Damit es nie wieder geschieht
Die Vernichtung der Juden: Wie sie geplant wurde und was von 1943 bis 1945 tatsächlich geschehen ist, Erinnerungen und Reflexionen sowie ein gutes Dutzend sehr wichtiger Fotos: Der Sammelband „Was hat der Holocaust mit mir zu tun“ vereinigt 37 Antworten auf diese Frage.
Es sei eine Generation herangewachsen, „die keinen persönlichen Kontakt mehr zu Menschen hat, die damals Opfer, Zuschauer oder Täter waren“, schreibt der Herausgeber Harald Roth. Der frühere Realschullehrer für Deutsch und Geschichte ist Mitinitiator der KZ-Gedenkstätte Hailfingen/Tailfingen. Er stellt fest, dass bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund beim Holocaust nicht „an die Familiengeschichte angeknüpft“ werden könne.
Im ersten Text („Was mich prägte“) erinnert sich die Überlebende Inge Deutschkron, wie die Nazis 1943 begannen, auch die letzten noch in Berlin lebenden Jüdinnen und Juden zu sammeln und in die Vernichtungslager zu verbringen. Sie schreibt wie sie selbst, die versteckt überlebt hat, ein Gefühl von Schuld überkam, das sie nie wieder losließ: „Drückte ich mich vor einem Schicksal, das das meine hätte sein müssen?“
Wie die „Endlösung der Judenfrage“ am 20. Januar 1942 in einer schmucken Villa am Berliner Wannsee mit anschließendem Frühstück besprochen wurde, beschreibt der Historiker Norbert Kampe. „Hätte man den Holocaust verhindern können?“ fragt der frühere SPD-Fraktions- und Parteivorsitzende Hans-Jochen Vogel. Als Großvater schreibt er seiner Enkelin Gabi in einem Brief, dass die Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Sportverbände, Kirchen und jeder einzelne gefordert seien, damit solche Verbrechen nicht wieder möglich werden.
„Hätte man den Holocaust verhindern können?“
Anhand des berühmt gewordenen Fotos von dem kleinen Jungen mit kurzer Hose und Kappe, auf den ein SS-Mann bei der Räumung des Warschauer Ghettos ein Gewehr richtet, denkt die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann über den Wert und die Funktion von Bildern nach.
Zu den weiteren Autoren gehören eine Reihe von Historikern, darunter Wolfgang Benz, oder Schriftsteller wie Herta Müller und Ingo Schulze. Der Regisseur Michael Verhoeven, Politiker wie Wolfgang Thierse (SPD) und Cem Özdemir (Grüne) oder der Journalist Heribert Prantl haben ebenso Beiträge beigesteuert wie zahlreiche Frauen und Männer, die den Holocaust überlebt haben.
Bei einigen Verfassern finden sich am Ende der Beiträge Hinweise auf weiterführende Literatur. Es wäre förderlich, wenn der Verlag die einzelnen Kapitel mit Überschriften versehen hätte, die genaueren Aufschluss über die behandelten Themen geben. Doch alles in allem ist „Was hat der Holocaust mit mir zu tun“ ein rundum gelungenes Buch. Dem Herausgeber Harald Roth muss man von Herzen danken für das Organisieren und Hereinholen der drei Dutzend Beiträge, die durchweg ein sehr hohes Niveau haben.
Harald Roth (Hrsg.), „Was hat der Holocaust mit mir zu tun? – 37 Antworten“, Pantheon Verlag, München 2014, 300 Seiten, 14,99 Euro; ISBN 978-3-570-55203-2Der Text erscheint mit freundlicher Genehmigung von vorwärts.de