Deals mit Neonazis vor Gericht

Nach dem Neustart des „Ballstädt-Prozesses“ hat das Landgericht Erfurt den Angeklagten Bewährungsstrafen angeboten. In der Öffentlichkeit sorgen diese Deals für Empörung.

Donnerstag, 20. Mai 2021
Kai Budler

Montag morgens um 8 Uhr schallt Musik über das Gelände der Erfurter Messe, an einem Stand flattert ein großes Transparent mit der Aufschrift „Klare Kante gegen Rechts. Wir fordern: Kein Deal mit Nazis“. Wo sonst große Messen, Tagungen und Konzerte stattfinden, wird an diesem Morgen die zweite Auflage des „Ballstädt-Prozesses“ eröffnet.

Wegen der Pandemie wird nicht im Gebäude des Landgerichts verhandelt, sondern unter Corona-Bedingungen im Clara-Zetkin-Sall in einer Messehalle. Bereits früh sind die verfügbaren Besucherplätze belegt, auch der Andrang der Medien ist groß. Im Vorfeld war öffentlich geworden, dass die Staatsanwaltschaft mit Deals den Prozess abkürzen will und dafür den elf Angeklagten bei Geständnissen Bewährungsstrafen ermöglichen will.

Petition eingereicht

Gegen diese Pläne hatte unter anderem die Initiative „Omas gegen rechts“ protestiert. Drei Tage vor Verhandlungsbeginn überreichte sie Thüringens Justizminister Dirk Adams (Grüne) eine Petition „Keine Deals mit Nazis“ mit knapp 44.500 Unterschriften. Die sechste Kammer des Landgerichts zeigte sich davon jedoch unbeeindruckt. Richterin Sabine Rathemacher schlug allen elf Angeklagten die befürchteten Deals vor, sollten sie ihre Beteiligung an dem brutalen Überfall auf die Kirmesgesellschaft in Ballstädt 2014 gestehen.

Im ersten Ballstädt-Verfahren waren sie vor vier Jahren zu Haftstrafen zwischen 26 Monaten und dreieinhalb Jahren verurteilt worden, der Angeklagte Tim H. hatte eine Bewährungsstrafe erhalten. Nun also sollen der Hauptbeschuldigte Thomas W. und der mehrfach vorbestrafte Marcus R. für ein Geständnis Bewährungsstrafen von maximal zwei Jahren bekommen. Acht Angeklagte könnten mit Bewährungsstrafen von rund einem Jahr davonkommen, Tim H.s Bewährungsstrafe könnte auf neun Monate verkürzt werden.

Erinnerungslücken und ein angeblicher „Filmriss“

Die Staatsanwaltschaft signalisierte ihre Zustimmung und fast alle Angeklagte erklärten über ihre Anwälte, den Deal annehmen zu wollen. Tim H. und Ariane S. wiederum widersprachen – sie hoffen auf eine Einstellung ihrer Verfahren. Andere geben sich geständig, ihre Anwälte verlesen noch im Saal entsprechende Kurzgeständnisse, in denen die Angeklagten ihre Tatbeteiligung einräumen.

Zu Details, genaueren Umständen und weiteren Beteiligten sagen sie nichts, weil sie sich nicht mehr erinnern könnten, ein Angeklagter argumentiert mit einem „Filmriss“. Ein Vertreter der Nebenklage hatte schon vor Verhandlungsbeginn vor einem „schmutzigen Deal“ gewarnt, nun stellte er Befangenheitsanträge gegen das komplette Gericht. Besonders bei Thomas W. und Marcus R. seien Bewährungsstrafen unverständlich, es dränge sich der Eindruck auf, das Verfahren solle „um jeden Preis“ schnell beendet werden.

Kritik von Opferberatung

Scharfe Kritik kommt auch von ezra, der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen. Projektkoordinator Franz Zobel erklärte: „Die politischen Verantwortlichen dürfen nicht weiterhin dabei zuschauen, wie Verfahren gegen rechte Gewalttäter*innen zur Tortur für die Betroffen werden und Neonazis einen Freifahrtschein (…) Ein Verweis auf die Unabhängigkeit der Justiz kann man nur als ein bewusst gesetztes Irrlicht deuten, um von der eigenen Verantwortung abzulenken“.

Nebenklagevertreterin Kristin Pietrzyk kritisiert: „Das Versprechen einer konsequenten Strafverfolgung bei rechten Gewalttaten läuft in der Realität ins Leere. Das Vertrauen von Betroffenen in Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit haben die politisch Verantwortlichen verspielt.“ Der Vorsitzende der Mobilen Beratung mobit, Sandro Witt, spricht von einem „Justiz-Skandal“ und warnt vor einem erodierenden Vertrauen in den Rechtsstaat, „wenn immer wieder Neonazis mit geringen Strafen oder gänzlich straffrei aus den Verfahren gehen“.

Unterbrechung wegen Krankheitssymptomen

Auch Im Landtag soll der Ballstädt-Prozess nach Vorstellung der SPD nun diskutiert werden. Fraktionschef Matthias Hey sagte nach dem zweiten Prozesstag: Die Deals erschütterten das Vertrauen in den Rechtsstaat. Katharina König-Preuss von der Linksfraktion im Landtag fordert „eine allgemeine Anweisung des Justizministeriums beziehungsweise eine Verwaltungsvorschrift, dass keine schmutzigen Deals von Staatsanwaltschaften mit Neonazi-Gewalttätern stattfinden“.

Bundesweit müsse diese Lücke in den Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren geschlossen werden. Wie sich die Reaktionen auf den weiteren Verlauf des Prozesses auswirken, der ursprünglich bis Mitte Juli terminiert ist, bleibt abzuwarten. Der zweite Prozesstag wurde vorzeitig beendet, weil einer der Angeklagten Krankheitssymptome zeigte, der nächste Verhandlungstermin auf der Erfurter Messe ist für den 9. Juni anberaumt.
Sollte es am Ende wirklich zu Bewährungsstrafen kommen, müssten die Einwohner in Ballstädt weiterhin mit der Bedrohung leben, dass ihnen die Angeklagten in dem kleinen Ort über den Weg laufen. Dies träfe dann auch für Thomas W., Rocco B. und André K. zu, die ihre vorläufige Straffreiheit nach dem Überfall für ein lukratives Geschäftsmodell genutzt haben sollen.

Angeklagte in anderem Verfahren involviert

Sie gehören zu den Beschuldigten, denen die Ermittler Waffengeschäfte, Drogenhandel, Geldwäsche und Aktivitäten im Rotlichtmilieu im großen Stil vorwirft. Aus diesem Grund hatten die Ermittler in einer groß angelegten Aktion Ende Februar 27 Objekte durchsucht und neun Haftbefehle vollstreckt.

Kategorien
Tags