal rund 150 Anhänger mobilisieren konnte. Einer der dort beworbenen Redner: Kai Orak. Außerdem promotet wird der rechtslastige Videoblogger und Corona-Maßnahmen-Gegner Carsten Jahn (bekannt als „Team Heimat“), ebenfalls ein Nutzer der „frei3“-Plattform. Und auch Nikolai Nerling reiste zu der Veranstaltung nach Delitzsch und stellte zahlreiche Videos auf seinen Kanälen zur Verfügung.